Hier geniesst Brigitte (61) ihr letztes Konzert
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Emotionaler Moment:Hier geniesst Brigitte (61) ihr letztes Konzert

Unheilbar krank zur Kelly Family
Hier geht Brigittes (61) letzter Wunsch in Erfüllung

Die Ärzte haben Brigitte (61) bis Ende Jahr gegeben. Am Samstag ging ihr letzter Wunsch in Erfüllung – ermöglicht hat ihn der ehrenamtliche Verein Wunschambulanz. Wir haben Brigitte auf ihrer letzten Reise begleitet.
Publiziert: 24.12.2022 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2022 um 17:57 Uhr
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Brigitte (61) hat unheilbaren Krebs – ihr letzter Wunsch: Noch einmal ein Konzert ihrer Lieblingsband Kelly Family sehen.
Foto: Siggi Bucher
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Lea ErnstRedaktorin Gesellschaft

Brigitte (61) schaut auf das Meer aus Köpfen hinunter. Ganz still sitzt sie auf dem Balkon der Loge in einer Trage. Die Hand vor dem Mund, Rührung in den Augen. Die Menge erschaudert vorfreudig, als die ersten Gitarrenakkorde des Hits «An Angel» durch das Zürcher Hallenstadion klingen. Ihre Lieblingsband noch einmal live zu sehen, ist Brigittes letzter Wunsch. Sie ist unheilbar krank.

«Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Engel», singen die Kelly Family auf Englisch. Kunstschnee rieselt ins Publikum. Die sechs Geschwister tragen roten Samt, auf der Leinwand hinter ihnen erstrahlt ein riesiger Weihnachtsbaum. Am Samstagabend machte die wohl bekannteste Musikerfamilie auf ihrer Weihnachtstournee Halt in Zürich.

Auch Brigittes Leidenschaft für die Kelly Family hat in der Weihnachtszeit angefangen, erinnert sich die Schaffhauserin. «Mein Mann und ich waren damals an ihrem Konzert.» Von den englischen Songtexten verstand sie nicht viel. «Aber ich wusste einfach: Das ist meine Musik.» Das war vor über 30 Jahren.

Brigittes Lieblingslied: «El Camino». Die Kelly Family heute Abend noch einmal live zu sehen, bedeutet ihr viel. «Natürlich hätte ich noch andere Wünsche – zum Beispiel, noch ein paar schöne Jahre mit meinem Mann zu verbringen.» Ihre Diagnose: Lungen- und Leberkrebs. Dazu Ableger an der Wirbelsäule. Die Ärzte haben ihr bis Ende Jahr gegeben. Brigitte sagt: «Aber noch bin ich hier!»

Mehr als 400 letzte Wünsche

Der Mann, der diesen Abend ermöglicht hat, sitzt ebenfalls in der Loge: Petar Sabovic (58). Vor sechs Jahren hat er die Wunschambulanz gegründet. Ein Verein, der unheilbar kranken Menschen ihren letzten Wunsch erfüllt. Mit seinem Krankenwagen und jeweils vier qualifizierten Freiwilligen aus dem Gesundheitswesen holt er die Menschen zu Hause ab und bringt sie dahin, wo sie noch einmal sein möchten.

Was wünscht man sich, wenn sich das Leben dem Ende zuneigt? «Manche Menschen möchten noch einmal in den Zoo, noch einmal im See schwimmen oder das Fussballspiel ihres Sohnes schauen», sagt Sabovic. Er erinnert sich an eine 23-jährige Frau, die unbedingt Trauzeugin bei der Hochzeit ihrer besten Freundin sein wollte. «Es war traurig, zu sehen, dass sie all dies nie selber erleben wird.» Doch generell sei die Stimmung schön, gar ausgelassen. Einen bis zwei Wünsche erfüllen er und sein ehrenamtliches Team pro Woche. Kostenlos. Der Verein wird durch Spenden finanziert.

Inspiriert wurde Sabovic von den holländischen Wunscherfüllern Pendant Ambulance Wens. «Ich dachte: Genau das brauchen wir in der Schweiz auch.» Viele Menschen, die palliativ, also unheilbar krank sind, sitzen für lange Zeit zu Hause oder im Spitalbett, sind nicht mehr mobil. Einen Krankenwagen für einen Ausflug zu mieten, wäre viel zu teuer. Sabovic sagt: «Da kommen wir ins Spiel.» Zur Hälfte seien es die kranken Menschen oder ihre Angehörigen, die ihn anfragen. Die eigene Mutter oder den besten Freund noch einmal ausserhalb des Spitalbetts zu erleben, sei für viele Angehörige sehr wichtig. Die andere Hälfte der Wünsche wird über Pflegeinstitutionen angefragt.

