Das entspricht einem Anstieg von 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. «Illegale Holzfäller machen kein Homeoffice», sagte Rômulo Batista, Greenpeace-Sprecher in Brasilien, der deutschen Nachrichtenagentur DPA am Mittwoch.
Hubschrauber kreisen über dem brasilianischen Regenwald, Mitarbeiter der Umweltbundesamtes Ibama dringen zu Fuss in das geschützte indigene Gebiet vor, das von den Schlammgruben der illegalen Goldgräber durchzogen ist. Die Beamten zerstören mehrere Dutzend Bagger, Traktoren und andere Maschinen der Goldsucher und setzen sie in Flammen, wie im brasilianischen Fernsehen zu sehen ist.
Mit ihrem entschlossenen Einsatz brachten sie im April allerdings auch die Regierung des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro gegen sich auf. Mehrere Beamte, die an der Mega-Operation im Süden des Bundesstaates Pará, tief im Amazonas-Gebiet, beteiligt waren, wurden gefeuert. Sie hatten ihre Arbeit offensichtlich zu gut gemacht.
«Landraub»-Gesetz
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, ein Schirmherr der Holzlobby, hatte im Dezember ein Gesetzesprojekt eingebracht, das in den kommenden Tagen im Kongress behandelt werden könnte. Es wird auch «Landraub»-Gesetz genannt, weil im Falle einer Verabschiedung, die illegale Abholzung und unrechtmässige Besetzung von öffentlichem Land vor 2018 nachträglich legalisiert würde.
Coronavirus verschlechtert Regenwald-Situation
«Somit steht fest, dass die Pandemie die ohnehin kritische Situation des Regenwaldes und der darin beheimateten indigenen Völker in der brasilianischen Amazonas-Region lediglich noch intensiviert», heisst es im Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brasilien.
Bolsonaro ermutigt Umweltsünder
Dabei war die Abholzung bereits 2019 sehr hoch im Vergleich zu den Vorjahren. Kritiker werfen Präsident Jair Bolsonaro vor, Holzfäller, Goldgräber und Farmer mit seinen Äusserungen zur Abholzung und zur Landnahme zu ermutigen. «Und die Leute dringen in unsere Gebiete ein, weil sie davon ausgehen, ungestraft davonzukommen», klagte etwa Cacique Kawore aus einem geschützten indigenen Gebiet im Pará.
Keine Bestrafung für illegales Abholzen
Schon wenige Monate, nachdem Bolsonaro sein Amt angetreten hatte, spürten die Indigenen die ersten Auswirkungen. Obwohl Eindringlinge in ihrem geschützten Gebiet illegal Wald abholzten, verfolgten die staatlichen Behörden keine Anzeigen mehr. «Mai, Juni, Juli, August und September des vergangenen Jahres waren einige der schlimmsten Monate überhaupt», sagt Gabriel Lui, Koordinator der Bereichs Landnutzung und Lebensmittelsysteme am «Instituto Clima e Sociedade» in Rio, der Deutschen Presse-Agentur. In Amazonien waren vielerorts praller, dunkelgrüner Regenwald und dann abgeholzte oder abgebrannte Flächen zu sehen.
Wirtschaftliche Ausbeutung
Während Indigene das Land als «Mutter Erde» betrachten und zum Leben nutzen, wollen Grossgrundbesitzer, Holzfäller, Goldsucher, Kraftwerksbauer und Sojapflanzer an seine Reichtümer heran. Bolsonaro sieht Amazonien ebenfalls als wirtschaftliches Nutzgebiet, das es auszubeuten gilt. Das heisst auch: keine indigenen Gebiete mehr ausweisen, bestehende Gebiete verkleinern und für den Bergbau freigeben.
In einer seiner ersten Amtshandlungen übertrug der Präsident die Zuständigkeit für die Indigenen Gebiete dem Landwirtschaftsministerium und ordnete die Indigenen-Behörde Funai dem neuen Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte zu. Der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Pater Michael Heinz, spricht sogar von einem, «strukturellen Zusammenbruch» des politischen Systems, der dazu führe, dass Bolsonaro jeden Umweltschutz ausser Acht lassen und geschützte indigene Gebiete rücksichtslos ausbeuten könne.
Corona-Krise schränkt Umweltschutz ein
Das Umweltbundesamt Ibama hat dieser ebenfalls bereits seit Januar 2019 gezielt geschwächt, das Personal und die Kontrollen reduziert. Die Corona-Krise schränkt die Beamten in ihrer Arbeit weiter ein - im Gegensatz zu den illegalen Holzfällern, Goldsuchern und anderen, die in Amazonien ihr Glück suchen und dabei den Lebensraum der Indigenen - und damit auch das Weltklima - bedrohen. Die Indigenen verstehen sich, auch wegen ihrer Lebensweise, als «Hüter des Waldes», das Amazonas-Gebiet ist der grösste Kohlendioxid-Speicher der Welt.
