Demokraten im heutigen Sinne findet man nur sehr wenige unter den Männern und Frauen, die im Widerstand gegen Adolf Hitler ihr Leben riskiert haben.
Sind die Attentäter Vorbilder?
Vor allem in bürgerlichen Kreisen, im Adel und unter den Offizieren der Reichswehr gab es viele, die mit den neuen Machthabern zunächst auch Hoffnungen verbanden - etwa mit Blick auf die Überwindung des ungeliebten Vertrags von Versailles.
Darüber, ob die Angehörigen des militärischen Widerstandes heute trotzdem zum Vorbild taugen oder nicht, ist jetzt - 75 Jahre nach dem misslungenen Attentat im Führerhauptquartier Wolfsschanze - eine neue Debatte entbrannt.
Befeuert wird dieser Streit von mehreren neuen Publikationen, die sich vor allem mit der Motivation von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auseinandersetzen, dem Oberst der am 20. Juli 1944 einen Sprengsatz zündete, um Hitler zu töten.
Ging es Stauffenberg darum, eine bedingungslose Kapitulation zu verhindern oder gar um die eigene heroische Tat? Handelte er, der als ranghoher Militär viel wissen musste über die Verbrechen des Regimes, aus religiöser Überzeugung und Verantwortungsgefühl?
Wahrnehmung nach dem Krieg
Das Attentat misslang. Der Diktator überlebte. Stauffenberg und seine Mitverschwörer wurden hingerichtet. Die Gestapo fand bei ihren Ermittlungen heraus, dass die Verschwörer auch Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen ausserhalb des Militärs unterhalten hatten.
Dennoch setzte sich die von Hitler damals in einer Radioansprache gemachte Behauptung, hinter dem Attentat habe nur eine «kleine Clique» von Offizieren gesteckt, in vielen Köpfen fest. Die Verschwörer des 20. Juli wurden vielleicht auch deshalb in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem verlorenen Weltkrieg von vielen Deutschen immer noch als «Verräter» angesehen. Das änderte sich erst allmählich.
Verschwörung als Vorbild für die Bundeswehr
Für das Traditionsverständnis der Bundeswehr hat der militärische Widerstand bis heute grosse Bedeutung. Denn wie Stauffenberg, Generalmajor Henning von Tresckow und andere Militärs, die dem verbrecherischen NS-Regime den blinden Gehorsam verweigerten, so sollen auch die Soldaten der Bundeswehr als Bürger in Uniform selbst denken und nicht blind Befehlen folgen.
Es gab auch andere Widerstandsgruppen
Doch wer den Fokus zu stark auf die Verschwörer aus den Reihen der Wehrmacht richtet, verliert leicht die anderen aus dem Blick, deren Schicksale die Berliner Gedenkstätte im Berliner Bezirk Tiergarten auch dokumentiert, Sophie Scholl und die Weisse Rose, das Widerstands-Netzwerk, dem die Nationalsozialisten den Namen «Rote Kapelle» gaben, der Arbeiter Georg Elser, der schon 1939 eine Bombe gezündet hatte, die Hitler töten sollte, und viele mehr.
Knapp zwei Wochen vor dem 75. Jahrestag lud die Berliner Bertelsmann-Repräsentanz den Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, zum Streitgespräch mit Thomas Karlauf ein.
Karlaufs Biografie «Stauffenberg. Porträt eines Attentäters» hatte zuletzt für einigen Wirbel gesorgt. Tuchel hielt Karlauf, der in seinem Buch den grossen Einfluss des 1933 verstorbenen Dichters Stefan George auf Stauffenberg betont, entgegen, der spätere Attentäter sei sehr wohl «ein politischer Kopf» gewesen.
Vieles bleibt unklar
Da die Protagonisten des militärischen Widerstandes hingerichtet wurden und auch aus dem mit ihm verbundenen «Kreisauer Kreis», der Pläne für eine Nachkriegsordnung erarbeitet hatte, nur wenige überlebten, sind bis heute nicht alle Fragen, die Historiker interessieren, beantwortet.
Vor allem die Frage, was die Verschwörer wann über die Vernichtung der Juden in den Konzentrationslagern wussten, und inwieweit sie dieses Wissen bei ihren Überlegungen leitete, ist bis heute nicht abschliessend geklärt.
AfD vereinnahmt Stauffenberg für eigene Zwecke
Regelrecht empört zeigte sich Tuchel bei der Diskussion mit Karlauf über die von ihm beobachtete Vereinnahmung Stauffenbergs durch die AfD und die sogenannte Neue Rechte, die in ihrer Fundamentalopposition gegenüber den etablierten Parteien oft von «Widerstand» spricht. Die Thüringer AfD-Landtagsfraktion hatte vor zwei Jahren das Konterfei Stauffenbergs mit dem Spruch «Der echte Antifaschismus hat keine bunten Haare» veröffentlicht.
Stauffenberg war kein geeigneter Attentäter
Ähnlich hatte sich zuvor auch Sophie von Bechtolsheim, eine Enkeltochter Stauffenbergs, geäussert. Sie hatte im Juni das Buch «Stauffenberg - Mein Grossvater war kein Attentäter» veröffentlicht. Mit dem Titel will die Autorin ausdrücken, dass es ihrem Vorfahren nicht um die Tat selbst gegangen sei, sondern darum, eine neue Ordnung in Deutschland zu etablieren.
Stauffenberg war als Attentäter keine ideale Besetzung. Das Hantieren mit dem Zünder war für ihn aufgrund seiner Kriegsverletzung nicht leicht. Er hatte 1943 in Tunesien ein Auge, eine Hand, sowie mehrere Finger der anderen Hand verloren.
Ausserdem sollte er auch den Umsturz von Berlin aus vorantreiben. Deshalb flog er am Tag des Attentats, direkt nachdem er den Sprengsatz deponiert hatte, in die Hauptstadt zurück. Dass letztlich er derjenige war, der den Sprengsatz zündete, war auch dem Umstand geschuldet, dass sich unter denen, die Zugang zu Hitler hatten, kein anderer fand, der bereit gewesen wäre, das Attentat auszuführen. (SDA)
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