Schwiizerdütsch-App zum Mitmachen
Hier heisst es Täfeli contra Zältli

Schwiizerdütsch ist längst nicht abgeschrieben. Jetzt kommt sogar eine App raus, die sich mit der Entwicklung der Dialekte beschäftigt.
Publiziert: 07.08.2018 um 15:25 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:58 Uhr
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Geheimnisse des Schwiizerdütsch: Auf Hochdeutsch ist es ein Bonbon. Aber die Zürcher sagen Zältli dazu.
Foto: junglekey
Christiane Binder

Die Schweizer sind in 17 von 26 Kantonen sind offiziell deutschsprachig – aber sie stehen permanent auf Kriegsfuss mit Hochdeutsch. Aber wenn es wichtig wird, orientieren sie sich sprachlich am grossen Nachbarn. «Trittst im Morgenrot daher...» – den Schweizerpsalm hat 1841 der Mönch Alberich Zwyssig des Klosters Wettingen AG komponiert, natürlich staatstragend auf Hochdeutsch.

Ganz ohne Hochdeutsch ging es halt nie in der stets von Einwanderern behelligten, zentral gelegenen Schweiz. Schon 1901 beklagte sich der Romanist Ernst Tappolet, dass man in Zürcher Läden von Schweizern notorisch auf Hochdeutsch angesprochen werde. Schuld war die deutsche Invasion – in vielen Städten waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 20 Prozent der Einwohner Deutsche, in jedem Mietshaus lebte eine Berliner Schnauze oder ein Schwabengöschle, und die verstanden vom Schwiizerdütsch nur Bahnhof.

Die Schweizer orientieren sich am Duden

1880 hatte der deutsche Orthografietheoretiker Konrad Duden ein «Vollständiges Orthographisches Würterbuch der deutschen Sprache» erstellt. 1892 importierten die Schweizer dessen Sprachregelungen. 

Noch 1912 lebten in Zürich 40'000 Deutsche, die jubelten, als am 3. September Kaiser Wilhelm II. zwecks Staatsbesuch dem Sonderzug im pompös geschmückten Zürcher Hauptbahnhof entstieg. Die Bahnhofstrasse war in schweizerische und zürcherische Farben getaucht. Viele Schweizer bewunderten den preussischen Monarchen nicht nur heimlich.

Die Deutschen ihrerseits hatten das Interesse an einer einheitlichen deutschen «Hochsprache» im Zuge der Gründung des deutschen Kaiserrreichs 1871 entdeckt. Im nationalen Rausch der Vereinigung der Kleinstaaten zum grossen Deutschland wehte durchs ganze Reich der Furor, Fremdwörter auszumerzen und einzudeutschen.

Hatte man früher Billett gesagt, wurde nun Fahrschein draus. Aus dem Couvert wurde der Briefumschlag. Allen voran war der Allgemeine Deutsche Sprachverein besessen von der Idee, die Muttersprache rein zu halten. Das ging so weit, dass die Süsswarenfirma Bahlsen die «Cakes» in «Kekse» germanisierte.

Penalty gegen Elfmeter

1884 holte der Braunschweiger Gymnasiallehrer Konrad Koch den Fussball aus England nach Deutschland und deutschte gleich die Fussball-Fachsprache ein. Je weiter südlich, desto weniger kratzte das allerdings die Menschen. Noch heute gibt es nur südlich des Mains Vereine, die sich «Kickers» nennen, weiter im Norden heissen sie eher Eintracht. In der Schweiz kümmerte man sich um diese Sprachneuerungen erst recht nicht. Hier spielen bis heute die Berner Young Boys, und man sagt Penalty und Offside und Goalie, während die Deutschen Elfmeter, Abseits und Torwart sagen.

Grosse Schweizer Schriftsteller wie Conrad Ferdinand Meyer oder Gottfried Keller pflegten in Ehrfurcht vor Goethe und Schiller das Hochdeutsche und veröffentlichten auch zuerst in Deutschland. Ihr Deutsch galt dort als Inbegriff eines «guten Deutsch» und Schulkinder ackerten sich im Deutschunterricht auch durch Gottfried Keller und seine schweizerischen Kollegen.

Nur in der Alltagskommunikation hielten die Schweizer an ihrem Dialekt fest. Deutsche Besucher und Reisende fremdschämten sich, wenn gebildete Leute wie der Pädagoge Heinrich Pestalozzi sie in breitester und als «barbarisch» empfundener Mundart anredeten. 

Die Schweiz warf das deutsche «sz» raus

Trotzdem versuchte man auch in der Schweiz den Kindern, den Dialekt auszutreiben, der als plump, bäurisch und unvornehm angesehen wurde. In Zürich mussten sie in der Schule schon 1810 Hochdeutsch lesen und durften nicht mehr «läbe» sagen, wenn im Text «leben» stand. Im Zuge der rapiden Industrialisierung wurde der Dialekt weiter zurückgedrängt. 1866 gab es in der Schweiz bereits 12'000 Fabrikwebereien. 

Auf ihr Schwiizerdütsch besannen sich die Schweizer erst mit dem Ersten Weltkrieg (1914–1918), als die Beliebtheitswerte des Kaiserreichs in den Keller sanken. Die Mundart wurde wieder salonfähig. Das verstärkte sich noch in der Zwischenkriegszeit, als sich die Schweiz gegen Hitler in der Geistigen Landesverteidigung einigelte. Deren Opfer wurde 1938 als erstes das deutsche sz. Bis heute gibt es in der Schweiz nur das Doppel-S ss. 

In den letzten Jahren reden die Jungen wieder ganz selbstverständlich ihren Dialekt, zumindest unter sich – obwohl alte Wörter wie «Anke» (Butter) für sie meist Fremdwörter sind. Aber die Berner nennen ein Bonbon immer noch Täfeli, die Zürcher sagen Zältli dazu.

Sprachforscher beschäftigen sich intensiv mit diesen Unterschieden. «Gschmois» heisst eine App, die an der Universität Zürich entwickelt wurde. Alle zwei Wochen erscheinen neue Fragen, bei denen die Nutzer Sätze übersetzen, Wörter aufnehmen und aus verschiedenen Varianten auswählen können, welche sie selbst verwenden. Wer kann beispielsweise sagen, «ich habe es em Fritzu gegeben»?

Die Resultate der beantworteten Fragen lassen sich auf Live-Karten anschauen. Die App ist im Apple App Store und im Google Play Store erhältlich. Infos auf der Webseite www.gschmois.uzh.ch, auf Twitter und Facebook unter @gschmois und auf Instagram unter @gschmois_app. 

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