Wird das «Landraub»-Gesetz umgesetzt, würden bis zu 25 Quadratkilometer an denjenigen gehen, der sie besetzt hat. Insgesamt kommen 570 000 Quadratkilometer zusammen, mehr als die Fläche Spaniens. Der Nichtregierungsorganisation Imazon mit Sitz in Belém zufolge könnten auch viele der Abholzungen im April von denen vorgenommen worden sein, die noch keine Landtitel haben. Der Wissenschaftler Carlos Souza, der die Veränderung des Regenwaldes untersucht, sagt: «Zuerst nehmen sie die öffentlichen Flächen ein und danach versuchen sie, diese Gebiete legal zu bekommen.» (SDA)
Weltweit gibt es in über 60 Ländern 400 Millionen Indigene – davon leben 150 Millionen in Stammesgesellschaften. Indigene Völker sind die ersten Bewohner eines bestimmten Gebietes. Bedroht sind sie vor allem in Südamerika, Afrika und Asien. Vielerorts sind ihre Landrechte nicht gesichert, und sie sind juristisch nicht anerkannt. Alarmierend ist die Situation für die 305 indigenen Völker in Brasilien, Präsident Jair Bolsonaro hat ihnen quasi den Krieg erklärt und will ihre Gebiete für Landwirtschaft und Rohstoffe ausbeuten.
Der Angriff auf deren Territorien stellt die Weichen für eine Umweltkatastrophe. Indigene Völker sind die besten Naturschützer, sie kümmern sich so gut um ihre Umwelt und Tiere wie niemand sonst. Erzwungene Entwicklung und Fortschritt machen Indigene weder gesünder noch glücklicher. Die Folgen erzwungener Anpassung sind oft fatal. Unkontaktierte Völker sind die bedrohtesten Gesellschaften, weltweit gibt es etwa hundert – schon eine Ansteckung mit Grippe kann sie auslöschen.
Weltweit gibt es in über 60 Ländern 400 Millionen Indigene – davon leben 150 Millionen in Stammesgesellschaften. Indigene Völker sind die ersten Bewohner eines bestimmten Gebietes. Bedroht sind sie vor allem in Südamerika, Afrika und Asien. Vielerorts sind ihre Landrechte nicht gesichert, und sie sind juristisch nicht anerkannt. Alarmierend ist die Situation für die 305 indigenen Völker in Brasilien, Präsident Jair Bolsonaro hat ihnen quasi den Krieg erklärt und will ihre Gebiete für Landwirtschaft und Rohstoffe ausbeuten.
Der Angriff auf deren Territorien stellt die Weichen für eine Umweltkatastrophe. Indigene Völker sind die besten Naturschützer, sie kümmern sich so gut um ihre Umwelt und Tiere wie niemand sonst. Erzwungene Entwicklung und Fortschritt machen Indigene weder gesünder noch glücklicher. Die Folgen erzwungener Anpassung sind oft fatal. Unkontaktierte Völker sind die bedrohtesten Gesellschaften, weltweit gibt es etwa hundert – schon eine Ansteckung mit Grippe kann sie auslöschen.
Es ist still geworden um die Amazonas-Katastrophe, doch die Zerstörung des Regenwalds schreitet voran. Eine Idee, wie man ihn retten könnte, hat der Berner Jonas Perrin (33). Der ist nicht etwa Umweltwissenschaftler – sondern Jurist. SonntagsBlick trifft Perrin im Botanischen Garten in Bern, eine idyllische Oase mitten in der Stadt. Ein Kontrast zum Amazonasgebiet, wo Landwirte munter zündeln und roden, um Ackerfläche zu gewinnen.
Der Raubbau am Regenwald wirft die Frage auf: Wem gehört er eigentlich?
Jonas Perrin: Aus der Sicht des Völkerrechts unterliegt der Regenwald, wie sämtliches Gebiet innerhalb der Staatsgrenzen, der Souveränität der jeweiligen Staaten. Der Staat kann zum Beispiel enteignen, roden oder Staudämme bauen. Der Gegenpart ist das Privateigentum. Da kann ein Einzelner innerhalb der gesetzlichen Vorgaben über ein Gebiet verfügen. Das ist das vorherrschende Konzept seit der Conquista.
Sie sind damit nicht einverstanden.
Schon die Frage, wem der Wald gehört, ist eine sehr westliche. Im Amazonas gibt es die indigenen Völker, die schon lange vor der Eroberung und Erschliessung Südamerikas da waren. Sie verstehen sich eher als Teil des Waldes. Man sollte ihnen die Verwaltung zurückgeben.
Und so einfach retten wir den Regenwald?
Die Indigenen sind zumindest die Einzigen, die es geschafft haben, mit der Natur so umzugehen, dass sie bestehen bleibt. Natürlich gibt es verschiedene Völker mit verschiedenen Ansichten – aber im Umgang mit der Natur sind sie voraus.
Wie funktioniert Ihre Idee praktisch?
Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker ernst zu nehmen, wäre schon mal gut. Vor der Conquista hatte jedes Volk sein Territorium. Diese uralten Landrechte gelten auch heute noch – oder besser: wieder. Staaten sind auch vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) eigentlich verpflichtet, zu prüfen, wer ein Gebiet traditionell beansprucht und dieses kollektive Eigentum zu respektieren.
