Star-Philosoph Peter Sloterdijk (73) über Corona
«Man kann nicht gut für sich allein immun sein»

Der deutsche Star-Philosoph Peter Sloterdijk (73) sprach mit der «Bild»-Zeitung in einer aufsehenerregenden Serie über die grossen Themen unserer Zeit. BLICK druckt zentrale Passagen nach – über Corona, Klimawandel, Instagram und das bedingungslose Grundeinkommen.
Publiziert: 12.11.2020 um 06:37 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2020 um 14:54 Uhr
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Der Deutsche Peter Sloterdijk (73) ist einer der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart.
Foto: imago
Interview: Willem A. Tell

BLICK: Ist es legitim, vor Corona keine Angst zu haben?
Peter Sloterdijk: Auf jeden Fall. Die Lebensgefühle sollen frei sein, und wer ohne Furcht existiert, muss nicht mit der verängstigten Herde laufen. Es ist ja auch legitim, vor Krebs keine Angst zu haben und zu hoffen, es werde einen nicht treffen. Ein gewisses Mass an Sorglosigkeit, ja sogar an Leichtsinn gehört zu unserem Way of Life. Ohne Leichtsinn funktioniert das gesamte Konsumsystem nicht, mitsamt den Überkalorien und der Übermobilität, um von Mode-Luxus, Kosmetik, Alkohol und Nikotin ganz zu schweigen.
In der Regel sind wir gegen die Konsequenzen des Leichtsinns gut versichert. Soviel ich weiss, denkt niemand daran, das Skifahren zu verbieten, obwohl es eine Risikosportart ist, die jeden Winter eine halbe Million Verletzte produziert. Es kommt nur selten zu tragischen Konsequenzen, wie im Fall von Michael Schumacher. Der Leichtsinn ist selber die Definition des westlichen Lebensstils. Dazu gehört, dass man sehr viel mehr Dinge kauft, als man je brauchen kann. Dass man mehr Bücher zu Hause hat, als man selber jemals lesen kann … Wir streben letztlich nach Ereignis-Maximierung, Stoffwechsel-Maximierung, Erlebnis-Maximierung – und das ist naturgemäss nicht ohne Einkommens-Maximierung zu haben. Das gesamte System beruht auf Leichtsinn. Würde man sich im Kollektiv altväterlich seriös und sparsam verhalten, müsste die Weltwirtschaft im Nu abstürzen. Das Schreckgespenst heisst Austerität, wörtlich: Nüchternheit. Nüchterne Leute kriegt man nicht dazu, auf der Schuldenparty mitzutanzen. Gewinnerwartungen setzen voraus, dass zahllose andere sich zum leichtsinnigen Verhalten bewegen lassen. Als ich vor ein paar Tagen las, ein Milliardär sei bei einem Temporekordversuch ums Leben gekommen, dachte ich: Wieder so ein Zeitzeuge.

Der Über-Denker

Peter Sloterdijk (73) ist Autor und einer der führenden Philosophen der Welt. Sein neues Buch «Den Himmel zum Sprechen bringen» erschien Ende Oktober im Suhrkamp Verlag. Sloterdijk kam 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers im Nachkriegsdeutschland zur Welt und wuchs mit einer Schwester «ohne prägendes väterliches Element» auf, weil sich die Eltern früh scheiden liessen. In München und Hamburg studierte er Philosophie, Geschichte und Germanistik. Mit dem Bestseller «Kritik der zynischen Vernunft» (1983) hatte er seinen Durchbruch als Autor. Von 1992 bis 2017 war Sloterdijk Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der mehrfach ausgezeichnete Philosoph mischt sich häufig und gern in öffentliche Debatten ein und überdenkt provokativ populäre Ansichten. Sloterdijk lebt mit seiner Frau in Berlin.