Sabovic will den Menschen Mut machen. Ihnen die Angst davor nehmen, etwas Falsches zu sagen oder sich nicht zu trauen, kranke Menschen nach ihren Wünschen zu fragen. «Mit etwas Unterstützung ist fast alles möglich.» Damit meint er gleichzeitig auch die Spenderinnen und Spender, die seinen Verein via Crowdfunding unterstützen. Trotzdem: Finanziell sei es alles andere als einfach, bestehen zu können, gesteht Sabovic. Für das kommende Jahr hat er erst zwei Drittel der benötigten Spenden erhalten. Mehr als 400 letzte Wünsche hat die Wunschambulanz bereits erfüllt.

«Wir denken viel zu selten an den Tod»

«Das ist Jimmy, der hat die Haare geschnitten», weiss Brigitte und zeigt auf den Kelly-Bruder, der nun mit einer Gitarre auf der Bühne sitzt. Er will ein Lied für seine Schwester Barby Kelly singen. Sie ist vergangenes Jahr überraschend verstorben. «Vielleicht denkt ihr, dass das unpassend ist heute Abend», sagt Jimmy auf Deutsch. «Dabei ist Weihnachten die Antwort auf den Tod.» Ein Meer aus Feuerzeugen und Handy-Bildschirmen erleuchtet die Konzerthalle.

Eine der Helferinnen beugt sich über Brigittes Trage, bettet ihre Beine. Seit über zehn Jahren arbeitet Mary Arpagaus (37) als Pflegehelferin. Erst wenige Monate ist es her, seit Sabovic und sein Team den letzten Wunsch ihrer Mutter erfüllt haben. Seither ist sie selber Mitglied bei der Wunschambulanz.

Noch einmal mit ihrer Mutter auf einer Bergspitze stehen zu dürfen, sei ein unfassbares Gefühl gewesen, erzählt Arpagaus. Sie sei dankbar gewesen. Dafür, ihrer Mutter etwas zurückzugeben. Aber auch dankbar für Sabovic und die Wunschambulanz, die ihrer Familie in dieser schwierigen Situation unter die Arme gegriffen hat.

Heute Abend als Pflegerin dabei zu sein, löse gemischte Gefühle aus. «Verlust bleibt schmerzhaft», sagt Arpagaus. Doch: «Wir denken viel zu selten an unseren eigenen Tod. Dabei ist er ein riesiges Geschenk.» Sie frage sich vor jeder Entscheidung: Würde sie das auch tun, wenn sie nur noch zehn Tage zu leben hätte? Nach dem Ausflug sei ihre Mutter so glücklich gewesen wie schon lange nicht mehr. «Sie hat gesagt: Eine solche Wunscherfüllung sei wunderschön. Jeder Mensch solle jedoch im Laufe seines Lebens versuchen, in den kleinen Dingen das Glück zu suchen.»

Auf die Schönheit des Lebens

Das Hallenstadion bebt. Die Kelly Family holen die E-Gitarren hervor. Trommelwirbel und Bässe wummern durch jede Faser des Körpers, Füsse stampfen, Hände klatschen. Mit dem Gedanken an den Tod im Kopf fühlt sich ein Livekonzert doppelt so lebendig an. «Klar, es ist nicht einfach», hat Brigitte vor Konzertbeginn gesagt. «Aber deswegen will ich nicht in der Ecke sitzen und heulen.» Bei «El Camino» singt sie mit.

«Auf das Neue Jahr», rufen die Mitglieder der Kelly Family von der Bühne. «Hoffen wir, dass es nur Gutes bringt.» Brigitte schaut auf die Menge hinunter. Ein Vater hüpft umher, seinen kleinen Sohn auf den Schultern. Die Menschen springen von ihren Stühlen, tanzen und jubeln. Eine Umarmung, ein inniger Kuss. Hitze, Strahlen, Lachen. In der wogende Menge erheben viele die Becher, stossen an. Auf die Schönheit des Lebens.

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