Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk schwärmte einmal: «Wunderbar, dass die Popmusik der 60er einen perfekten Soundtrack liefern konnte zu diesen neuen Ideen.» Die Beatles sangen «Revolution», die Rolling Stones brachten «Street Fighting Man» heraus und Aretha Franklin intonierte den Soul-Klassiker «Respect».
Es sind allesamt musikalische Vorlagen aus dem magischen Jahr 1968, die als Aufforderung zum politischen Engagement gelesen werden konnten: Rock 'n' Roll als Waffe im Kampf gegen das Establishment, als politisches Statement für eine Gegenkultur. Die Realität freilich war vielschichtiger und musikalisch wohl auch weit weniger revolutionär, als es die Rock 'n' Roller jener Zeit im Rückblick vielleicht sehen wollen.
Kommunisten hören keinen Rock
Musiker wie Joan Baez oder Bob Dylan, die später zu den Stimmen der 1968er-Generation aufstiegen, tourten bereits in der ersten Hälfte der 60er-Jahre gemeinsam – lange bevor in Europa die Studenten auf die Strasse gingen. Und für viele politisch Bewegte, marxistisch imprägnierte Studenten taugte die Popmusik ohnehin nicht als Soundtrack des Protests – für orthodoxe Kommunisten an den Unis war Rock eine durch und durch bürgerliche Angelegenheit.
Selbst von den Rock 'n' Rollern, die 1968 in den europäischen Charts vordere Ränge eroberten, sind kaum politisch verwertbare Parolen zu hören. Die Beatles hatten sich Anfang 1968 nach Indien abgesetzt, um zu meditieren. John Lennon verpasste so die grosse Anti-Vietnam-Demo in London, während der politisch eher desinteressierte Rolling-Stones-Frontmann Mick Jagger den Demonstranten an der Themse immerhin seine Solidarität bekundete und sich von den Krawallen zum Song «Street Fighting Man» inspirieren liess – der keineswegs zum Aufstand aufruft, sondern eher die persönliche politische Passivität begründet.
Lennon mischt sich doch noch ein
Wenn Jagger und die Stones sich bis heute als Rebellen inszenieren, so ist dies mehr Aufstand gegen herrschende Konventionen als Rebellion gegen real existierende politische Verhältnisse. Jagger und Gitarrist Keith Richards verlustierten sich lieber mit dem Rock-Groupie und der weiblichen 68er-Ikone Uschi Obermaier, als sich ins politische Getümmel zu werfen.
Als im Mai in Paris die Barrikaden brannten, liess immerhin auch John Lennon von sich hören. «Ich fand», sagte der Beatle, «dass wir endlich damit aufhören mussten, zum Vietnamkrieg zu schweigen.» Ende August 1968 wurde der Song «Revolution» als B-Seite der Ballade «Hey Jude» veröffentlicht. Auch dies war kein Aufruf zur politischen Tat, eher eine nachdenklich gehaltene Absage an doktrinäre Militanz und linke Revolutionsromantik.
Heintje gegen Hendrix
John Lennon entwickelte sich erst als Solokünstler zum politisch wohl aktivsten Rockstar seiner Generation. Mit «Imagine» besang er utopische Weltentwürfe, mit «Power to the People» rief er zur Militanz auf.
In den deutschen Charts, sagt der 1968 geborene Journalist Daniel Gäsche, sei die «Spaltung der Gesellschaft in den 60er-Jahren gut abzulesen». Gäsche hat das Buch «Born to be wild. Die 68er und die Musik» geschrieben. In den Hitparaden während dem Revoluzzerjahr 1968 tauchten weniger Jimi Hendrix, Janis Joplin oder The Doors auf – allesamt Ikonen einer musikbegeisterten Jugendbewegung, die 1969 beim Woodstock-Festival ihren nachhaltigsten Ausdruck fand, dafür Schlagersänger wie Peter Alexander oder Heintje: Heile-Welt-Antipoden zu den Krawallmachern der Studentenbewegung.
Selbstbewusster geworden
Pop und Rock der 60er-Jahre hat die Studentenbewegung politisch wohl weniger geprägt, als es die damaligen Aktivisten im Rückblick festgehalten wissen möchten. Aber es gilt auch, was der deutsche Kulturwissenschaftler Frank Hillebrandt sagt: «Rockmusik hat sicher dazu geführt, dass Menschen über soziale Grenzen hinweg gelernt haben, selbstbewusster aufzutreten. Ohne Rock- und Popkultur würde unsere Gesellschaft anders, aber vor allem schlechter aussehen. Rockmusik ist der Soundtrack des Protestes.»
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Zuerst waren es ausländische Vorbilder, die die Schweiz vibrieren liessen – im April 1967 die Rolling Stones bei ihrem tumultartigen Auftritt im Zürcher Hallenstadion, im Mai 1968 Gitarrengott Jimi Hendrix. Die Jahre zuvor gegründeten Les Sauterelles rund um Toni Vescoli – die Schweizer Beatles – schafften 1968 ihren Durchbruch. 1969 wurde die Rockband Krokodil gegründet, und rund um Polo Hofers Rumpelstilz formierte sich die Berner Mundartrock-Szene. Rock und Pop hatten ihre schweizerische Ausprägung gefunden.
Zuerst waren es ausländische Vorbilder, die die Schweiz vibrieren liessen – im April 1967 die Rolling Stones bei ihrem tumultartigen Auftritt im Zürcher Hallenstadion, im Mai 1968 Gitarrengott Jimi Hendrix. Die Jahre zuvor gegründeten Les Sauterelles rund um Toni Vescoli – die Schweizer Beatles – schafften 1968 ihren Durchbruch. 1969 wurde die Rockband Krokodil gegründet, und rund um Polo Hofers Rumpelstilz formierte sich die Berner Mundartrock-Szene. Rock und Pop hatten ihre schweizerische Ausprägung gefunden.