In Schweizer Alpenfestung
ETH-Forscher vermessen Schwerkraft mit neuer Methode

ETH-Forscher haben ein neues Experiment zur Vermessung der Schwerkraft entwickelt. Obwohl der gemessene Wert noch eine hohe Unsicherheit aufweist, birgt die Methode laut den Forschern «grosses Potential», um eines der fundamentalsten Naturgesetze zu überprüfen.
Publiziert: 13.07.2022 um 06:48 Uhr
Aufnahme der Andromeda-Galaxie: Die Gravitation dominiert das Universum mit seinen Galaxien, Sternen und Planeten - und doch ist der Wert der Gravitationskonstante nur sehr grob bekannt.
Foto: KEYSTONE/AP University of Utah

Die Gravitationskonstante G bestimmt die Stärke der Schwerkraft, die den Apfel zu Boden fallen, die Erde um die Sonne kreisen lässt und dafür, dass Galaxien nicht auseinanderfliegen. Die im von Isaac Newton entdeckten Gravitationsgesetz vorkommende Konstante kann nicht hergeleitet, sondern muss experimentell ermittelt werden.

Erstmals gelang dies dem Engländer Henry Cavendish im Jahr 1798. Obwohl die Wissenschaft seither einige Fortschritte gemacht hat, befriedigt der derzeit gültige Wert der Gravitationskonstante die Fachwelt nicht. Er ist nämlich ungenauer als der Wert jeder anderen Naturkonstante. Denn die Schwerkraft ist äusserst schwer zu fassen. Nicht nur weil sie sehr schwach ist, sondern auch weil sie sich nicht abschirmen lässt: Misst man die Schwerkraft zwischen zwei Körpern, misst man auch immer die Wirkung aller anderen Körpern der Welt mit.

Die einzige Möglichkeit diese vertrackte Situation aufzulösen, liege darin, «die Gravitationskonstante mit möglichst vielen verschiedenen Methoden zu ermitteln», schreiben die Forscher der ETH Zürich um Jürg Dual im Fachmagazin «Nature Physics». Sie fügten der Palette an Experimenten nun ein neues hinzu.

Um Störquellen so gut als möglich auszuschliessen, verlegte das ETH-Team sein Experiment in eine alte Militärbasis tief in den Schweizer Alpen: in die Festung Furggels bei Bad Ragaz. Der Versuchsaufbau bestand aus zwei voneinander isoliert aufgehängten Balken. Den einen versetzten die Forscher in Schwingung und durch die sogenannte Gravitationskopplung begann auch der zweite Stab wie von Geisterhand ein klitzekleines bisschen zu schwingen. Die Messung dieses dynamischen Effekts erlaubt Rückschlüsse auf die Grösse der Gravitationskonstante.

Die Forscher ermittelten einen Wert, der um 2,2 Prozent höher liegt als die derzeit offizielle, vom «Committee on Data for Science and Technology» festgehaltene Grösse. Zudem lag die Unsicherheit des Messwerts noch zu hoch, wie sie einräumen. Für zuverlässige Daten müsse diese noch deutlich reduziert werden, schreiben sie. Doch die vorliegende Studie zeige das grosse Potenzial dieser Messmethode.

Für ETH-Professor Dual liegt der Vorteil der Methode insbesondere darin, dass die Schwerkraft über die vibrierenden Balken dynamisch gemessen werde. «Bei dynamischen Messungen spielt es im Gegensatz zu statischen keine Rolle, dass sich die von anderen Körpern wirkende Schwerkraft nicht abschirmen lässt», sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er hofft daher, dass er und sein Team mit dem Experiment dazu beitragen werden, das Rätsel der immer noch nicht vollständig verstandenen Gravitation zu knacken.

Das würde ihm zufolge beispielsweise erlauben, die Signale von Gravitationswellen besser zu interpretieren. Gravitationswellen konnten, rund 100 Jahre nach Einsteins Vorhersage, in den LIGO-Observatorien in den USA im Jahr 2015 erstmals nachgewiesen werden.

Sie waren das Resultat von zwei sich umkreisenden Schwarzen Löchern, die in rund 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung zur Erde verschmolzen waren. Seither sind dutzende solche Ereignisse dokumentiert worden. Könnte man solche Ereignisse detailliert nachzeichnen, liessen sich neue Einblicke in das Universum und dessen Geschichte gewinnen.

Auch Christian Rothleitner von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig schreibt in einem Begleitartikel zur Studie, dass Dual und sein Team mit dem Experiment «Neuland betreten für die Überprüfung des Newtonschen Gravitationsgesetzes». Dies sei ein wichtiger Schritt «auf dem Weg zu einem umfassenderen Verständnis der Gravitation», auch wenn die Minimierung der Unsicherheit eine «grosse Herausforderung» bleibe. (SDA)

https://www.nature.com/articles/s41567-022-01646-4


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