Das gemeinsame Werk der Archäologischen Dienste der Kantone Bern und Wallis umfasst zwei Bände mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Objekten, die in den letzten Jahren auf den hochalpinen Übergängen Schnidejoch und Lötschenpass aus dem schmelzenden Eis geborgen wurden. Am Donnerstagabend wird das Buch in Lenk BE der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der 500 Seiten starke Bericht dokumentiert auch im Detail, wie es im Hitzesommer 2003 zum ersten, spektakulären Fund kam: Ein Ehepaar aus Thun entdeckte am 17. September bei einer Bergwanderung am Schnidejoch ein im Geröll liegendes 30 Zentimeter langes Objekt, das «in der alpinen Umgebung fremdartig erschien».
Die Frau trug das Fundstück - ein Teil eines Bogenfutterals aus Birkenrinde - bis in die vier Stunden entfernte Wildstrubelhütte, und zwar in den Händen, weil sie keine Möglichkeit hatte, es am Rucksack zu befestigen. Der Hüttenwart verpackte das Objekt dann in einen Karton, so dass es unbeschadet auf den Rucksack geschnallt zu Tale getragen werden konnte.
Nach einer Zwischenstation beim Historischen Museum Bern, wohin die Wanderin ihr Fundstück gebracht hatte, kam das Objekt im Oktober 2003 zum Archäologischen Dienst. Eine Radiokarbon-Datierung offenbarte wenige Wochen später eine Sensation: Das Bogenfutteral - eine Schutzhülle für Pfeil und Bogen - stammte aus der Zeit um 2800-2600 vor Christus.
Damit war belegt, dass auf diesem Übergang zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis schon vor 5000 Jahren ein reger Verkehr geherrscht hatte. Mit dem Fund vom Schnidejoch hätten sich «auf einen Schlag» fast 6000 Jahre Geschichte eröffnet, schreiben die Forscher im Buch.
Denn bis 2003 war dieser hochalpine Übergang nur Einheimischen und Alpinisten bekannt, im Gegensatz zum weiter östlich gelegenen Lötschenpass. Im Rahmen der Ausgrabungen kamen 2004 bis 2011 zahlreiche weitere Objekte wie Schuhe und Lederleggins, Bögen und Pfeile zum Vorschein.
Die ältesten am Schnidejoch gefundenen Objekte stammen gar aus den Jahren 4800-4300 vor Christus. Es handelt sich dabei um die ältesten hochalpinen Funde des Neolithikums in den Alpen. Die Fundstelle am Schnidejoch ist demnach 1000 bis 1500 Jahre älter als diejenige der Gletschermumie «Ötzi» vom Tisenjoch im Südtirol, die 1991 für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Die Forscher suchten auch am Schnidejoch nach menschlichen Überresten, da sie davon ausgingen, dass die damaligen Besitzer der Jagdutensilien auf dem Passübergang ums Leben gekommen waren. Dabei kam ein Team mit Leichensuchhunden des Gerichtsmedizinischen Institutes von Mailand zum Einsatz.
Für ihren speziellen Auftrag am Schnidejoch waren die Hunde mit alten Knochen aus der Römerzeit trainiert worden. Die Tiere zeigten auf dem Eisfeld 19 Stellen an, wovon bei 12 organische Funde gemacht werden konnten. Darunter befanden sich aber keine menschlichen Überreste.