Antje Berghaeuser/laif

Peter Sloterdijk (73) ist Autor und einer der führenden Philosophen der Welt. Sein neues Buch «Den Himmel zum Sprechen bringen» erschien Ende Oktober im Suhrkamp Verlag. Sloterdijk kam 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers im Nachkriegsdeutschland zur Welt und wuchs mit einer Schwester «ohne prägendes väterliches Element» auf, weil sich die Eltern früh scheiden liessen. In München und Hamburg studierte er Philosophie, Geschichte und Germanistik. Mit dem Bestseller «Kritik der zynischen Vernunft» (1983) hatte er seinen Durchbruch als Autor. Von 1992 bis 2017 war Sloterdijk Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der mehrfach ausgezeichnete Philosoph mischt sich häufig und gern in öffentliche Debatten ein und überdenkt provokativ populäre Ansichten. Sloterdijk lebt mit seiner Frau in Berlin.

Junge Menschen gehen trotz der Pandemie feiern oder treffen sich mit Freunden. Ist das verständlich?
Verständlich auf jeden Fall. Sie sollen nur wissen, was sie tun. Sobald sie sich riskant verhalten, müssen sie sich ihrer möglichen Spreader-Qualitäten bewusst werden. Das führt mich zu meinem Basis-Thema: Immunität ist eine von Grund auf gemeinschaftliche und gesellschaftliche Angelegenheit. Man kann nicht gut für sich allein immun sein. Immunität ist immer schon auch als Co-Immunität zu konzipieren, in Sphären und Kreisen vom Kleinen bis ins Grösste, von der Tischgemeinschaft bis zur Weltgesellschaft. Und wenn diese verdammte Corona-Krise zu irgendetwas gut sein soll, dann vermutlich nur dazu, ein Bewusstsein davon hervorzurufen, dass wir von Grund auf in koimmunitären Verhältnissen existieren. Dabei ist niemand zu jung, das zu verstehen. Schon ein kleiner Junge begreift, dass er seine alten Grosseltern nicht gefährden soll, wenn man ihm erklärt hat, was Mikroben sind.

Wird sich die Welt nachhaltig durch Corona verändern? Und wenn ja – wie?
Nein, die «grosse Veränderung» ist immer illusionär. Die Welt hat sich auch durch den Ersten Weltkrieg nicht wesentlich verändert, ausser dass Frauen in die Arbeitswelt eindrangen; sie hat sich durch den Zweiten Weltkrieg nicht basal verändert, ausser dass der American Way of Life auch bei uns einzog und alle wie über Nacht lernten, auf Kredit zu leben. Wenn sich die Welt real verändert, dann zunächst immer nur im Sinne weitergehender Lockerungen und Erleichterungen. Die sind im Fall von Corona nicht zu erkennen, wir schlagen uns vielmehr mit Erschwerungen und Einschränkungen herum, die möchte man loswerden. Daher spürt man eine Nostalgie nach der Sorglosigkeit von vorher.

Was geht im zwischenmenschlichen Leben verloren, wenn die Menschen Masken tragen?
Man sieht das Lächeln des anderen nicht mehr, und das bringt eine virtuell gefährliche Einschränkung mit sich. Die Vermutung, dass der andere Mensch unfreundliche Gesinnungen in sich trägt, die liegt in einer Grossgesellschaft ohnehin in der Luft, denn Grossgesellschaften bestehen fast nur aus Fremden. Das Lächeln ist ein Mechanismus, der uns im Umgang mit Unbekannten hilft, Entwarnung zu signalisieren. Ähnlich wie das Händereichen, das zeigt, ich komme dir ohne Waffe entgegen. Überhaupt sind alle Grussgesten aus umgewandelten Aggressionsgesten hervorgewachsen, sie sind zivilisierte Zeichen von Angriffsverzicht. Mir scheint, in diesen Tagen könnten wir etwas mehr Lächeln gut vertragen. Auf der anderen Seite, man bekommt jetzt ständig Gelegenheit festzustellen, dass die Augen sowieso der schönste Teil an der menschlichen Erscheinung sind. Ich geniesse den Anblick maskierter Frauen, weil ich gezwungen bin, mich auf den sichtbaren Teil zu beschränken, und habe gelegentlich das Gefühl, mehr braucht es nicht. Frauen, die Charmeverhalten eingeübt haben, lächeln mit den Augen.

