Sie dominierte letztes Jahr die Schlagzeilen: die Klimajugend. Und sie tut es heute noch. Ein Wort steht für das Umdenken, das die Aktivisten erzwingen wollen: «Flugscham». Weniger Flugverkehr, mehr Klimaschutz.
Ende 2019 finden sich am Flughafen Kloten ZH gut 200 junge Menschen zwischen 15 und 30 zusammen. Sie wollen das Fliegen nicht verbieten. Sie wollen fliegen. Beruflich. Vor ihnen steht ein ausgebildeter Pilot und gibt Einblicke in seinen Berufsalltag. Der Saal ist rappelvoll.
Ein Gipfeli in Kloten ZH zum Frühstück, mittags ein Häppli in Nizza (F) und am Abend wieder gemütliches Beisammensein zu Hause mit der Familie. Er zeigt Bilder aus dem Cockpit: Die aufgehende Sonne beleuchtet Berggipfel, die aus dem Nebelmeer ragen. Wie aus einem Fotobuch. «Was meint ihr? Schon cool, oder?», fragt der Pilot augenzwinkernd in die Runde.
Alle hängen an seinen Lippen.
Fliegen, als gebe es kein Morgen mehr
Und doch: Der Flugverkehr ist im Verruf. Die Grünen fordern eine mehrheitliche Verlagerung des Verkehrs auf die Schienen, GLP-Nationalrat Jürg Grossen (50) verlangte im Parlament eine gesetzliche Flugticketabgabe, beide Kammern stimmten dem Vorschlag zu – zwischen 30 und 120 Franken müssen künftig zusätzlich gezahlt werden.
Zwar beläuft sich der Anteil der Fliegerei auf den globalen CO2-Ausstoss auf nur rund drei Prozent, in der Schweiz beträgt der Anteil aber über zehn Prozent. Hierzulande wird fast doppelt so viel geflogen wie in den Nachbarstaaten. Und die Branche wächst: Die Swiss reiht einen Passagierrekord an den anderen. 18,8 Millionen Menschen transportierte die Airline allein 2019 – fast fünf Prozent mehr als noch im Vorjahr. Rekord.
Pilot bleibt ein Traumberuf
In Gesprächen mit jungen Piloten und Interessentinnen zeigt sich: Pilot ist für viele nach wie vor ein Traumberuf. So etwa für Charlotte Ruch* (20). «Fliegen hat mich schon immer fasziniert», sagt sie. «Man sieht die Welt von oben und kommt herum.» Und der Beruf sei gefragt: «Wenn nicht ich Pilotin werde, dann jemand anders. Solange die Nachfrage der Passagiere da ist, bleibt das so.»
Grundsätzlich sei es aber wichtig, sich als Passagier Gedanken zu machen, ob eine Flugreise sinnvoll ist. Das findet auch Andrea Koller* (18). Wie Ruch träumt sie von einer Karriere in der Luft. Selber geflogen ist sie aber erst drei Mal. «Ich versuche, meine Anzahl Flüge so gering wie möglich zu halten.»
Ein Widerspruch? Nein. Charlotte Ruch sieht das ähnlich und erklärt: «CO2-Abgaben sind sinnvoll. Und Flugreisen zu reduzieren, ebenfalls. Ich weiss, wie es momentan ums Klima steht. Wir können nicht einfach tatenlos zuschauen.»
«Der CO2-Ausstoss gehört leider dazu»
Das grüne Gewissen fliegt immer mit. Auch bei den Pilotinnen in spe. Doch in einen inneren Konflikt geraten die beiden nicht. Koller: «Als Passagierin zu fliegen, ist etwas anderes als als Pilotin.»
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Marc Lüchinger (24). Er ist bereits seit einem Jahr Pilot bei der Helvetic Airways, die im Auftrag der Swiss fliegt. Für Lüchinger steht zwar nicht Verzicht im Fokus, doch seine Meinung ist klar: «Es ist unbestreitbar, dass die Luftfahrt CO2 ausstösst. Dennoch: Ich würde heute sofort wieder Pilot werden.» (Siehe Porträt auf Seite XY).
