Reiterinnen und ihre Pferde
Beste Freundinnen

Wer nicht selbst reitet, kann Pferdefrauen nicht verstehen. Oder doch? Zu Besuch bei einer Stallgemeinschaft im solothurnischen Kienberg.
Publiziert: 05.04.2017 um 16:32 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 17:09 Uhr
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Sogar die Frisur ist gleich: Larissa Bürki (28) und ihre Haflingerstute Winka sind seit 15 Jahren unzertrennlich.
Foto: Rob Lewis
Jonas Dreyfus

Der Anblick der weiten Ebene wirkt entspannend wie ein tiefer Atemzug. Eingeklemmt zwischen dem Aargau und Baselland liegt hier, im nordöstlichen Zipfel des Kantons Solothurn, die Gemeinde Kienberg. Auf einem der nahen Hügel steht der Aktivstall Gubler, eine der modernsten Anlagen für Pferde. Regelmässig nehmen Frauen aus der ganzen Schweiz den Weg hierhin auf sich, um nach ihren Pferden zu sehen.

«Mit dem Bau des Stalls ging für mich ein grosser Traum in Erfüllung», sagt Stallleiterin Jasmin Gubler. Die 35-Jährige wirkt jugendlich und rundum glücklich. Sie stammt aus einer Zürcher Arbeiterfamilie und wollte schon als kleines Mädchen reiten, doch die Eltern konnten es sich nicht leisten. «Das Geld hat knapp fürs ‹Wendy›-Abo gereicht. Mein Zimmer war mit Pferdepostern zugepflastert.»

Gubler begleitete damals regelmässig ihre beste Freundin zum Reitunterricht. «Einmal war sie krank – ich hatte meine erste Stunde.» Später in der Konditor-Confiseur-Lehre arbeitete sie nebenher für den Fussballklub GC – und investierte ihren Lohn bis zum letzten Rappen in ihr Hobby, die Reiterei. Gubler verliebte sich in einen Landwirt, mit dem sie heute drei Söhne hat und auf dem Bauernhof in Kienberg lebt. An diesen ist ihr Stall angegliedert.

Jeden Sonntag wuseln Frauen durch den Stall, die ihre Rösser striegeln, ihnen die Mähne bürsten und den Schweif mit speziellen Conditionern einsprühen. Fünfzehn Pferdefans – vierzehn sind weiblich – haben ihre Tiere hier eingemietet und zahlen rund 650 Franken pro Monat. Wohlhabend sind die wenigsten, sie verzichten auf manch anderes. «Für meinen Hengst Eros bezahle ich mehr Miete als für mein WG-Zimmer», sagt eine der Stallgenossinnen.

Frisch gestylt haut die Stute ab ins Schlammbad

Besonders eitel sind die Pferdebesitzerinnen nicht. Vor der Kamera unseres Fotografen sollen andere glänzen: ihre Tiere. Vereint sitzen die Frauen auf den Gattern und quatschen. Jasmin Gublers Mazedonierstute Mary sorgt für Gelächter. Die Besitzerin hat sie frisch gestylt, dann entschliesst sich das Tier aber, ein Schlammbad zu nehmen. «Das hat sie absichtlich gemacht», sagt eine der Frauen und erklärt die Verhaltensweisen von weiblichen, kastrierten und unkastrierten Pferden: «Mit Stuten muss man diskutieren, Wallache muss man fragen und Hengste bitten.»

Stall-Chefin Jasmin Gubler (35) mit Ehemann und Söhnen.
Foto: kratzerbild

Anhängerinnen des Reitsports nennt man Pferdefrauen – und sie haben ein Imageproblem. Verwöhnte Prinzessin, asoziale Einzelgängerin, verbissenes Mannsweib, die Stereotypen sind mannigfaltig und nicht sonderlich schmeichelhaft. Jüngst hat die deutsche Bestsellerautorin Juli Zeh (42) der Pferdefrau neue Aufmerksamkeit beschert. In ihrem Roman «Unterleuten» charakterisiert sie eine manipulative Dorfbewohnerin, die für ihren geliebten Hengst Bergamotte über Leichen geht. Recherchiert hat Zeh – selbst eine passionierte Reiterin – offenbar im Internet. Unter anderem bei Harriet Jensen (25). Die erfolgreichste deutsche Pferdebloggerin listet dort zehn Dinge auf, deren sich Liebespartner von Pferdefrauen bewusst sein müssen.

Die Quintessenz für Männer: Deine Partnerin liebt das Tier mehr als dich. Wenn du nicht wenigstens versuchst, etwas Interesse vorzutäuschen, hast du verloren. Sieh zu, dass du mit ihren Freundinnen aus dem Stall gut auskommst, und gewöhn dich daran, dass es so wie dort auch in eurer gemeinsamen Wohnung riecht.

150'000 Pferdefreunde frönen ihrem teuren Hobby

Die Faszination für Pferde ist grösser, als viele vermuten, und das, obwohl fast kein Hobby mehr kostet als Reiten. Trotzdem ist es laut einer Studie des Bundesamtes für Sport aus dem Jahr 2014 beliebter als Unihockey, Basketball oder Squash. Rund 150'000 Menschen üben landesweit irgendeine Aktivität mit oder auf einem Pferd aus. 85 Prozent davon sind Frauen.

Reiterin und Pferd: Eine unzerstörbare Blase aus trauter Zweisamkeit.

Steht das Pferd nun bei Pferdefrauen wirklich immer an erster Stelle? Auf die Frage herrscht in Kienberg erst mal Stille, verstohlene Blicke werden ausgetauscht, eine kichert. Dann meldet sich Larissa Bürki zu Wort, eine 28-Jährige mit modischer Hornbrille. «Wenn beide in Not wären, mein Freund und meine 23-jährige Haflingerstute Winka, dann würde ich mich schon zuerst um ihn kümmern», sagt sie und relativiert: «Menschen können sich aber meistens selbst helfen.»

Pferdefrei ist nur gerade der Samstag

Vier Stunden wendet die Zürcherin täglich für ihr Hobby auf, zwei Stunden dauern allein die Hin- und Rückfahrt. Einzig am Samstag macht sie Pause. Um nicht in Zeitnot zu geraten, hat Bürki ihr Arbeitspensum reduziert. «Mein Freund findet meine Abwesenheiten nicht immer so toll», sagt sie. «Aber er wusste von Anfang an, worauf er sich einlässt. Wir sind seit zwölf Jahren zusammen, Winka habe ich seit fünfzehn Jahren.»

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