Immer mehr Menschen reden vom «neuen Normal». Wird das Leben je wieder so werden, wie es vor Corona war?
Ja, das meiste kehrt eines Tages wieder, wie es gewohnt war, dessen darf man gewiss sein; doch die Dinge normalisieren sich langsamer, als wir es uns in der ersten Aufregung gewünscht haben. Das Spektakel kann noch gut zwei Jahre weitergehen. Ab 2021 wird man bei den Wellen bis drei, vier, fünf und weiter zählen müssen. Ansonsten ist das Zählen von Infektionen und Toten vor Publikum ein makabres Ritual, das man so bald wie möglich abschaffen sollte.

Auf Instagram teilt über eine Milliarde Menschen ihren Alltag. Wie erklären Sie diesen digitalen Exhibitionismus?
Seit die Menschen das Beten verlernt haben, suchen sie nach Alternativen. Das Beten, man sollte das nicht vergessen, war eine Methode, sich beim Jenseits vorzustellen. Dem durfte man sich als Mensch mit einem inneren Anliegen empfehlen. Die modernen Kommunikationsmittel haben eine Technik geschaffen, wie man Gebete in Bitten um Aufmerksamkeit umwandelt. Man spricht der Öffentlichkeit und dem Freundeskreis eine Rolle zu, die man früher dem Himmel und den Heiligen abverlangt hat. Instagram verkörpert das Flehen um Bedeutsamkeit mit zeitgenössischen Mitteln. Robert Gernhardt hat das neue Beten wohl am besten erfasst: «Lieber Gott, nimm es hin / dass ich was Besondres bin …» Natürlich haben wir Stars, die noch über den Tod hinaus einen Kult hervorrufen. Doch sind noch nie so viele Menschen mit der Hoffnung auf Bedeutsamkeit und Wahrnehmung vor ihren Mitlebenden aufgetreten. Wir erleben eine echte Demokratisierung von Prominenz. Prominenz kann jetzt an jeder Ecke generiert werden, das gehört zum magischen Appeal der sozialen Medien.

Ist es heute leichter, berühmt zu werden?
Die Aristokratien von früher zogen naturgemäss den grössten Teil öffentlicher Aufmerksamkeit auf sich, doch gehörten sie einer sozialen Struktur an, in der nur relativ wenige Spitzenpositionen zu vergeben waren. Der grosse Folgenreichtum der Französischen Revolution ergab sich unter anderem daraus, dass sie zahllose neue hohe Rang-Positionen kreierte: Auf einmal waren all die Neureichen wichtig, die Bankiers, die Unternehmer, die Künstler, die Advokaten, die Politiker, die Leitartikler, die Professoren mitsamt ihren prächtig geschmückten Frauen, die sehr genau wussten, wie sie sich ihren Anteil an der Prominenzbeute holten. Im Frankreich Napoleons III. sprach man mit gutem Grund vom «imperialen Fest»: Dabei konnten sich Tausende von neuen Gesichtern zeigen, die ins Licht wollten. Das 20. Jahrhundert hat mit seinen Medienexplosionen noch einmal Zehntausende von Spitzenpositionen hinzugeschaffen, mit Superstars, Supermodels und ihren unzähligen Epigonen. Dieses lustige Volk habe ich gelegentlich das Celebretariat genannt, das heisst, die Leute, die dafür berühmt sein möchten, berühmt zu sein. Für sie hat mit Facebook, Instagram usw. das goldene Zeitalter begonnen.

