Abschied vom Fliegen
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Flugbegleiterin über Abschied:Abschied vom Fliegen

Pilot und Flugbegleiterinnen über den Abschied aus ihrem Traumberuf
Wegen Corona für immer gegroundet

Corona trifft die Flugbranche hart. Wir haben mit zwei Flugbegleiterinnen und einem Piloten gesprochen, die sich schweren Herzens von ihrem Beruf verabschiedet haben. Für sie war Fliegen weit mehr als nur ein Job.
Publiziert: 05.12.2020 um 13:38 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2021 um 09:05 Uhr
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Für die 21-jährige Jana Siegfried (r.) aus Buchs AG war Flugbegleiterin ein Traumberuf. Bis Corona kam.
Jonas Dreyfus

Sie habe Kerosin im Blut, sagt Jana Siegfried. Bis vor kurzem war sie Flight Attendant bei der Swiss – jetzt arbeitet sie in der Buchhaltung einer Firma für Gartengeräte. Die 21-jährige Aargauerin ist eine von drei Personen, die sich bereit erklärt haben, mit dem SonntagsBlick Magazin über ihren Abgang aus der Fliegerei zu sprechen. Eine Branche, die wegen Corona-Angst, Quarantäneauflagen, Einreisestopps und dem Rückgang von Geschäftsreisen so heftig unter der Epidemie leidet wie kaum eine andere.

Laut dem World Airport Traffic Report 2020, der Anfang Oktober erschien, gingen die Flugbewegungen im ersten Halbjahr weltweit um 41,6 Prozent zurück – die zweite Welle ist in dieser Statistik noch nicht einmal berücksichtigt. Die grösste Schweizer Airline Swiss verliert pro Tag zwischen 1,5 bis 2 Millionen Franken und beförderte von Januar bis September 70 Prozent weniger Passagiere als in der Vorjahresperiode. Zynisch formuliert, hat Corona das erreicht, was sich Klimastreikende und alle, die sich wegen der Erderwärmung Sorgen machen, bisher vergeblich wünschten: Die Flugbranche läuft auf Sparflamme.

Eine «schwierige» Stimmung

Selbst wenn das Geschäft irgendwann wieder anzieht: Das Geld, das jetzt fehlt, muss in Zukunft eingespart werden. Bei der Swiss soll das bis Ende 2023 unter anderem mit Hilfe von Frühpensionierungen und der freiwilligen Reduktion von Pensen geschehen. Die Stimmung unter den Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern sei schwierig, sagt David Martinez von der Gewerkschaft Kapers, die fürs Kabinenpersonal ein Massnahmenpaket verhandelte. «Viele haben Zukunftsängste und vermissen den fliegerischen Alltag.»

Die Situation der Piloten sieht nicht besser aus. Wegen Corona kam es in dieser Berufsgruppe, in der noch vor kurzem ein Fachkräftemangel herrschte, innerhalb kürzester Zeit zu einem Überschuss. Eine Idee, was Piloten anstelle von Fliegen machen könnten, hatten die SBB: Lokomotiven führen. Vor allem im Grossraum Zürich erhalte man viele Bewerbungen aus der Flugbranche, sagt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi. Doch um definitiv sagen zu können, wie sich die Idee auf Anstellungen auswirke, dafür sei es noch zu früh.

Eine Mauer des Schweigens

Ein Muster zeigt sich bei der Recherche in der Flugbranche immer wieder – und am stärksten bei den Arbeitnehmern, die noch in einem Anstellungsverhältnis stehen: Fast jeder hätte etwas zu sagen, fast niemand tut es. E-Mail-Anfragen landen beim Kollegen des Kollegen des Kollegen. Oder bei anonym kommunizierenden Personen, die Äusserungen, mit denen sie sich exponieren würden, zuerst dreimal überschlafen möchten, um sie dann zurückzuziehen. Die Angst, dass einem eine öffentliche Äusserung zum Verhängnis werden könnte, ist nachvollziehbar in Anbetracht einer Branche, in der Kündigungen drohen.

Es werde ganz entscheidend sein, sagt Thomas Steffen vom Berufsverband des Cockpitpersonals der Swiss, wann die ersten Corona-Impfstoffe zur Verfügung stehen und ob sie die erhoffte Wirkung zeigen.

