Patrizia Laeri, wie tickt Ihr Chef Reto Gerber, der Leiter der Wirtschaftsredaktion des Schweizer Fernsehens?
Patrizia Laeri: Er ist eine kreative Person und schaut, dass es allen gut geht.
Ein vorbildlicher Chef also?
Das kann man so sagen.
Nächste Woche wollen Sie in der Sendung «SRF Börse» herausfinden, wie andere Chefs grosser Firmen ticken. Wie knacken Sie deren Geheimnis in nur fünf Minuten Sendezeit?
Wir führten mit den Verantwortlichen selbstverständlich längere Interviews. Für die neue Serie war die ganze Wirtschaftsredaktion des Schweizer Fernsehens unterwegs und betrieb einen grossen Aufwand.
War der notwendig?
Ja, denn es war schwierig, an die Personen heranzukommen. Über Zahlen und Strategien geben sie gerne Auskunft, sobald es aber darum geht, persönliche und private Fragen zu beantworten, ist es schwierig, und die Medienstellen blocken sofort ab.
Was wollen Sie herausfinden?
Wir wollen den Menschen hinter den CEO-Fassaden ein Gesicht geben. Jene, die zunächst nicht so begeistert waren, haben wir im Interview umkreist. Sobald wir auf den Punkt kamen, sprudelte es aus ihnen raus.
Was kann der Zuschauer lernen?
Man lernt Führungspersonen von einer anderen Seite kennen. Viele CEOs bezeichnen ihren Job als toxisch und bemühen sich, selber nicht vergiftet und verdorben zu werden. Wie sie sagen, bekommen sie durch die Machtposition wenig Feedback, heben ab und verlieren den Boden unter den Füssen.
Sind die Antworten ehrlich?
Ja, manche sagen über sich selber, dass sie sehr lästige Chefs seien.
Einige der befragten Chefs sind Frauen, andere Männer. Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in den Antworten?
Mir ist aufgefallen, dass sich Frauen weniger allein sehen, sondern als Bestandteil eines Teams, das für etwas Grösseres arbeitet.
Sprechen Sie mit den CEOs auch über Frauenquoten in Unternehmen?
Nein, nicht konkret. Aber ich spüre ein Umdenken. Solche, die früher gegen eine Quote waren, sind heute dafür. Das erstaunt nicht wirklich, denn neue Zahlen belegen: Nur 5,8 Prozent im operativen Bereich des Senior Managements sind Frauen. Das freiwillige Umdenken ist hier nach Jahrzehnten der Frauenförderung kläglich gescheitert.
Ende November hat der Bundesrat seine Absicht bekräftigt, eine Frauenquote von 30 Prozent in Verwaltungsräten einzuführen. Freut Sie das?
Das ist notwendig. Sonst braucht es beim aktuellen Tempo in der westlichen Welt weitere 170 Jahre, bis es zu einem Gleichgewicht der Geschlechter im Führungsbereich kommt. In Asien braucht es sogar noch länger.
Die 30 Prozent scheinen eine magische Zahl zu sein: Exakt dann, wenn drei von zehn Führungskräften Frauen sind, steigt die Performance eines Unternehmens signifikant – das belegt eine McKinsey-Studie von 2007.
Ja, auch Anleger sollte es interessieren, wie es um die Geschlechterfrage in Chefetagen steht.
Steigt die Performance, weil Frauen in vielen Bereichen darüber entscheiden, was gekauft wird, etwa in Familien? Und ihre Geschlechtsgenossinnen in der Chefetage wissen, was frau will?
Genau. So wie die Welt in unserem privaten Umfeld aussieht, so muss sie auch in Unternehmen aussehen. Die Hälfte der Menschen sind nun einmal Frauen.
Dann ist eine 30-Prozent-Quote zu wenig.
So ist es, aber sie ist immerhin ein Anfang.
Würde die Wirtschaft durch mehr weibliche Führungskräfte auch sozialer und ökologischer?
Man sollte nicht pauschalisieren. Wenn man Frauen einsetzt, wird dadurch nicht einfach alles besser.
Weil sich Frauen in Führungspositionen den Männern angleichen? Das legt zumindest eine Studie der internationalen Personalberatung Russell Reynolds Associates von 2016 nahe: Frauen, die aufsteigen, sind demnach genauso hart wie Männer. Macht Macht männlich?
Ja, das lässt sich leider immer wieder beobachten. Schade, wenn es auf «more of the same» hinausläuft. Es wäre viel bereichernder, wenn Frauen eine andere Perspektive in die oberste Etage einbrächten.
Haben Sie beim «SRF Börse»-Interview mit Magdalena Martullo-Blocher eine weibliche Seite an ihr entdeckt?
Ja, immerhin hat sie gesagt, sie habe sich ein passendes Kleid mit einem roten Akzent für unsere Weihnachtsserie ausgesucht.
Männer schauen auch, dass sie passende Krawatten tragen.
Die interviewten männlichen CEOs machen sich keine Gedanken darüber.
Werden aufstrebende Frauen hart, weil die Strukturen ihnen das abverlangen?
Ja, denn es sind männliche Unternehmenskulturen. Ein Kulturwandel braucht sehr viele Jahre, bis er sich durchsetzt. Strategieberater sind im Umdenken schon sehr weit.
Müssen Frauen immer noch mehr leisten als Männer, um in einem Unternehmen die Chefposition zu erlangen?
Ja, da hat sich noch nichts geändert.
Möchten Sie Chefin sein oder scheuen Sie den Aufwand?
Ich bin schon zu Hause Chefin, das reicht vorerst. Dort spielen dieselben Mechanismen wie in der Wirtschaft: Wie motiviere ich, wie bringe ich Menschen ohne Drohung dazu, etwas gerne zu machen?
