Manche Menschen arbeiten als Lehrer, andere als Bäcker oder Taxifahrer – Siegfried Massat war Bankräuber. «Es war das, was ich am besten konnte», erklärt der 73-jährige Deutsche in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» seine ungewöhnliche Berufswahl. Stolz sei er nicht darauf: «Im Gegenteil.» Der Grund für die kriminelle Karriere sieht Massat in seiner Jugend als Heimkind: «Dort geht es jeden Tag ums Überleben – jeder ist auf sich gestellt, muss sehen, wo er bleibt. Da geraten Sie schnell auf die schiefe Bahn.»
Um erfolgreich zu sein, müsse man Selbstsicherheit ausstrahlen und immer ruhig sein, erzählt Massat: «Das flösst den Überfallenen Respekt ein.» Ausserdem brauche ein Bankräuber einen guten Plan und ein gutes Team: «Allein schaffen Sie das nicht.» Wie in anderen Berufen sei es wichtig, erfahrene Leute dabei zu haben. Sie seien jeweils zu dritt gewesen, der Fahrer («er hat uns sicher durch manche Verfolgungsjagd gebracht») und ein weiterer Kollege, mit dem er in die Banken hineingegangen sei.
«... dann sind wir seelenruhig nach Hause gefahren.»
Der Ablauf sei immer ähnlich gewesen, erinnert sich Massat, irgendwann laufe das ganz automatisch ab: «Wir fuhren vor die Bank, mein Kollege und ich sprangen maskiert aus dem Auto, jeder mit einer Pumpgun oder einer abgesägten Schrotflinte in der Hand. Mein Kollege hat sich dann um die Angestellten gekümmert, während ich mit der Waffe vorne stand und den Kunden Anweisungen gegeben habe.» Diese Anweisungen habe er extra kurz und in gebrochenem Englisch vorgebracht: «Damit die Leute dachten, wir kämen aus dem Ausland.»
Idealerweise seien möglichst viele Kunden in der Bank: «Dann sind die Angestellten angewiesen, zu kooperieren, um die Kunden möglichst wenig zu gefährden.» Bevorzugtes Einsatzgebiet sei das Ruhrgebiet (D) gewesen. Dort hätten sie Filialen ausgesucht, die ein bisschen ausserhalb lagen und maximal acht Angestellte hatten. Bei grossen Banken oder solchen im Zentrum einer Grossstadt sei das Risiko zu gross: «Da passieren immer Dinge, die Sie nicht beeinflussen können.» Gut fürs Geschäft sei die Nähe einer Autobahnauffahrt: «Die haben wir zwar nie benutzt, weil die Polizei die Autobahn in Nullkommanix sperren kann. Aber so waren stets ein paar Einsatzkräfte gebunden. Und das war wichtig für unsere Flucht.»
Am liebsten machten sie es im Herbst.
Sogar eine Lieblingsjahreszeit hatte die Verbrecherbande für ihre Taten und zwar den Spätherbst. «Da ist das Wetter schlecht, es regnet viel, und draussen ist es früh dunkel.»
Drei, vier Minuten habe der Überfall jeweils gedauert, das sei das Maximum: «Man muss immer damit rechnen, dass irgendjemand den Alarmknopf drückt. Selbst wenn man es nicht merkt: Es wird fast immer heimlich Alarm ausgelöst, und dann ist die Polizei ruckzuck da.»
Nach Verlassen der Bank seien sie mit einem gestohlenen Auto etwa zwei Kilometer weit gefahren, hätten Masken und Overall entsorgt, das Auto gewechselt und sich dann im Wald versteckt: «Die Polizei erwartet, dass Sie immer in Bewegung sind. Wenn Sie sich aber nicht bewegen, kann Sie auch keiner anhalten. Das war unsere Erfolgsgeheimnis.» Erst am anderen Tag hätten sie sich auf den Weg gemacht: «Jeder ist einzeln zu seinem Privatauto gegangen, das wir in der Nähe abgestellt hatten. Und dann sind wir seelenruhig und unbehelligt nach Hause gefahren.»
Auch wenn es merkwürdig klinge, Bankräuber hätten einen Fulltime-Job: «Sie müssen Banken auskundschaften, Fluchtfahrzeuge besorgen und, und, und.» Bei seinen Überfällen hatte das Trio echte Waffen dabei. «Heute schaudert es mich allein bei dem Gedanken», zeigt sich Massat reuig, allerdings nicht ohne anzufügen, dass man seiner Meinung nach «die Operation ohne echte Waffe nicht zum Erfolg führen könne».
Von wegen Erfolg: In den guten Zeiten habe das Trio oft 35 000 D-Mark pro Nase erbeutet, erzählt Massat. Das Ganze sei eine Kosten-Nutzen-Rechnung gewesen. Wie viel die Überfälle insgesamt eingebracht haben, will er nicht verraten: «Ich bin jetzt 73 Jahre alt und habe für meine Taten insgesamt 30 Jahre im Gefängnis gesessen. In den Jahren dazwischen ging es mir nicht schlecht.» Heute sei allerdings alles weg, und er lebe hauptsächlich von der Sozialhilfe: «Darum kann ich wirklich niemandem empfehlen, meinen Weg einzuschlagen.»
Sein Mitgefühl für die Opfer hat Massat erst spät entdeckt: «Erst als ich über Umwege einmal Opfer meiner Taten kennengelernt habe, bin ich aufgewacht. Vorher habe ich nie darüber nachgedacht, was ich bei den Menschen seelisch anrichte.»