In den letzten Wochen stieg sie zu den begehrtesten Produkten auf, ihre Regale in den Supermärkten waren zeitweise leer gekauft. Die Rede ist von der Seife. In öffentlichen WCs häufig unberührt, griffen mit dem neuen Gesundheitsgebot «gründlich Hände waschen» alle nach ihr.
Und viele werden jetzt nach Lenzburg AG strömen, denn dort beginnt – zeitlich perfekt programmiert – am Dienstag eine Seifenausstellung unter dem Titel «Saubere Sache». In der Seifi, dem letzten Gebäudekomplex der ehemaligen Seifenfabrik Lenzburg, zeigt das Museum Burghalde viele Facetten rund um die Seife.
Geschichte, Gestaltung, Geruch und Gebrauch: In verschiedenen Abteilungen der früheren Produktionshalle können sich Besucherinnen und Besucher in unterschiedliche Aspekte vertiefen.
1857 gründet Rudolf Ringier die Fabrik
Beim Eingang steht ein orientalischer Brunnen unter einem Baldachin zur rituellen Reinigung wie in einer Moschee; anschliessend kommt man zu neun historischen Stationen von der Steinzeit bis zur Nanotechnologie; dann zu den bunten Werbeplakaten für weisse Wäsche; und zum Schluss können Jung und Alt im Labor selber experimentieren.
«Wir treffen mit der Ausstellung den Nerv der Zeit», sagt Museumsleiter Marc Philip Seidel (42). Doch er sieht es eher als Zufallstreffer, denn zusammen mit Projektleiterin Christine von Arx (44) arbeitet er schon seit zwei Jahren an dieser Sonderschau in der Dépendance des Museums Burghalde.
In der Villa Burghalde am Fuss des Schlossbergs, schräg vis-à-vis der Seifi, ist der Gründer der Savonnerie Lenzbourg aufgewachsen: Rudolf Ringier (1830–1873), ältester Sohn des liberalen Nationalrats und Richters Johann Rudolf Ringier (1797–1879), der mit dem Aufbau der Druckerei in Zofingen AG den Grundstein für den Ringier-Verlag legt (heute Herausgeber unter anderem des BLICKs).
Sohn Rudolf geht als Mediziner und Chemiker einen anderen Weg: Mit gerade mal 27 Jahren steigt er 1857 zusammen mit seinem jüngeren Bruder Arnold Ringier (1834–1878) in die Produktion von Medizinalseifen ein. Da die beiden Brüder relativ jung sterben, erlebt die Fabrik einige Besitzerwechsel. 1983 ist dann Schluss in Lenzburg, und die Armee sprengt den Grossteil der leeren Fabrikanlage.
Die über 125-jährige Firmengeschichte dokumentieren Schwarz-Weiss-Fotos entlang der Fensterwände der Ausstellungshalle und geben Einblick in den Produktionsprozess: von der chemischen Analyse über das Sieden und Pressen bis zum Lagern und Einwickeln der fertigen Toilettenseifen. Zu besten Zeiten hatte das Unternehmen gut 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Christine von Arx verweist auf ein Gruppenfoto vom 100-Jahr-Jubiläum 1957.
«Eine echte Corona-Seife»
«Spécialités des usines de Lenzbourg Rodolphe Ringier fils & Cie» steht auf einer Preisliste mit hochwertigen Parfümseifen von 1880. Es ist kein Zufall, dass der Gründer der Savonnerie mitten im Deutschschweizer Mittelland mit der französischen Sprache kokettiert. Denn Frankreich ist zu jener Zeit mit den Städten Marseille, Toulon und Lyon das weltweite Zentrum der Seifenproduktion. Bereits 1829 fabriziert man dort 4000 Tonnen.
Es ist Sonnenkönig Louis XIV (1638–1715), der die besten Seifensieder ins Schloss Versailles holt und der Seife zu neuer Blüte verhilft, nachdem sie im Mittelalter fälschlicherweise als Ursache für die Pest in Verruf kam. Es ist auch Louis XIV, der 1688 das Reinheitsgebot für Seifen erlässt: Demzufolge müssen die Sieder mindestens 72 Prozent reine und fein duftende Öle mit der Lauge aufkochen.
