Sarah van Berkel als SRK-Botschafterin im Krisengebiet
«Die Menschen sind verzweifelt»

Das Land ist am Boden, die Leute sind verzweifelt. Bei ihrem Besuch im Libanon erlebt Sarah van Berkel, wie sinnvoll und wichtig die Hilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes ist. «Das Rote Kreuz gibt den Menschen Halt und Hoffnung», sagt die SRK-Botschafterin.
Publiziert: 19.11.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2023 um 18:06 Uhr
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Der schwerkranke Maroun Moussalem erzählt Sarah van Berkel in seiner Stube von sich. Die Schweizerin: «Ich bewundere die Menschen hier für ihren Lebenswillen.»
Foto: Remo Nägeli
Thomas Kutschera

Die Reportage mit SRK-Botschafterin Sarah van Berkel im Libanon ist im Juli entstanden und zeigt die Situation im Land zu diesem Zeitpunkt auf.

«Wegen des Wassers hatte ich oft Ärger mit meiner Frau», sagt Charles Merhi zu Sarah van Berkel. Die beiden stehen in seinem Garten in Alma im Norden Libanons, ernten Tomaten. Sie sieht ihn fragend an. «Früher mussten wir das Wasser von einem Händler beziehen. Er brachte es im Tankwagen, für teures Geld. Manchmal kam er nicht, dann hatten wir kein Wasser», erzählt der arbeitslose 46-jährige Vater von drei Kindern. «Dank des Roten Kreuzes haben wir nun jederzeit genügend gesundes Wasser. Für viel weniger Geld. Dank euch gehts uns besser. Und ich habe keinen Ärger mehr mit meiner Frau.» 

LRK UND NAHOSTKONFLIKT

Der aktuelle bewaffnete Konflikt im Nahen Osten hat auch für das Libanesische Rote Kreuz (LRK), den wichtigsten Anbieter medizinischer Notdienste im Libanon, grosse Konsequenzen. Besonders stark betroffen ist die Grenzregion im Süden des Landes. Das LRK leistet den vom Konflikt betroffenen Menschen schnell und effektiv Hilfe. Priorität hat, im Einklang mit dem Rotkreuzauftrag und dessen humanitären Grundsätzen: Leben retten, Leiden lindern und grundlegende Dienstleistungen bereitstellen für Menschen in diesen Gebieten und für Binnenvertriebene.

Der aktuelle bewaffnete Konflikt im Nahen Osten hat auch für das Libanesische Rote Kreuz (LRK), den wichtigsten Anbieter medizinischer Notdienste im Libanon, grosse Konsequenzen. Besonders stark betroffen ist die Grenzregion im Süden des Landes. Das LRK leistet den vom Konflikt betroffenen Menschen schnell und effektiv Hilfe. Priorität hat, im Einklang mit dem Rotkreuzauftrag und dessen humanitären Grundsätzen: Leben retten, Leiden lindern und grundlegende Dienstleistungen bereitstellen für Menschen in diesen Gebieten und für Binnenvertriebene.

Die Sonne brennt, Sarah van Berkel wischt sich den Schweiss von der Stirn. Seit neun Jahren gehört die ehemalige Spitzeneiskunstläuferin zu den Botschafterinnen des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Im Juli ist die 39-Jährige in den Libanon gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen über die vom SRK finanzierten und vom lokalen Roten Kreuz betriebenen Projekte. Sie ist in Begleitung von Jyri Rantanen. Seit acht Jahren koordiniert der 59-jährige Finne im SRK-Auftrag die Rotkreuzhilfe im Libanon. 

Das Land ist am Boden

Die Situation im kleinen nahöstlichen Land ist katastrophal, die wirtschaftliche und politische Krise lähmt alles. 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze – die Menschen können sich die immer teureren Grundnahrungsmittel praktisch nicht mehr leisten. Der Staat liegt am Boden: Renten gibts keine mehr, dafür alle paar Stunden Stromausfälle. Seit 2019 ist es nicht mehr möglich, sein Vermögen zu beziehen. Die Bank gibt nur noch Geld für den täglichen Bedarf heraus – 400 Franken im Monat. Das öffentliche Gesundheitswesen ist kollabiert: Fast die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte ist seit Beginn der Wirtschaftskrise 2019 ausgewandert, weil sie fast nichts mehr verdienen. Nach der verheerenden Explosion 2020 leiden unzählige unter posttraumatischen Belastungsstörungen, die Ruinen im Hafen stehen noch immer. Mindestens 207 Menschen wurden bei der Katastrophe getötet, mehr als 6500 verletzt.