Sie haben zwei kleine Söhne. Das grösste Hindernis am Aufstieg von Frauen ist immer noch, dass sie die Hauptverantwortung der Kindererziehung tragen.
Das ist in der Schweiz ein altes Problem: Die Kinderbetreuung ausser Haus ist derart teuer, dass das zweite Gehalt dafür draufgeht. Da entschliessen sich viele Frauen, daheim zu bleiben.
Wie haben Sie das mit Ihrem Partner gelöst?
Ich habe das Glück, dass meine Mutter da ist. Sonst würde alles zusammenbrechen.
Verschwinden Frauen unter diesem Druck zusehends aus dem Arbeitsprozess?
Das Gefühl habe ich. An Pressekonferenzen von Firmen bin ich wieder oft die einzige Frau – immerhin die Kommunikationsstellen der Unternehmungen waren einst fest in Frauenhand.
Sie haben Ihre Mutterrolle auch schon als Berufsvorteil gepriesen: Sie habe Ihnen mehr Respekt als Wirtschaftsjournalistin eingebracht. Wie das?
Alle, die Kinder haben, wissen: Durch die Aufgabe kommt eine grosse Lebenserfahrung dazu. Und eine gewisse Gelassenheit.
Andererseits bietet die Wirtschaft Müttern nicht allzu grosse Hilfe. Was müsste dort passieren?
Es müsste flexible Teilzeitmodelle geben, die gerade auch Männer nutzen können. Beim Elternurlaub müssten sich Eltern aussuchen können, wer zu Hause bleibt.
Was müsste sich gesellschaftlich ändern? Stehen wir da gar vor einem Rückschritt?
Ja, die US-Wahlen haben gezeigt, dass gewisse sexistische Sprüche wieder salonfähig werden.
Da können Sie aus eigener Erfahrung mitreden: Sie wurden diesen Sommer als Nachfolgerin von «10vor10»-Moderatorin Daniela Lager gehandelt – und in einem Artikel in der «Schweiz am Sonntag» auf Ihre Schönheit reduziert.
Das geht vielen Frauen im Berufsleben so. Es ist wichtig, sich endlich dagegen zu wehren.
Dabei haben Sie Ihr Ökonomiestudium mit der Auszeichnung «magna cum laude» abgeschlossen. Weshalb spricht man schönen Frauen Intelligenz ab?
Das ist die uralte Trennung der Frau in Kopf und Körper.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Es braucht vor allem Zeit. Zu Beginn meiner Moderationstätigkeit bekam ich viel mehr
sexistische Reaktionen. Aber mit beständigem Arbeiten hat sich das zusehends gelegt.
Es heisst aber auch immer wieder, schöne Menschen seien erfolgreicher.
Ich denke, das trifft hauptsächlich auf Männer zu.
Steht die Schönheit Ihrer Karriere im Weg?
Der besagte Artikel war nicht der erste, der nur auf mein Äusseres fokussierte. Und das schadet mir bestimmt in meiner beruflichen Entwicklung.
Nächstes Jahr sind Sie zehn Jahre bei «SRF Börse». Wie lange bleiben Sie noch?
Ich habe immer gesagt: Ich bleibe so lange, bis ich den SMI-Index wieder raufmoderiert habe. Ich habe bei 9548 Punkten begonnen, und nun kämpfen wir mit der 8000er-Grenze. Ich bleibe wohl noch eine Weile Börsenfee.
Nach dem Abgang der SRF-Börsenexpertin Marianne Fassbind braucht es bei der «Tagesschau» ein neues Gesicht. Eine Aufgabe für Sie?
Absolut – im Wechsel mit zwei weiteren Kolleginnen aus der Wirtschaftsredaktion.
In Ihrer Freizeit malen Sie Ölgemälde. Eine Karriere als Künstlerin?
Das wäre ein Traum – ich bin schon seit Jahren an einer Serie. Kreativität ist allmählich der einzige Wettbewerbsvorteil des Menschen gegenüber der Maschine.
Im «Glanz & Gloria»-Adventskalender porträtieren Sie die meistbietende Person. Welchen Betrag erhoffen Sie sich?
Eine Riesensumme. Sie kommt schliesslich Kindern auf der Flucht zugute.
Spezialserie «SRF Börse» «Wie ticken die Chefs?» mit Sergio Ermotti, Magdalena Martullo-Blocher u. a. vom 20. bis 23. Dezember, SRF 1, jeweils 19.25 Uhr
Patrizia Laeri (39) studierte Wirtschaft in Madrid und Zürich und schloss 2001 mit Auszeichnung ab. Das Jahr der Internetkrise durchkreuzte ihren ursprünglichen Plan, in die Unternehmensberatung zu gehen. Stattdessen machte sie ein Volontariat bei der NZZ. 2003 ging sie zum Schweizer Fernsehen. Seit 2007 ist Laeri Moderatorin der Wirtschaftssendung «SRF Börse» unmittelbar vor der Hauptausgabe der «Tagesschau». Sie hat zwei Söhne (5- und 3-jährig) und lebt mit ihnen sowie ihrem Partner in Männedorf ZH.
Patrizia Laeri (39) studierte Wirtschaft in Madrid und Zürich und schloss 2001 mit Auszeichnung ab. Das Jahr der Internetkrise durchkreuzte ihren ursprünglichen Plan, in die Unternehmensberatung zu gehen. Stattdessen machte sie ein Volontariat bei der NZZ. 2003 ging sie zum Schweizer Fernsehen. Seit 2007 ist Laeri Moderatorin der Wirtschaftssendung «SRF Börse» unmittelbar vor der Hauptausgabe der «Tagesschau». Sie hat zwei Söhne (5- und 3-jährig) und lebt mit ihnen sowie ihrem Partner in Männedorf ZH.