Die Geschichte des Velos
Knochenschüttler oder ein Grund, Hosen zu tragen

Am Anfang war es nur etwas für Adlige, später nützte es der Arbeitergesellschaft und der Frauenbewegung. Von seiner Erfindung bis heute hat das Velo manches Auf und Ab durchgemacht, und die eine oder andere Irrfahrt.
Publiziert: 02.06.2020 um 08:57 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2020 um 09:11 Uhr
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Dieses besonders prächtige Fahrrad aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte dem Sohn von Kaiser Napoleon III, Prinz Napoléon Eugène. Heute ist es im Museo Napoleonico im Rom zu bewundern.
Foto: Wikimedia Commons/Baronnet

Die Geschichte beginnt mit einem Knall: Im Sommer 1815 explodierte auf einer Insel in Indonesien der Tambora, ein Vulkan, der tonnenweise Asche in die Atmosphäre schleuderte. In der Schweiz merkte man davon nichts. Ausser dass es im Herbst sagenhaft schöne Sonnenuntergänge gab. Dann kam der Winter. Und der Winter blieb. Im Frühling 1816 schneite es regelmässig bis ins Flachland, noch im Juni fiel mehrfach Schnee, es regnete viel und die Ernten waren so schlecht, dass die Menschen Gras und Rinde assen, um zu überleben. Nicht alle schafften es. Auch viele Pferde überlebten nicht und dieser Mangel an Pferden könnte ein Grund gewesen sein, weshalb in Süddeutschland ein gewisser Karl von Drais zu tüfteln begann. An einem Gefährt, das das Pferd ersetzen sollte.

Bald erfand Drais das Laufrad, ein Ding das etwa so aussah, wie die Gefährte, mit denen heute kleine Kinder herumflitzen. Dann passierte, was bei grossen Erfindungen häufig geschieht – überhaupt nichts. Ein paar Adelige fuhren mit Drais’ Maschinen durch ihre Parks, ansonsten brauchte sie niemand. 50 Jahre lang kam das Velo nicht vom Fleck. Bis 1864. Dann montierte der Pariser Schmied Pierre Michaux zwei Kurbeln an die Vorderradnabe und macht das Laufrad damit zum Fahrrad. «Knochenschüttler» nannten die Leute dieses Gefährt. Denn noch gab es keine Pneus und das Rad bestand aus Holz und Metall.

Die erste Euphorie

Was tun? Man baute das Vorderrad einfach grösser. Viel grösser. Denn ein grosses Rad gleicht Unebenheiten und Schlaglöcher besser aus. Ausserdem war die Übersetzung angenehmer zum Fahren, man musste weniger strampeln. Aber auch das Hochrad hatte seine Tücken. Es brauchte viel Kraft, Mut und ausserdem Geld um sich auf einer der gefährlichen Maschinen zu behaupten. Das konnten eigentlich nur junge Aristokraten. «Macho-Maschine» nennen es darum manche Historiker.

Der nächste Entwicklungsschritt war das Niederrad. Mit einer Kette, Luftgummireifen, zwei gleich grossen Rädern und einem Rahmen, wie wir ihn heute kennen. Und das Niederrad löste eine riesige Euphorie aus: Um die Jahrhundertwende gab es Velo-Mode und Velo-Plakate, Velo-Zubehör und Velo-Zeitungen. Und diese kamen auf eine Idee: Wenn man ein langes Rennen veranstaltete, könnte man täglich darüber berichten – und täglich viele Zeitungen verkaufen. So startete 1903 die Zeitschrift «L’Auto», ehemals «L’Auto-Vélo», die Tour de France. «L’Auto» wurde auf gelbes Papier gedruckt, der Führende trug deshalb das «Maillot Jaune». In Italien lancierte die auf rosarotem Papier gedruckte «Gazzetta dello Sport» 1909 den Giro d’Italia – und der Leader trug die «Maglia Rosa».

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Das Velo verändert die Gesellschaft

Die Begeisterung fürs Velo war gigantisch. Mark Twain empfahl seinen Lesern: «Kauft Euch ein Fahrrad. Ihr werdet es nicht bereuen – falls ihr es überlebt.» Auch Albert Einstein sauste auf dem Velo durch die Berner Gassen und sagte später über die Relativitätstheorie: «Das ist mir beim Fahrradfahren eingefallen.» Das grösste Kompliment erhielt das Velo aber von einer Frau. «Das Fahrrad hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen, als alle Bemühungen der Frauenbewegung zusammen», sagte Rosa Mayreder, die Alice Schwarzer des 19. Jahrhunderts. Die Frauen hatten dank dem Velo endlich einen Grund, das Korsett wegzuwerfen und Hosen zu tragen. Und sie konnten nun den alten Tanten entkommen, die ständig darauf aufgepasst hatten, dass junge Frauen auf keinen Fall etwas Interessantes erlebten.