Was fasziniert die Welt an Greta Thunberg?
Um sie ist es inzwischen ein wenig still geworden. Solche Erscheinungen entwickeln sich stichflammenartig und erlöschen schnell – und das soll auch so sein. Greta war, als sie auf der Bühne erschien, ein Kind, es war zu befürchten, dass man sie für einen messianischen Trip verheizt. Immerhin, ihre Botschaft ist im weiten Radius gehört worden, das ist ein fabelhafter Effekt. Er zeigt, wenn die Weltmedien wollen, kann ein junges Mädchen eine charismatische Mission übernehmen, ohne wie Jeanne d'Arc im frühen 15. Jahrhundert als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen zu enden. Was nicht heisst, dass Greta nicht weiterhin viel riskiert. Ich selbst war um 1975 nahe daran, ein Öko-Apokalyptiker zu werden, fest überzeugt, dass im globalen Massstab sofort etwas geschehen müsse: «Aufschub ist Verbrechen.» Was kam, waren die grünen Realos, die einsahen, dass grosse Umschwünge viel Zeit brauchen. 45 Jahre später ist dies und das geschehen, jedes Dax-Unternehmen hat einen Nachhaltigkeits-Officer, doch von effektiver Trendumkehr kaum eine Spur.

Wir hatten den heissesten September aller Zeiten. Müssten wir dem Klimawandel mehr Beachtung schenken?
Auf jeden Fall. Aber das gilt seit 50 Jahren, als Carl Amery, der bayerische Linkskatholik, bei uns das Ökothema auf die Tagesordnung setzte. Alles deutet darauf hin, dass tatsächlich ein menschengemachter Klimawandel unterwegs ist. Milliarden offene Feuerstellen täglich, Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ständig auf den Strassen, Hunderte Millionen Öl- und Gasheizungen im Betrieb, zig Millionen Klimaanlagen auf Hochtouren, x Millionen rauchende Fabrikschornsteine, zahllose Schwerölschiffsmotoren, Zigtausende Jets Tag für Tag am Himmel, weit mehr als eine Milliarde gasrülpsende Kühe. Man müsste vernagelt sein wie ein AfD-Sprecher, um zu leugnen, dass dies alles in der Summe klimarelevant ist. «Veränderte Sonnenwinde», «kleine Eiszeit im Anmarsch» – das sind nur Mundwässer der Ignoranz. Fasst man sämtliche Effekte anthropogener Praxis unter dem Begriff «Emission» zusammen, müsste man auf Dauer eine emissionsfreie Menschheit fordern. Eine starke Minderung von CO2-Emissionen ist unter extremen Anstrengungen vielleicht gerade noch vorstellbar, aber das Rad der Emissionen im Ganzen lässt sich nicht zurückdrehen. Die Astronauten an Bord des Raumschiffs Erde müssen sich auf eine Reihe irreversibler Veränderungen einstellen. Möglicherweise wird es bald so heiss, dass die Weissen nachdunkeln und sich nach einigen Generationen zu den People of Colour rechnen.

Junge Menschen demonstrieren regelmässig freitags für die Umwelt. Wird der «Fridays for Future»-Protest die Welt retten? Oder zumindest die Politik ändern?
Die Jungen werden die Politik eine ganze Weile vor sich hertreiben. Doch Strasse und Parlament haben nicht die gleiche Logik, sie haben vor allem nicht das gleiche Zeitgefühl. Protest ist eine nicht regenerierbare Energie. Ich, als älterer Zeitgenosse, will nicht an künftigen Enttäuschungen mitwirken. Wir sollten früh genug an einem Plan B arbeiten, statt allzu optimistisch darauf vertrauen, dass wir mit realen Effekten umsteuern können. Dazu sind die Dinge, die wir in Gang gebracht haben, zu träge, sie haben viel zu eigensinnige Laufzeiten.