Die Stimmung im ganzen Land ist bedrückt. Und überall bekommt Sarah van Berkel die gleichen Sätze zu hören: «Wir leben nicht, wir überleben. Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, auch angesichts der vielen Flüchtlinge, die in unser Land strömen.» Die SRK-Botschafterin sagt: «Die Menschen sind verzweifelt, sie leiden still.» 

Zum Beispiel in Alma. Von April bis Dezember gibts hier keinen Regen, es wird bis 50 Grad heiss. Vor ein paar Monaten haben Mitarbeiter des Libanesischen Roten Kreuzes mit Spendengeldern aus der Schweiz eine grosse Solaranlage installiert. Diese liefert Strom für eine Pumpe, die Grundwasser an die Oberfläche und in die Wassertanks der Bevölkerung befördert. Jedes Haus im Dorf hat einen Wassertank auf dem Dach. Vom Projekt profitieren 2000 Haushaltungen, das sind 10'000 Personen. Auch in fünf anderen Dörfern der Region hat das Rote Kreuz je eine Anlage installiert. Jyri Rantanen erklärt: «Andere Ortschaften warten sehnlichst darauf. Wir sind dran.» 

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helfen.redcross.ch

Der Libanon steht vor dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch. Stark steigende Preise und Versorgungsengpässe gefährden den Zugang zur Gesundheitsversorgung für weite Teile der Bevölkerung. Um Abhilfe zu schaffen, bietet das Libanesische Rote Kreuz in Gesundheitszentren Sprechstunden und bezahlbare Medikamente an. Das Schweizerische Rote Kreuz unterstützt es dabei.

Spenden
Postkonto 30-9700-0
IBAN CH97 0900 0000 3000 9700 0

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Am nächsten Tag besucht Sarah van Berkel das Red-Cross-Spital in Jal El Dib nahe der Hauptstadt Beirut. Das Libanesische Rote Kreuz betreibt im ganzen Land 35 weitere solche öffentlichen Gesundheitszentren sowie neuen mobile medizinische Einheiten. «Damit ermöglichen wir 200'000 Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung», sagt Rosy Abi Abdallah zur Schweizerin. Die 31-jährige Ärztin ist medizinische Leiterin aller Red-Cross-Spitäler in ihrer Heimat. Dazu betreibt das Libanesische Rote Kreuz den einzigen Ambulanzdienst und auch die einzigen Blutspendezentren im Land – auch diese Dienstleistungen sind unentgeltlich. «Wir alle vom Red Cross machen unsere Arbeit mit Herzblut. Wir lieben unser Land. Trotz allem.»

«Euch trauen wir»

Die Warteschlange vor der Klinik ist lang. Ärztin Abi Abdallah begrüsst die nächste Patientin. Mit ihren Herzrhythmusstörungen ist die 56-jährige Sanaa Mousallem seit zwei Jahren bei ihr in Behandlung, bekommt hier für wenig Geld die nötigen Medikamente. «In einem der wenigen staatlichen Spitäler könnte ich das alles nicht bezahlen. Hier hört man mir zu, hier bin ich guten Händen», sagt die Mutter dreier Töchter. 

Sarah van Berkel erkundigt sich, wie es ihrer Familie geht. Sanaa Mousallem holt tief Luft. Daheim in ihrer kleinen Wohnung kümmert sie sich aufopferungsvoll um ihren Mann Maroun. Der 66-Jährige ist beim Olivenpflücken von der Leiter gestürzt, seither querschnittgelähmt und fast immobil. Eine Rotkreuzhelferin schaut regelmässig bei ihm vorbei. «Ohne das Rote Kreuz wäre ich nicht mehr am Leben», sagt seine Frau und nimmt die Hand der Ärztin. «Ihr seid die einzige Institution, der wir Libanesen noch trauen. Die nicht nimmt, sondern gibt. Ich und so viele andere Menschen im ganzen Land sind so froh und dankbar, dass es euch gibt.»

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