«Es war ein komplett anderes Feeling als vor Corona»

Flugbegleiterin Jana Siegfried (21) aus Buchs AG hat es geliebt, wenn ihr Passagiere begeistert von ihren Ferienerlebnissen erzählten. Als die Pandemie ausbrach, wurde das immer seltener – und bei ihr kamen Ängste auf.

«Als ich im Oktober meinen letzten Flug hatte, sind am Schluss die Tränen geflossen. Ich war zwei Jahre Vollzeit Flight Attendant bei der Swiss und hatte eigentlich vor, das mein ganzes Leben lang zu bleiben.

Ausschlaggebend dafür, dass ich schweren Herzens aufgehört habe, war die Befürchtung, als 20-Jährige, die alleine wohnt, eine Kündigung oder einen Abfindungsvertrag auf dem Tisch zu haben und nichts Neues zu finden.

Erste Ängste hatte ich schon, als es angefangen hat mit der Corona-Krise. Wenn man mit weniger als dreissig Passagieren nach Übersee fliegt, gibt das einem zu denken. Die Geschäftsleitung hat immer klar und transparent kommuniziert, wie wir als Angestellte mit der Situation umgehen sollen. Doch die Unsicherheit, die ich bei den Passagieren spürte, nahm mich mit.

Plötzlich wollten Leute nicht mehr neben einer fremden Person sitzen. Dass mir jemand begeistert von seinen Ferienerlebnissen erzählte, kam nur noch selten vor – viele mieden jeden Kontakt und wollten einfach so schnell wie möglich zurück in ihre Heimat.

In den Übersee-Destinationen musste ich als Flight Attendant den Aufenthalt während der Krise im Hotel verbringen. Das war für mich jederzeit vollkommen nachvollziehbar, aber einfach ein ganz anderes Feeling als vor Corona.

Der Kontakt mit den Passagieren war mir sehr wichtig – ich habe jemandem sofort angesehen, ob er das Bedürfnis hat, sich zu unterhalten. Abläufe koordinieren – zum Beispiel einen ganzen Service –, das habe ich mit viel Leidenschaft getan. Mein Ziel war es, Maître de Cabine zu werden und für den Passagierbereich im ganzen Flieger verantwortlich zu sein.

Flugbegleiter haben heute nicht mehr so lange und luxuriöse Aufenthalte am Zielort wie früher. Doch die ein, zwei Tage an typischen Ferienorten wie Daressalam in Tansania kamen mir vor wie ein Klassenlager, von dem man sich wünscht, dass es niemals zu Ende geht. Im Gegensatz zu Städten wie New York oder Boston, wo jeder für sich seine Besorgungen machte, hatte die Crew an Orten wie Johannesburg gemeinsame Rituale. Es war zum Beispiel klar, dass man gemeinsam gutes Fleisch essen geht und Wein einkauft.

Während meiner Zeit als Flugbegleiterin hat sich für mich gezeigt, wer meine engen Freunde sind: diejenigen, die an den Wochenenden, an denen ich arbeitete, auf mich verzichten konnten und sich dafür unter der Woche Zeit für mich nahmen. Eine Beziehung zu führen, ist als Flight Attendant auch nicht einfach. Eifersucht ist ein grosses Thema. Wenn der Partner weiss, dass man das ganze Wochenende mit der Crew in Miami verbringt, denkt er womöglich ständig daran, was alles passieren könnte.

Ich habe viel Freizeit mit anderen Flugbegleitern verbracht. Vergangenes Jahr war ich mit einer Kollegin drei Wochen als Backpacker in Vietnam unterwegs. Dass ich sehr günstig fliegen konnte, nutzte ich einige Male aus. Städte wie Paris, Amsterdam und Dublin sah ich zum ersten Mal.

Es war nicht nur ein Job, von dem ich mich verabschiedet habe, auch meinem alten Privatleben musste ich Adieu sagen. Seit dem 1. November arbeite ich in der Buchhaltung einer Firma, die Gartengeräte verkauft. Ich habe mich wieder eingelebt in die Bürowelt und vorerst abgeschlossen mit der Welt des Fliegens.»

