In Bern ist sie längst ausgestorben, auf der chilenischen Inselgruppe Juan Fernández ist die Berner Aristokratenfamilie von Rodt immer noch tonangebend. Das Hotel und das Restaurant auf der Hauptinsel Robinson Crusoe gehören Nachfahren des Berner Patriziers Alfred von Rodt (1843 bis 1905), auch eine der wenigen Strassen ist nach ihm benannt. Er ist als letzter «Robinson Crusoe» in die Geschichte eingegangen.
Alfred von Rodt brauchte als Sohn reicher Eltern nicht zu arbeiten – und tat es auch lange nicht. Lieber genoss er das Studentenleben. Später diente er als Offizierssöldner dem österreichischen Kaiser. Bis er im Alter von 34 Jahren als moderner Robinson Crusoe nach Chile auswanderte. «Eine faszinierende Figur», sagt der Lausanner Regisseur Stéphane Goël (52) über den Berner, der sich als König auf seiner Insel fühlte. «Ein karger Felsen im Meer, ein Inselparadies sieht anders aus», sagt Goël. Er hatte zwei Monate dort verbracht und einen Film über den Schweizer Kolonialisten und seine Nachfahren gedreht. Der Film wird am Sonntag am Filmfestival Locarno uraufgeführt.
Ein wüstes Eiland weit im Pazifik draussen
«Seit einem Monat bin ich nun – nach dem Herrgott und der Republik Chile – unumschränkter Gebieter über die Inseln Más-a-Tierra, Más-a-fuera und Santa Clara mit circa 60 Einwohnern, 100 Stück Kühen, 60 Pferden, circa 7000 Ziegen, samt Seehunden, Hummern und Fischen, welche massenhaft vorkommen», schrieb Alfred von Rodt im Juni 1877 in die Heimat. Er fühlte sich als König auf der Insel, auf der einst Alexander Selkirk, das Vorbild für die Romanfigur Robinson Crusoe, ausgesetzt worden war – ein wüstes Eiland rund 700 Kilometer westlich von Santiago de Chile im Pazifik.
Von einem Landsmann hatte von Rodt erfahren, dass Chiles Regierung die kaum bewohnbaren Inseln verpachten wolle. Er meldete sich – «und nachdem ich mich bei einer kurzen Reise dorthin überzeugt hatte, dass sich mit Arbeit und ein wenig Kapital aus diesen Inseln etwas machen liesse, meldete ich mich beim Intendenten von Valparaíso, in dessen Provinz die Inseln liegen». Er bekam den Zuschlag und wurde Subdelegado, Unter-Präfekt. Seinen ersten Brief nach Hause unterschreibt er mit «Robinson Crusoe II».
Er schickte Bettelbriefe in die Heimat
«Mein Königreich» nannte Alfred von Rodt seine Insel, wenn er nach Hause schrieb, erzählt Filmer Goël. Meistens, um nach Geld zu Fragen, das man ihm bitte schicken möchte. Denn meist war er pleite. Nicht immer selbstverschuldet. Er hatte sogar, was man heute einen Businessplan nennen würde: «An den Staat habe ich jährlich die Summe von 1500 Dollar zu zahlen, welche ich allein aus dem Ertrag der Ziegen bestreiten kann. Das Holz bringt jährlich circa 3000 Dollar, die Seehunde je von 1500 bis 3000 Dollar, Fische und Hummer ungefähr dasselbe, und in einigen Jahren, wenn ich meine 1000 Stück Vieh beieinander habe, kann ich auf eine jährliche Einnahme von circa 20'000 Dollar hoffen.»
Hummer in Dosen
Hart traf Alfred von Rodt der Verlust seines ersten Schiffes, das 1878 mitsamt einer Ladung von 400 Seehundsfellen unterging. Er hatte sein ganzes Vermögen investiert und musste in Bern um Geld bitten. Kurz darauf machte ihm der Pazifische Krieg einen Strich durch die Rechnung: Er war von seinen Abnehmerländern Bolivien und Peru abgeschnitten. Und gerade, als er ein florierendes Geschäft mit Hummer in Dosen aufgebaut hatte, brach die chilenische Revolution aus.
Einmal bat er um 20'000 Dollar – eine stolze Summe! Die Familie in der Schweiz liess ihn nicht hängen, obwohl ein Onkel immer wieder eindringlich abriet, dem Abenteurer Geld zu schicken, erzählt Filmer Stéphane Goël. Wobei unklar sei, ob die Familie einfach nur das Geld herausgerückt hatte, das Alfred aus seinem Erbe ohnehin noch zustand.
Seine Frau heiratet er erst kurz vor seinem Tod
Trotz mehrmaligem Aufschwung seiner Geschäfte wurde der Schweizer Robinson Crusoe nicht reich. Seine Insel war nicht die Goldgrube, die er sich erhofft hatte. 1905 starb Alfred von Rodt – nicht gerade verarmt, aber in bescheideneren Verhältnissen als jene, in die er geboren worden war. Kurz vor seinem Tod hat er noch die Mutter seiner sechs Kinder geheiratet. Ihre Nachfahren leben heute noch ein bescheidenes Leben auf der Robinson-Insel, erzählt Filmer Goël.