Mehr Lust und Nähe, aber auch mehr Pornos und Streit
Wie die Pandemie unsere Lust veränderte

Wir klebten mehr aufeinander oder fühlten uns erst recht allein. Wie die Pandemie unsere Partnerschaft und unser Sexleben beeinflusste.
Publiziert: 26.07.2021 um 01:08 Uhr
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Aktualisiert: 26.07.2021 um 11:15 Uhr
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Psychotherapeutin und Sexologin Dania Schiftan: «Ich kenne ein Paar, das jetzt mehr Spontansex hat. Auch mal zwischen zwei Calls, wenn es sie überkommt.»
Foto: Thomas Meier
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Alexandra Fitz

Plötzlich war der Partner morgens da, mittags da, abends da. Also immer da. Homeoffice, Kurzarbeit, fehlende Freizeitbeschäftigungen, wenig Kontakt zu anderen. Wir waren zwangsläufig mehr mit dem «Inneren» beschäftigt, weil das «Äussere» wegfiel.

Was hat diese Pandemie neben all den gesundheitlichen, finanziellen und psychischen Folgen mit unseren Beziehungen gemacht? Wie hat sie unser Sexualleben verändert?

Nach vielen Gesprächen mit Expertinnen und der Auswertung von Statistiken kommen wir zum Schluss: Diese Pandemie hat das Miteinander und unsere Intimität verändert. Aber Corona hat sich nicht auf alle Paare gleich ausgewirkt. Es gibt zwei Extreme. Gewinner und Verlierer.

Die Gewinner

Beginnen wir mit den Gewinnern der Krise: Viele Paare – vor allem diejenigen im Homeoffice – konnten sich endlich den Raum nehmen, den sie eigentlich brauchen. Mehr Zeit, mehr Spass, mehr Geborgenheit, tiefere Gespräche – und abnehmende Eifersucht.

«Ich kenne ein Paar, das jetzt mehr Spontansex hat. Auch mal zwischen zwei Calls, wenn es sie überkommt», erzählt Psychotherapeutin und Sexologin Dania Schiftan. Diese Paare haben vorher oft gelitten, dass der einzige Slot für Zärtlichkeit der Sonntagmorgen war und sie dann vielleicht gar nicht in Stimmung waren. Christiane Weinand (56), Sexualberaterin mit Praxis in Bern, berichtet von einem starken «Wir-Gefühl», von einer bindungsorientierten Intimität. Die wiederum Auslöser für eine gesteigerte Sexualität sein kann.

Diese positive Veränderung bestätigen auch Umfragen. Die Datingplattform Parship fand heraus, dass bei drei von vier Paaren die Beziehung in der Pandemie stärker geworden ist. Viele geben an, dass in unsicheren Zeiten Stabilität in der Partnerschaft besonders wichtig sei. So sind sich 77 Prozent der Befragten sicher, dass ihr Partner, ihre Partnerin ihnen geholfen hat, die Zeit besser zu überstehen. Sie hätten sich bewusst sowohl auf das Gute in der Partnerschaft als auch auf das Gute des Partners, der Partnerin konzentriert. 52 Prozent der in Partnerschaft lebenden Schweizerinnen und Schweizer geben an, dass sich ihr Sexleben seit der Pandemie intensiviert hat.

Ähnliches zeigt eine kürzlich erschienene Studie aus Deutschland vom Institut für Sexualforschung des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Drei Viertel geben an, dass sie Veränderungen im Zwischenmenschlichen erlebten. Und diese wurden eher als positiv empfunden. «Die Mehrheit hatte ein verstärktes sexuelles Verlangen. Konkret nach Nähe, Intimität und Körperlichkeit. Sie berichten von mehr Sex und besserem Sex. Gleichzeitig wurde auch mehr masturbiert», sagt Johanna Schröder (34), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Generell habe man sich in der Pandemiezeit mehr mit Sexualität und der Beziehung beschäftigt.

Die Verlierer

Anders war es für Singles oder Menschen, die in einer schlechten Beziehung steckten. Singles taten sich viel schwerer, ihre Sexualität auszuleben und Menschen kennenzulernen. «Man nutzte zwar vermehrt den virtuellen Raum, um mit Menschen in Kontakt zu treten, aber wegen der Massnahmen wie Social Distancing gab es weniger Treffen und sexuelle Kontakte», erklärt Schröder.

Es gab Paare, denen alles zu viel war und die nicht mal an Sex denken konnten/wollten. Das betraf vor allem Paare mit Kindern. Und Frauen. Eine These besagt, Frauen haben in Krisenzeiten weniger Lust auf Sex als Männer. Gibt es wirklich einen Geschlechterunterschied? «Nein nicht im genetischen Sinne, aber es komme darauf an, wie man Sexualität gelernt hat», sagt Sexologin Schiftan. Bei Frauen müssen meist die Emotionen stimmen, sie müssen sich geborgen und gut fühlen, um Lust auf Sex zu haben. Die meisten Männer gewöhnten sich an, Sex zu haben, um sich zu regulieren, um sich wieder gut zu fühlen. «Wenn sie Stress haben, holen sie sich einen runter», sagt Schiftan.

Zudem veränderte sich die Stimmung zu Hause vom ersten zum zweiten Lockdown. In der ersten Phase war noch eine gewisse Euphorie da à la «Das packen wir! Wir halten zusammen». Man fand die Zeit mit dem Partner aufregend. Beim zweiten, so Schiftan, war vieles unklar. Schon wieder? Wie lange? Halte ich das noch mal aus? Für viele Paare sei es schwerer gewesen im zweiten Lockdown.

Das war auch die Zeit, in der sich Menschen bei Paartherapeuten meldeten. Weinand bestätigt, dass während Corona deutlich mehr Patienten gekommen sind. «Nach dem ersten halben Jahr fing es an anzuziehen», sagt die Sexualtherapeutin. Die Leute hätten sich bewusster mit sich selbst beschäftigt und sich angefangen zu reflektieren.

Schiftan und Weinand sind sich einig: Man kann nicht sagen: «Du böse Pandemie hast unsere Beziehung kaputt gemacht.» Die Pandemie habe als Katalysator funktioniert. Die Paare, die es vorher gut hatten, werden gut durch Corona gekommen sein. Die Beziehungen, die vorher schon im Argen lagen, wurden noch problematischer.

Die Gründe

Und haben sich diese Paare getrennt? Schiftan ist der Meinung, dass man sich während einer Krise weniger trennt. Man will nicht alleine sein, hinzu kommen logistische Gründe wie etwa die Wohnungssuche oder finanzielle Gründe. Doch sobald sich alles normalisiert habe, könne es «räbeln». Schiftan meint: «Ich kann mir gut vorstellen, dass Trennungen in den nächsten ein bis zwei Jahren zunehmen.»

Und wenn man es so gut hatte wie nie zuvor? Wie rettet man die neue Nähe in die Zukunft? Schiftan hat eine klare Anleitung: Ja nichts überstürzen. Man sollte nicht einfach zum vermeintlich Bekannten übergehen, sondern sich hinterfragen.

Schiftan schlägt aktive Paarzeiten vor. Man soll bewusst abmachen, auch wenn das Leben aussen wieder sehr anzieht. Es könnte zu Reibungen führen, wenn jeder von heute auf Morgen wieder seinen Hobbys nachgeht und ständig unterwegs ist. À la longue wäre es gut, einen fixen Paartag zu haben. Viele haben nämlich während der Pandemie gemerkt, dass sie für eine intakte Beziehung eigentlich mehr Zeit füreinander bräuchten.


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