«Ich weiss, was es heisst, fast alles für seinen Traum vom Fliegen zu opfern»

Daniel Eicher (61) aus Rapperswil-Jona SG war 25 Jahre als Pilot tätig – zuletzt flog er die Boeing 777. Dass sein Berufsleben wegen einer Epidemie abrupt enden könnte, hätte er nie für möglich gehalten.

«Am 24. August bin ich das letzte Mal geflogen – nach einer 25-jährigen Karriere bei Crossair und Swiss. Das Pensionsalter für Piloten ist 61. Bei Bedarf wird es auf 62 erhöht, was bei mir der Fall war. Mein Vertrag lief eigentlich noch bis im März 2021. Doch aufgrund von Corona erhielt ich vorzeitig die Kündigung. Das ist nachvollziehbar, doch dass mein Berufsleben so abrupt endete, war für mich nicht einfach. Fliegen war immer mein Traumjob.

Als Pilot muss man stets auf unterschiedliche Situationen vorbereitet sein. Doch als ich Anfang März in Singapur erstmals ein Briefing mit Maske abhielt, war das etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Nach einem Tag in Zimmerquarantäne flog ich Passagiere zurück nach Zürich und dachte mir, dass das jetzt meine letzte Landung werden könnte. Es folgten aber noch einige aussergewöhnliche Einsätze. Zum Beispiel ein 36-stündiger Cargo-Flug nach Shanghai und zurück, ohne auszusteigen, mit dem wir Masken und Gummihandschuhe in die Schweiz brachten.

Es war ein Privileg meines Berufs, dass ich quasi in der Pause neue Welten kennenlernen konnte. Ich bin mit dem Velo über die Golden Gate Bridge in San Francisco und mit den Rollerblades den Venice Beach in Los Angeles entlanggefahren, habe in Miami das Beach Life genossen und in Bangkok Streetfood gegessen.

Ich bin eine sehr aktive Person. Bevor ich Pilot wurde, war ich Eishockey-Profi – zuerst in Rapperswil-Jona, dann bei Ambrí-Piotta. 56 Stunden in Quarantäne alleine in einem Hotelzimmer verbringen zu müssen, wie im August in Bangkok, fiel mir nicht leicht.

Zum Fliegen bin ich übers Fallschirmspringen gekommen. Ich habe mich in Davos, wo ich einen Teil meiner Jugend verbracht habe, einer Gruppe angeschlossen, die im Tessin Fallschirm springen ging. Das war damals noch nicht so verbreitet wie heute. Im Para Centro in Locarno arbeitete ich als Fallschirmsprunglehrer, und ich absolvierte dort die Ausbildung zum Absetzpiloten. Das ist der, der die Springer nach oben bringt. Zum Beispiel in einer Pilatus Porter, die ich heute noch mit Leidenschaft fliege.

Am Fliegen faszinieren mich unter anderem die Technik, die in einem Flieger steckt, und die Leistung, die seine Motoren erbringen. In den letzten viereinhalb Jahren bin ich die Boeing 777 geflogen. Mit 350 Tonnen auf der Piste zu beschleunigen und mit über
300 km/h und 340 Passagieren an Bord abzuheben, ist ein überwältigendes Gefühl.
Zudem habe ich es geliebt, mit einem 17-köpfigen Team unterwegs zu sein.

Die Emotionen, die ich auf meinem letzten Flug hatte, sind schwer in Worte zu fassen. Es hat mich sehr berührt, wie mich die Crew verabschiedet hat. Die Maître de Cabine hat zum Beispiel die Passagiere darüber informiert, dass ich meinen letzten Arbeitstag habe, und Blätter verteilt, auf denen sie mir ein paar Worte widmen konnten. 150 von ihnen haben sich daraufhin schriftlich bei mir bedankt.

Seit meiner Pensionierung verbringe ich viel Zeit mit meiner Frau und meinem viereinhalbjährigen Sohn. Oder mit Gartenarbeit rund ums alte Haus, in das wir im Frühling gezogen sind.

Allen jungen Piloten wünsche ich von ganzem Herzen, dass sich die Situation so bald wie möglich normalisiert. Ich weiss, was es heisst, fast alles für seinen Traum vom Fliegen zu opfern.»