Trotz der sprachlichen Anknüpfung an diese edle Tradition fährt man in Lenzburg über Jahre gröberes Geschütz auf. Nach den Anfängen mit der Medizinalseife entwickeln sich das Scheuermittel Rex und die Kernseifenmarken Adler und Krone zu Verkaufsschlagern. In einer Vitrine ist ein solcher faustgrosser Mocken mit einer Kronenprägung obendrauf zu sehen. «Eine echte Corona-Seife», sagt Ausstellungs-Kurator Seidel und lacht.
Neben dieser Rarität finden mit der Schau eine 100-jährige Seifenpresse und die legendären Seifi-Plakate von Trüb & Cie aus Aarau an ihren Herkunftsort Lenzburg zurück. «Saubere Sache» ist denn auch eines der Projekte im Rahmen von #ZeitsprungIndustrie, womit der Kanton Aargau in diesem Jahr sein industrielles Kulturerbe präsentiert – nicht nur tote Vergangenheit, sondern ebenso lebendige Gegenwart und erdachte Zukunft.
Deshalb bietet die Ausstellung nicht nur einen Rückblick, sondern ein Seifenlabor in Zusammenarbeit mit dem Swiss Nanoscience Institute der Universität Basel, in dem man eigene Seifen herstellen und die physikalischen Aspekte von Sauberkeit erleben kann. «Wer beim Sieden Natronlauge verwendet, erhält eine feste Seife», sagt Projektleiterin von Arx. «Für flüssige Seife braucht es Kalilauge.» Früher habe man statt der Laugen Soda oder Pottasche dazugefügt.
Wasser allein reicht nicht
Schon vor 4500 Jahren vermengten die Sumerer im Nahen Osten Pflanzenasche mit Ölen zu einer Ur-Seife, was einen reinigenden Effekt hatte. Die Römer nutzten diesen erstmals in ihren Badehäusern. Doch erst im 7. Jahrhundert verkochte man im Mittleren Osten Öl mit Laugen und schuf damit Seifen in der heute bekannten Form. Mit der Eroberung Spaniens durch die Mauren verbreitete sich das Wissen schnell in ganz Europa.
Wieso eine Seife reinigend wirkt, finden Wissenschaftler erst sehr viel später heraus: Mit Wasser vermengt ist sie ein geradezu perfekter Mittler von Fett und Flüssigkeit. Dabei bindet sich in jedem Seifenteilchen das Schwänzchen mit Fett, das Köpfchen mit Flüssigkeit. Das Reiben der seifigen Hände aneinander zerkleinert das Fett in kleine Tröpfchen, eine Seifenschicht umhüllt die, worauf sie sich mit Wasser abwaschen lassen.
Es braucht also Seife für saubere Hände, Wasser allein reicht nicht. Ob heiss oder kalt ist in der Kombination für den Reinigungseffekt egal, wie Forscher der Universität Regensburg (D) in einer gross angelegten Studie herausgefunden haben. Entscheidend ist dagegen, dass man während 30 Sekunden auch Fingerspitzen und -zwischenräume sowie Handrücken einseift und dann alles gut wegspült. Dadurch seien 99,9 Prozent der Bakterien, Viren und sonstigen Keime weg.
«Die Seife macht das Virus unschädlich», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) also zu Recht in seinem Aufruf an die Bevölkerung, sich im Kampf gegen das neue Coronavirus die Hände gründlich zu reinigen. «Indem Sie Ihre Hände regelmässig mit Seife sorgfältig waschen, können Sie sich schützen.» Mit dem orientalischen Eingangsbrunnen bieten die Macher der Seifenausstellung in Lenzburg nicht nur einen optischen Reiz, sie erfüllen auch die Vorgaben des BAG.
Seidel wäscht sich dort die Hände. Am liebsten würde er es stündlich machen, denn er ist begeistert vom Duft der «Lenzburger Rose». Sie ist neben dem «Lenzburger Blau» und «Lenzburger Wald» eine von drei naturreinen Seifen, die das Leitungs-Duo von einer Aargauer Manufaktur eigens für die Ausstellung anfertigen liess und statt eines Katalogs an der Kasse zum Verkauf anbietet. Damit verlassen erstmals nach 37 Jahren wieder Reinigungsprodukte die Seifi – eine saubere Sache.
«Saubere Sache. Über die faszinierende Welt der Seifen», Sonderausstellung in der Dépendance Seifi des Museums Burghalde, Lenzburg, 9. Juni 2020 bis Herbst 2021.