Schweizer Sängerin bringt neues Album «Molecules» raus
Sophie Hunger, die Eigensinnige

Sie ist nirgends zuhause, ihre eigene Chefin und experimentiert mit ihrer Musik. Sophie Hunger macht auf ihrem neuen Album «Molecules» alles anders.
Publiziert: 28.08.2018 um 07:53 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 21:12 Uhr
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Bis jetzt sah man Sophie Hunger an den Konzerten am Klavier sitzen. Wie wird sie wohl die neuen Songs performen?
Foto: Keystone / GONZALES PHOTO/IRIS EDINGER
Rebecca Wyss

Für eine erfolgreiche Musikerin wirkt Sophie Hunger unspektakulär. Kokainexzesse, Gitarrenaufderbühnezerstörer oder Blitzhochzeiten mit einem anderen Promi gibts bei ihr nicht. Überhaupt ist ihr das Rampenlicht suspekt, jedenfalls wenn es um ihr Privatleben geht. Lieber stellt sie sich mit ihrer Gitarre im schwarzen T-Shirt und Jeans auf die Bühne, ohne viel Schminke, ohne viel Bling Bling. Understatement pur.

Und mit dem verkauft Sophie Hunger Platte um Platte, heimst Preise ein, füllt Konzertsäle und ist der Liebling der Feuilletons. Alles wegen ihrer Musik, ihres Talents, sicher. Aber auch wegen all der Widersprüche, die sie so interessant machen. Sophie Hunger ist Diplomatentochter – sie wuchs mit zwei älteren Geschwistern in Bonn, London, Bern und Zürich auf – denkt aber wie ein Punk. Hunger ist ständig unterwegs, nirgends und überall in der Welt zuhause.

Fragt man die 35-Jährige nach ihrem Bezug zur Schweiz, sagt sie aber klar: «Die Schweiz ist meine Heimat. Hier will ich sterben.» Sie schafft die poetischsten Lieder, aber fiebert vor dem Fernseher mit Roger Federer mit. Sophie Hunger gibt es nicht ohne aber – und nicht ohne Brüche.

Synthesizer anstatt Akkustikgitarre und Klavier

Das zeigt ihr neuestes Album «Molecules», das am 31. August erscheint. Ein kompletter Stilbruch. Mit dem Mix aus Pop, Soul, Jazz und Folk, mit dem sie fünf Alben lang Erfolg hatte, hat sie erstmal abgeschlossen. Jetzt ist Elektro mit Synthesizer angesagt. Aber kein lauter, überfrachteter und hämmernder, sondern ein sanfter, minimaler, düsterer. Sie selbst nennt es minimalistischen Elektro-Folk. Elektro im Sound, Folk in den Texten. In ihren Songs befasst sich Hunger mit der unsicheren Weltlage, politischen Supergaus und der Liebe, ihre Liebe, die zu Ende ging. Die Katastrophen des modernen Menschen halt. Oder wie Hunger auf Nachfrage sagt: «Die Bedrohung des herannahenden Jüngsten Gerichts und der verstummte Klassenkampf.»

Zum eher kühlen Elektro kam sie durch einen Umzug. Vor ein paar Jahren noch wohnte sie in Zürich. In der Wohnung eines abbruchreifen Gebäudes gingen die Kinder der Siedlung ein und aus, lebten ihre Geschwister mit ihr und feierte sie viel – ein ständiger Ausnahmezustand. Dann wurde das Haus verkauft und Hunger rausgeworfen. Ein Einschnitt in ihrem Leben. Weil sie deswegen «ziemlich beleidigt» war, wie sie einmal sagte, ging sie erst mal in die USA und spielte anderthalb Jahre keine Konzerte. Dann entschied sie sich, nach Berlin zu ziehen – den Elektro-Hotspot schlechthin. «Ich habe mich dort in jemanden verliebt, der das die ganze Zeit gehört hat.» Deswegen habe sie immer in all die bekannten Clubs wie Berghain und Co. mitgehen müssen. «Irgendwann war ich angefixt.»

Der Stilwechsel hat noch einen anderen Grund. Seit ihrem ersten Soloalbum «Monday’s Ghost» hat sich die Gesellschaft stark verändert. «Der Körper wird immer mehr durch Strom ersetzt», sagte sie jüngst einem deutschen Fernsehsender. Sollen Popsongs relevant bleiben, müssen sie in die Zeit passen, brauchen sie andere Klänge. Und ihre Texte andere Worte. Die klassischen Songwriterbegriffe wie Birds und Blood – Vögel und Blut – taugen nicht mehr. Hunger setzt jetzt auf Partikel, Plutonium und Nitroglitzerin – Worte, die knistern und knallen. Und sie setzt auf die Sprache der heutigen Zeit: Englisch.