«Die Diskussion wird sehr schnell emotional»
Die Fliegerei beschäftigt alle, jeder hat eine Meinung dazu. «Die Diskussion rund um die Aviatik und das Klima ist wichtig, doch sie wird auch sehr schnell emotional», meint Patrick Linow (24), angehender Helikopterpilot bei der Luftwaffe. «Egal, ob es um die zivile oder militärische Luftfahrt geht.»
2021 wird Linow brevetiert – nach fast zehnjähriger Selektions- und Ausbildungsphase. «Bereits als Kind habe ich die startenden und landenden Flugzeuge am Flughafen Zürich bestaunt. Seitdem habe ich diese Leidenschaft fürs Fliegen.»
Greta Thunberg (17) ist dem angehenden Militärpiloten aber nicht egal. «Die Klimaerwärmung findet statt. Wir müssen etwas dagegen tun. Ich verstehe den Punkt in der Diskussion.» Man müsse alle Aspekte im Blick haben, dann sei auch viel möglich, so Linow. Sein Beitrag: Weniger Fleisch essen oder weniger Abfall produzieren. Nicht nur die Uniform ist bei Linow grün.
Aber weniger fliegen kommt für ihn nicht in Frage: «Ich habe meinen Weg gefunden, mit dem Problem umzugehen.» Und die Einsätze der Luftwaffe liessen sich nicht einfach streichen. «Wir haben einen Auftrag vom Bund. Unser Engagement kommt der Bevölkerung zugute.»
Verdoppelung des globalen Luftverkehrs erwartet
Die jungen Piloten und die, die es werden wollen, lassen sich von der Klimadiskussion nicht abschrecken. Das ist wichtig für die Airlines. Angesichts des grossen Bedarfs buhlen sie um den Nachwuchs. Die International Air Transport Association (Iata) geht in den kommenden 20 Jahren von einer Verdoppelung des globalen Luftverkehrs aus. Und der Flugzeughersteller Boeing rechnet im gleichen Zeitraum mit bis zu 2,5 Millionen zusätzlich benötigten Stellen weltweit – Boden- und Flugpersonal zusammengerechnet. Vor allem der Markt in Asien wächst rasant.
Um diesen Bedarf zu decken, muss auch das Marketing gezielter werden. Die Umwelt-frage stellt sich nicht nur den jungen Piloten. Sondern vor allem auch den Airlines selbst. «Moderne Flugzeuge sind der grösste Hebel, um die negative Wirkung auf die Umwelt zu reduzieren», heisst es seitens der Swiss. Beim Unternehmen sei seit 2002 ein massiver Effizienzgewinn zu verbuchen: doppelte Passagierleistung, aber «nur» 30 Prozent mehr Treibstoffverbrauch.
Die Luftfahrt muss reagieren
Die Themen Klimaschutz und Pilotennachwuchs sind bei den Airlines ganz oben angekommen. Es geht darum, die jüngere Generation gezielter anzusprechen. Unlängst trafen sich in Frankfurt am Main über 80 CEOs aus allen Bereichen der Luftfahrt an der Europa-Konferenz der Iata. Die dominierenden Themen: Klimaschutz und Piloten-nachwuchs.
In der Schweiz spannen die Swiss und Edelweiss mit der Luftwaffe zusammen, um neue Ausbildungsmodelle zu erarbeiten. Sie wollen ihre Interessen und Ressourcen punkto Ausbildung bündeln. Somit soll der Beruf – nebst Bemühungen, umweltfreundlicher zu werden – auch sozial attraktiver werden. Teilzeitmodelle sind im Gespräch. Von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Rede.
Den Interessenten solle klargemacht werden, dass viele Pilot werden können, die ihr Talent noch nicht erkannt haben, heisst es bei der Luftwaffe. Heute müsse man viel mehr Arbeit in die Anwerbung und Rekrutierung investieren und den Piloten in spe ihre Optionen aufzeigen. Und auch um die Umweltfrage kommt die Luftwaffe nicht mehr herum. Die Zeiten haben sich geändert.