«Flugzeuge beim Starten und Landen zu beobachten, beruhigt mich»

Laura Ugoletti (27) aus Bremgarten AG war Maître de Cabine. Während des Lockdowns hat sie gemerkt, wie anstrengend der Job für sie war. Inzwischen arbeitet sie am Empfang des Zürcher Unispitals.

«Meine Faszination für den Beruf der Flugbegleiterin kommt aus meiner Kindheit. Weil mein Vater bei der Swiss arbeitete – damals noch Swissair –, bin ich schon als 5-Jährige relativ früh regelmässig zu unseren Verwandten nach Brindisi in Süditalien geflogen, und zwar als UMNR. Das ist in der Flugbranche die Abkürzung für ‹unaccompanied minor›, auf Deutsch: unbegleiteter Minderjähriger.

Im Shuttle-Bus durfte ich vorne neben dem Fahrer sitzen. Die Flight Attendants, die zu mir geschaut haben, waren elegante, schön frisierte Ladys, die immer ein Lächeln für mich übrig hatten. Ich wollte genauso sein wie sie. Nach der Schule habe ich eine Coiffeure-Lehre gemacht und danach bei der Swiss angefangen.

Jeder, der schon einmal geflogen ist, kennt das Kribbeln, das einen beim Start erfasst. Das Gefühl einer Chance, die sich bietet, etwas Neues kennenzulernen. Rauszukommen. Ich spüre immer ein starkes Gemeinschaftsgefühl in der Kabine. Niemand kann sie verlassen, man muss sich gemeinsam arrangieren.

Die Ausblicke über Inseln wie Grönland oder Länder wie Afghanistan sind atemberaubend. So etwas gibt es nirgendwo sonst zu sehen. Fliegen hat für mich etwas Magisches. Wenn ich im Moment eine Maschine am Himmel sehe, gehe ich immer gleich online schauen, wohin sie unterwegs ist.

Ich bin sechs Jahre geflogen, eineinhalb Jahre davon als Maître de Cabine. Ich habe es geliebt, auch wenn immer alles pressierte. Oft mussten wir Zeit aufholen, manchmal gab es Probleme mit Passagieren, die ich aufgrund meiner Position lösen musste.

Ein Vorfall mit einem 1,90 Meter grossen Mann Mitte 50 im Anzug ist mir geblieben. Er war sehr wütend und hat ausgerufen, weil er wegen einer Verspätung seinen Anschlussflug verpasste. Als junge, kleine Frau ist es nicht leicht, so jemandem entgegenzutreten und ihn zu beruhigen. Ich bin 1,58 gross – was die Mindestgrösse ist für Flight Attendants.
Das hat nichts mit einem Schönheitsideal zu tun, sondern mit der Höhe der Gepäckfächer. Um sie zu schliessen, musste ich mich selbst in Stöckelschuhen strecken.

Wie anstrengend mein Job war, habe ich erst gemerkt, als der erste Lockdown kam und ich zwei Wochen zu Hause sass. Vorher hatte ich gar keine Zeit zu reflektieren. Dass Corona einen längerfristigen Impact auf die Wirtschaft haben könnte, habe ich verdrängt. Unbewusst hat es sicher mit eine Rolle gespielt, dass ich mich entschlossen habe, mich umzuorientieren.

Seit August arbeite ich im Unispital Zürich am Empfang. Ruhig ist es dort im Moment natürlich auch nicht. Doch körperlich ist es nicht so fordernd. Mir gefällt die Arbeit am Empfang, weil ich – wie beim Fliegen – ständig mit Menschen in Kontakt bin. Und ich immer noch unregelmässige Arbeitszeiten habe. Ein Nine-to-five-Job wäre nichts für mich.

Die aktuelle Situation in der Flugbranche macht mich traurig. Die Krise trifft so viele Menschen – vom Kabinen- über das Bodenpersonal bis zu den Reinigungskräften. In meiner Freizeit fahre ich oft mit meiner Vespa zum Outdoor-Grill am Flughafen Zürich, spaziere am Rand des Naturschutzgebiets und schaue den wenigen Flugzeugen zu, die im Moment starten und landen. Das beruhigt mich.»

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