Unser Immunsystem ist untrainiert
Ohne Masken würde der Schweiz eine Erkältungswelle drohen

So mühsam es ist, Mund und Nase abdecken zu müssen – es hat den Nebeneffekt, dass wir seit Beginn der Pandemie viel weniger oft krank waren. Jetzt, wo wir dank Zertifikat an weniger Orten Masken tragen müssen, droht die Gefahr, dass uns rückwirkend alles einholt.
Publiziert: 30.10.2021 um 15:52 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2021 um 21:33 Uhr
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Masken sind mühsam zu tragen, haben aber den angenehmen Nebeneffekt, dass wir viel weniger oft erkältet sind.
Foto: keystone-sda.ch
Jonas Dreyfus

Es kommen derzeit wieder mehr Erwachsene mit Infekten der oberen Luftwege in die Medbase Winterthur Neuwiesen – ein Zentrum, in dem rund 10 Allgemeinmedizinerinnen und -medizinerinnen pro Tag bis zu 250 Patienten betreuen. Die Zahl sei zwar noch überschaubar, sagt der stellvertretende Leiter Christian Ambrosch. Aufgrund der kälteren Jahreszeit, in der wir uns vermehrt in Innenräumen aufhalten, sei aber in den kommenden Monaten von einer deutlichen Zunahme von Erkältungen auszugehen. «Die Bevölkerung war kaum mehr erkältet, weil sie sich mit Maskentragen und Hygieneregeln gegen die Übertragung von Covid-19 schützen musste.» Wie gross das Ausmass diesen Herbst jetzt sein wird, wo Masken nicht mehr so häufig getragen werden als noch vor einem Jahr, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.

Man hat fast vergessen, wie es sich anfühlt: Das Kratzen im Hals, das sich vor der Corona-Pandemie bei vielen regelmässig bemerkbar machte, wenn die Temperaturen sanken. Das Zertifikat hat den Vorteil, dass wir Masken jetzt nicht mehr so oft tragen müssen. Im Kino, zum Beispiel, sind wir vor Covid einigermassen geschützt im Zuschauerraum, wenn alle um uns herum geimpft, getestet oder genesen sind. Vor Erkältungsviren aber nicht.

Vor einem Jahr schlossen die Clubs

Vergangenes Jahr war die Situation eine andere: Viele von uns sassen komplett im Homeoffice. Und wenn wir mal rausgingen, mussten wir fast überall eine Maske tragen. Ende Oktober 2020 schlossen die Clubs. Das alles mag für viele deprimierend gewesen sein, führte aber auch zu einer Art Glück im Unglück: Wer nicht an Corona erkrankte, lebte oftmals so gesund wie nie zuvor.

Dass eine Erkältungswelle droht, bestätigt auch Arzt Marc Jungi vom Berner Ableger der Gruppenpraxis-Kette Sanacare, die rund 120'000 Patienten betreut. Es bestehe die Gefahr, dass wir als Bevölkerung kollektiv vulnerabler seien als sonst, weil wir quasi eine Saison übersprungen hätten, sagt er. «Wenn wir jetzt ganz aufhören würden, Masken zu tragen, hätten Viren ein leichtes Spiel. Denn wir haben ein Jahr hinter uns, in dem unser Immunsystem kaum Antikörper bilden musste.»

Wir haben dieselben Erkältungen wie immer, einfach heftiger

Wie elend wir uns bei einer Erkältung fühlen, hat weniger mit der Bösartigkeit des Virus zu tun als mit der Heftigkeit, mit der unser Körper darauf reagiert. Jetzt, wo unser Immunsystem nicht mehr so gut im Gedächtnis hat, wie es auf Eindringlinge reagieren muss, können uns Erkältungen, die wir vor Corona mit ein paar Hustenbonbons und Taschentücher hinter uns gebracht haben, mit Fieber, Kopfweh, Gliederschmerzen und Schüttelfrost ins Bett legen.

Nicht nur Erkältungs-, sondern auch Grippeviren können jetzt ungestört wüten. Umso eindringlicher empfiehlt Jungi die Grippeimpfung. Vor allem ältere Menschen oder Personen mit chronischen Krankheiten seien im Moment gefährdet. «Für sie kann eine Infektion tödliche Folgen haben.»

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