In die Schweiz kam das Velo über Genf. Und in Genf wurde auch der erste Schweizer Velo-Verein gegründet: der Touring-Club de Suisse. Natürlich, der TCS gehört heute zur Auto-Lobby. Aber das ist nicht ungewöhnlich, denn vieles, was beim Auto endete, hat beim Velo angefangen. Die Brüder Michelin produzierten Veloreifen, bevor sie aufs Auto setzten und Peugeot und Opel waren Velo-Produzenten, bevor sie Autohersteller wurden.

Velos fertigte man nun nicht mehr in Handarbeit, sondern in grossen Fabriken. Sie wurden günstiger und das Stahlross der Reichen wandelte sich zum Drahtesel der Armen. Die fuhren jeden Morgen zu hunderten damit in die Fabriken. Die 1920er-Jahre waren eine goldene Zeit für Radfahrer in der Schweiz. Zum Beispiel setzten sie sich gemeinsam mit den Automobilisten für die Asphaltierung der Strassen ein. Aber die Allianz zerbrach in den 1930ern. Denn die Autos wurden zahlreicher und so kam es immer häufiger zu Streit um den Platz auf der Strasse. Reiter und Fuhrwerke verschwanden nun ganz aus dem Stadtbild und auch die Radfahrer wurden an den Rand gedrängt.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Fahrrad in der Krise. Immer öfter rosteten die Maschinen in Kellern vor sich hin. Schwitzen als Fortbewegungsmittel? Sich abmühen, wenn man einen bequemen Motor haben konnte? Das war nur noch etwas für Arme, Kinder und Spinner. Wer etwas auf sich hielt, leistete sich wenigstens ein «Töffli». Deren Zahl explodierte zwischen 1960 und 1970 von nahe Null auf über eine halbe Million.

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Elektro-Velos erobern auch Schweizer Strassen. (Symbolbild)
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Das Velo gegen Stau und Parkplatzmangel

Die Renaissance kam um 1970. Zuerst stiegen die Veloverkäufe in den USA und in Schweden an, dann schwappte die Welle in die Schweiz über. Das hatte mehrere Gründe. Gerade in den Städten schlichen die Autos immer langsamer voran und suchten immer länger nach Parkplätzen. Hinzu kam, dass die Menschen mehr über ihre Gesundheit nachdachten. Der erste Vitaparcours beispielsweise wurde 1968 eröffnet, fünf Jahre später gab es schon über hundert.

Ein weiterer Impuls kam mit der Ölkrise. Als die Scheichs 1973 den Ölhahn zudrehten und deshalb die Autos stillstanden, wurde vielen Leuten klar, dass das Velo auch im Alltag eine Alternative zum Auto bot. Zudem erhielt es jetzt politisches Gewicht. In Basel und Zürich kam es 1973 zu ersten Velo-Demos und in Basel trugen Radfahrer ihre Gefährte demonstrativ durch die Fussgängerzone, weil nicht mal das Schieben erlaubt war.

Die 1980er waren das Jahrzehnt des Mountain-Bikes. Nach einer langen Zeit ohne nennenswerte Innovation wurde wieder getüftelt und erfunden und es kamen neue Gangschaltungen und Bremssysteme auf den Markt. Dann, in den 1990er-Jahren, lancierte das «Velobüro Olten» praktisch im Alleingang das, was heute als «Veloland Schweiz» bekannt ist: Ein Netz von hunderten Kilometern ausgeschilderter Radwege. Und heute gibt es in der Schweiz so viele Räder wie nie zuvor – auf tausend Leute fast 500 Stück. Ist also alles bestens im Veloland? Die Antwort ist nicht so einfach. Als Sport- und Freizeitgerät hat sich das Rad etabliert. Im Alltag hat es mehr Mühe – mit schlechtem Wetter, steilen Hügeln oder den Gefahren im motorisierten Verkehr. Ein neuer Impuls könnte aber bald aus Bern kommen: Am 23. September stimmen wir darüber ab, ob der Bund künftig die Möglichkeit haben soll, den Veloverkehr zu fördern.

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