Was ist bislang das Problem?
Wenn beispielsweise Brasilien einem Unternehmen die Genehmigung erteilt, eine Fläche innerhalb indigener Gebiete zu nutzen, müsste der Staat eigentlich erst die Indigenen konsultieren. Wenn er das nicht macht, verletzt er deren kollektives Eigentumsrecht.
Aber dann können die Indigenen doch klagen.
Ja, aber eben nur vor dem Menschengerichtshof. Da hapert es dann oft an der Umsetzung von Urteilen, weil dafür der Staat verantwortlich ist – dem sind Indigene rechtlich untergeordnet. Zudem sind Menschenrechte in aller Regel einschränkbar.
Wie werden Indigene mächtiger?
Dafür müsste man die Völkerrechtsordnung reformieren. Ein indigenes Volk kann nämlich nicht vor den Internationalen Gerichtshof ziehen, wo viele Grenzstreitigkeitsfälle ausgefochten werden. Bislang steht dies ausschliesslich den Staaten zu. Dabei wäre es eine sehr gute Idee, wenn Indigene dort auf Augenhöhe mit einem Staat gestellt würden.
Wollen und könnten sie das denn?
Indigene ziehen zunehmend vor die Gerichtshöfe, um zu ihren Rechten zu gelangen. Je besser sie rechtlich informiert sind, desto eher machen sie das.
Es ist still geworden um die Amazonas-Katastrophe, doch die Zerstörung des Regenwalds schreitet voran. Eine Idee, wie man ihn retten könnte, hat der Berner Jonas Perrin (33). Der ist nicht etwa Umweltwissenschaftler – sondern Jurist. SonntagsBlick trifft Perrin im Botanischen Garten in Bern, eine idyllische Oase mitten in der Stadt. Ein Kontrast zum Amazonasgebiet, wo Landwirte munter zündeln und roden, um Ackerfläche zu gewinnen.
Der Raubbau am Regenwald wirft die Frage auf: Wem gehört er eigentlich?
Jonas Perrin: Aus der Sicht des Völkerrechts unterliegt der Regenwald, wie sämtliches Gebiet innerhalb der Staatsgrenzen, der Souveränität der jeweiligen Staaten. Der Staat kann zum Beispiel enteignen, roden oder Staudämme bauen. Der Gegenpart ist das Privateigentum. Da kann ein Einzelner innerhalb der gesetzlichen Vorgaben über ein Gebiet verfügen. Das ist das vorherrschende Konzept seit der Conquista.
Sie sind damit nicht einverstanden.
Schon die Frage, wem der Wald gehört, ist eine sehr westliche. Im Amazonas gibt es die indigenen Völker, die schon lange vor der Eroberung und Erschliessung Südamerikas da waren. Sie verstehen sich eher als Teil des Waldes. Man sollte ihnen die Verwaltung zurückgeben.
Und so einfach retten wir den Regenwald?
Die Indigenen sind zumindest die Einzigen, die es geschafft haben, mit der Natur so umzugehen, dass sie bestehen bleibt. Natürlich gibt es verschiedene Völker mit verschiedenen Ansichten – aber im Umgang mit der Natur sind sie voraus.
Wie funktioniert Ihre Idee praktisch?
Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker ernst zu nehmen, wäre schon mal gut. Vor der Conquista hatte jedes Volk sein Territorium. Diese uralten Landrechte gelten auch heute noch – oder besser: wieder. Staaten sind auch vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) eigentlich verpflichtet, zu prüfen, wer ein Gebiet traditionell beansprucht und dieses kollektive Eigentum zu respektieren.
Was ist bislang das Problem?
Wenn beispielsweise Brasilien einem Unternehmen die Genehmigung erteilt, eine Fläche innerhalb indigener Gebiete zu nutzen, müsste der Staat eigentlich erst die Indigenen konsultieren. Wenn er das nicht macht, verletzt er deren kollektives Eigentumsrecht.
Aber dann können die Indigenen doch klagen.
Ja, aber eben nur vor dem Menschengerichtshof. Da hapert es dann oft an der Umsetzung von Urteilen, weil dafür der Staat verantwortlich ist – dem sind Indigene rechtlich untergeordnet. Zudem sind Menschenrechte in aller Regel einschränkbar.
Wie werden Indigene mächtiger?
Dafür müsste man die Völkerrechtsordnung reformieren. Ein indigenes Volk kann nämlich nicht vor den Internationalen Gerichtshof ziehen, wo viele Grenzstreitigkeitsfälle ausgefochten werden. Bislang steht dies ausschliesslich den Staaten zu. Dabei wäre es eine sehr gute Idee, wenn Indigene dort auf Augenhöhe mit einem Staat gestellt würden.
Wollen und könnten sie das denn?
Indigene ziehen zunehmend vor die Gerichtshöfe, um zu ihren Rechten zu gelangen. Je besser sie rechtlich informiert sind, desto eher machen sie das.