Ist sich die Jugend ihrer Macht bewusst?
Die Demonstranten und ihre Vorsprecher selbst glauben sicher, dass sie etwas bewirken. Ob sie das wirklich «Macht» nennen würden, weiss ich nicht. Wer «Macht» sagt, benutzt eine traditionelle rhetorische Figur, die die Fähigkeit meint, bei anderen Personen ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Greta wollte aber, dass die Erwachsenen in Panik geraten. Panik ist ein psychopolitisches Konzept, keine direkte Handlungsanweisung. Da wird mit einer ganz anderen Hebelwirkung gerechnet. Zuerst das Erschrecken, dann die Kurskorrektur. Der Mechanismus bleibt vage.

Leben wir Menschen über unsere Verhältnisse?
Auf diese Frage kann ich nicht ökonomisch oder moralisch antworten, sondern nur philosophisch. Für den philosophischen Anthropologen ist der Mensch ein Lebewesen, das immer über seine Verhältnisse lebt, weil es durch seine Weltoffenheit mehr Wahrnehmung hat, als es zum blossen Überleben braucht. Wir schauen in einen grossen Horizont, sobald wir uns beruhigen. Diese Überoffenheit erzeugt das ästhetische Vermögen und die moralische Urteilskraft. Wir gewinnen sehr viel mehr Eindrücke von der Welt, als im Sinne der Selbsterhaltung nötig wären. Folglich sind wir weltanschauende, weltbildende, weltbeurteilende Wesen. Nietzsche hat ja recht, wenn er sagt, dass die Welt nur als ästhetisches Phänomen wirklich gerechtfertigt werden kann. In dieser Hinsicht leben wir stark über unsere Verhältnisse, denn wer mehr Elend und Hässlichkeit hinterlässt, als bei seiner Ankunft in der Welt da war, überzieht das Konto. Andererseits sind ungeheure Leistungen auf der Seite der konstruktiven Arbeit nicht abzustreiten.

Brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Sie sollten berücksichtigen, dass ich seit vielen Jahren Krieg führe gegen Sätze, die mit «Wir brauchen» beginnen. Kein Mensch braucht Aussagen über das, was «wir brauchen». Man macht es, oder man lässt es sein. Im Grundeinkommen-Gedanken steckt ein wertvolles Motiv, nämlich die Menschenrechtsforderung nach Freiheit von Not und Furcht. Um die zu besichern, haben wir hierzulande Dutzende von Hilfesystemen. Das Beiwort «bedingungslos» verdirbt die grosse Idee, denn wer «bedingungslos» sagt, meint gratis. Und wer etwas gratis will oder dazu verführt wird, etwas gratis zu wollen, bekennt sich zu der märchenhaften Meinung, es müsse Leistung ohne Gegenleistung geben. Verstehen wir uns recht, ich liebe Märchen und nehme sie ernst, auch weil ich als Leser Ernst Blochs den «Geist der Utopie» in ihnen sehe, wenn er sich zeigt. Bloch hat zwischen Vorwärtsträumen und Rückwärtsträumen streng unterschieden. In meinen Augen ist die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen ein klarer Fall von Rückwärtsträumerei. Im Traum wollen wir dafür bezahlt werden, dass wir da sind. Aber warum? Bei Beaumarchais spricht Figaro das Geheimnis des bezahlten Daseins aus: «Der Herr hat sich die Mühe gegeben, geboren zu werden!»

Eine letzte Frage: Das Leben wird immer sicherer. Die Lebenserwartung immer höher. Haben die Menschen verlernt, den Tod zu akzeptieren?
Vermutlich haben sie ihn nie wirklich akzeptiert. Es gab sicher Menschen, denen es leichter fiel, sich von ihrem Leben zu trennen, etwa bei den Ordensleuten, vor allem aber unter den jungen Männern, die von erfahrenen Offizieren oft in die erste Schlachtreihe gestellt wurden; sie wussten, die naiven Rekruten dachten, die Kugel mit der Aufschrift ihres Namens sei noch gar nicht gegossen. Alle Probleme, die wir heute haben, gehen von entfesselter Lebensgier aus.

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