Sie will es auf dem englischen Markt schaffen

Bis jetzt sang sie auf Deutsch, Schweizerdeutsch, Englisch und Französisch, streifte eine Sprache ab, um gleich wieder in die nächste zu schlüpfen. Das gibt’s jetzt nicht mehr. Die elf Songs auf «Molecules» sind auf Englisch. Warum eigentlich, Frau Hunger? «Moment, ich habe eine Zeile Deutsch und zehn Zeilen Französisch!», wendet sie ein und geht nicht weiter darauf ein. Es ist kein Geheimnis, dass sie auf dem britischen Musikmarkt mit einer englischen Platte bessere Chancen hat. Will sie dort Fuss fassen? Sie selbst spricht hin und wieder öffentlich über ihre Existenzängste. In der «ultra-kapitalistischen Hölle» Musikindustrie verschwänden ständig Bands, die eben noch abgeküsst worden seien, sagt sie uns gegenüber. «Es verunsichert mich zu wissen, dass mich dasselbe Schicksal ereilen könnte.» Für einen ausländischen Künstler ist der englische Markt schwierig. Die Konkurrenz ist riesig. Und die Engländer sind Bands aus dem Ausland gegenüber skeptisch, weil sie sich in Punkto Musik selbst für die besten halten.

Gerade mit ihrer musikalischen und sprachlichen Virtuosität hat sich Sophie Hunger einen Namen gemacht. Ein Profil geschaffen. Auch in Frankreich und Deutschland weiss man, wer la Hunger ist – etwas, das nur ganz wenige Schweizer Künstler schaffen. Trotzdem könnte sie mit dem Stilwechsel durchkommen. Weil sie sich treu bleibt. Ihre Songs sind nach wie vor poetisch und politisch. Sie treffen einen Nerv. Wie das aktuelle Stück «She makes President», das auf die Präsidentschaftswahl in den USA anspielt. Daran, dass die Frauen ausschlaggebend für Trumps Wahl waren. Der Song ist Hungers Widerstand. «Im Lied wollte ich ein ideales Porträt der modernen Frau erklingen lassen.»

Vielleicht auch eines von ihr. Hunger ist nämlich auch Chefin. Chefin einer Band, die sie extra für die Alben nach ihrem Gusto mit Musikern ausstattet, ihrer Tours und ihrer Platten. Diese finanziert und produziert sie selbst. Lange sei sie immer so abhängig von den «Typen im Studio» gewesen, wie sie sagt. Um zu lernen, wie man mit der Technik umgeht, machte sie in den USA eine Ausbildung. Heute redet ihr keiner mehr so leicht rein. Ihre Strategie: «Emanzipation durch Wissen, indem wir Frauen diese Sachen einfach besser machen.»

Trotz alledem gibt es kaum einen journalistischen Beitrag, in dem ihr Vater Philippe Welti nicht erwähnt wird. Wenn meist auch nur wegen seines Jobs. Es stimmt, dass Sophie Hunger als Tochter eines Diplomaten viel herum kam und nie richtig Wurzeln schlagen konnte. Es stimmt auch, dass es ihr materiell kaum an etwas fehlte. Das ist auch schon alles, findet sie. «Man fragt sich, wie alt man werden muss, um nicht mehr über den Beruf des Vaters vorgestellt zu werden und ob das den anderen allen auch passiert.» Und dann sitze man schlussendlich im Tourbus mit zwölf lustigen Nasen und merke, dass das alles ja völlig egal sei.

Ab Herbst ist Hunger in der Schweiz auf Tour

Im September geht sie nun auf Tour. Trotz Erfolgen im Ausland vergisst sie die Schweiz nicht. Auch Zürich nicht. Im kleinen Zürcher Club «Helsinki» hat sie ihre ersten beiden Konzerte gespielt, dort gibt sie im Herbst ihr erstes Schweiz-Konzert. «Wenn ich in den Raum dort komme, erinnert mich jeder Gegenstand an irgendeine dramatische Geschichte in der Vergangenheit.» Im Dezember geht es in Basel und Bern weiter. Hunger spricht vier Sprachen und ist längst eine Kosmopolitin, aber «wenn ich an der Kasse stehe und das Münz für mich zähle, dann kommt Schweizerdeutsch aus meinem Mund.»

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