Schriftsteller Thomas Meyer nimmt Stellung zu Lebensfragen
Man kann sein Kind nicht vom Leben fernhalten

Meine Tochter ist mit einem Mann zusammen, der ihr nicht guttut. Wie kann ich ihr helfen?
Publiziert: 25.01.2016 um 12:13 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:25 Uhr

Wir alle haben es schon erlebt, dass Menschen, die uns nahestehen, Entscheidungen treffen, die sich für ihr Wohlergehen als ungünstig erweisen. Und wir alle kennen das damit verbundene Gefühl der Ohnmacht – wie auch die vergeblichen Versuche, die Irrläufer auf den rechten Pfad zu führen.

Aber wer sind wir, dass wir so genau zu wissen glauben, was für andere richtig ist? Wer sind wir, dass wir andere als nicht lebensfähig betrachten und uns aufführen wie die Weisheitspolizei? Und was ist das für eine Auffassung von Freundschaft und Liebe, die fremdes Leiden ständig zum eigenen macht? Denn genau darin liegt der Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl: Letzteres wahrt die nötige Distanz.

Wir involvieren uns oft zu leichtfertig und zu heftig in das Unglück anderer. Natürlich wollen wir, dass es ihnen gut geht. Allerdings – und das ist nicht mehr ganz so nobel – dient uns ihr Leiden oft auch als bequeme Ablenkung von unserer eigenen Traurigkeit, unserem eigenen Chaos.

Ihre Tochter ist ein erwachsener Mensch und hat das Recht, eigene Fehler zu machen und daraus zu lernen. Wie soll sie herausfinden, was ihr guttut, wenn sie nicht ein paar schlechte Erfahrungen macht? Der Wunsch, sein Kind vor Schmerz zu schützen, ist nachvollziehbar, aber auch falsch, denn er veranlasst einen, sein Kind ständig vom Leben fernzuhalten – und damit von einer eigenen Existenz.

Vertrauen Sie Ihrer Tochter. Sie weiss offenbar noch nicht, was gut ist für sie, aber sie muss es selbst lernen – ohne Sie. Und machen Sie einen Spaziergang, bei dem Sie über Ihr Motiv meditieren: Warum wollen Sie Ihre Tochter beschützen? Worin fühlen Sie sich selbst schutzlos? Was ist Ihr eigener Schmerz? Sie sollten diesen nicht an Ihrem Kind abarbeiten. Das ist nämlich genau das Gegenteil von Helfen.

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