Einmal um die Welt in zwei Wochen: Meine amerikanischen Bekannten sind stolz auf ihre minuziöse Ferienplanung. In ihrer maximal zweiwöchigen Auszeit (die meisten Amerikaner haben kaum mehr Ferientage) stopfen sie so viele Reiseziele wie möglich. Extremstes Beispiel: Eine Reise von Florida nach Mailand, Paris, London, weiter nach Bangkok und Chiang Mai in Thailand und nach einem Stopp in Tokio wieder zurück in den Sunshine State. Und das alles in gerade einmal 14 Tagen.
Und was haben sie gesehen? Sie haben die «Bucketlist» abgehakt: in Mailand den Dom und die Shoppinggalerien, in Paris den Eiffelturm, das Louvre-Museum und ein Besuch beim Varieté Moulin Rouge. Also das Typische, das jeder Reiseführer und jeder Blogger als die «Must-Sees» vorgaukeln. Aber haben sie sich in Bangkok durch die verwirrenden Gassen treiben lassen, haben die Werkstätten entdeckt, in denen die Buddhastatuen hergestellt werden, haben in einem «unspektakulären» Tempel mit einem Mönch gesprochen? Natürlich nicht, dafür fehlt die Zeit.
Kaum noch Zeit für tiefere Erlebnisse
Und manchmal scheint es mir, es geht den Reisenden immer mehr der Wunsch abhanden, tiefer in die Kultur und die Eigenheiten einer Destination einzulassen. Instagram und Co unterstützen den Trend zudem. Wenn jeder ein Selfie mit den putzigen Horse Guards in London postet, dann darf jenes Foto im eigenen Feed natürlich nicht fehlen – Social-Media-Gruppenzwang.
Zugegeben, meine Trips als Reisejournalist gleichen denen meiner amerikanischen Bekannten. Reiseveranstalter und Destinationen, welche die Pressereisen organisieren, pressen maximal viele Eindrücke in so kurze Zeit wie möglich. Damit kratzt man kaum an der Oberfläche und der Vielfältigkeit eines Reiseziels.
Entschleunigt Reisen
Während das zu den Bedingungen meines Berufs gehört, tendiere ich in meinen privaten Reisen zum anderen Extrem: Ich reduziere meine Reisegeschwindigkeit auf ein Minimum. Entweder bleibe ich lange an einem Ort oder entdecke eine Region zu Fuss, so wie im letzten Sommer, als ich auf dem französischen Jakobsweg unterwegs war.
In vier Wochen trottete ich von Montpellier bis nach Spanien und tauchte tief in den Süden Frankreichs ein, habe die Bilderbuch-Spots ebenso erlebt wie Vororte voller Armut, habe lokalen Festen beigewohnt und mit Schäfern auf dem Feld gesprochen – sehr wahrscheinlich war mir dadurch ein authentischeres Südfrankreich vergönnt als beim Abhacken der schönsten Dörfchen in der Provence, die ohnehin zu Touristenfallen verkommen sind.
Jenseits der Bucket-List liegen die authentischen Erlebnisse
Und wenn ich nun auf meine etwa ein Duzend Reisen in 2023 zurückschaue, sind die Erinnerungen an jene Fernwanderung bei weiten die lebendigsten und farbenfrohsten. Und ich werde mich auch noch in mehreren Jahren daran erinnern – im Gegensatz zu einigen Kurztrips ans andere Ende der Welt.
Klar, es müssen nicht vier Wochen auf dem Jakobsweg sein. Aber dennoch empfehle ich: Beim Reisen ist weniger mehr. Denn intensivere Erlebnisse leben auch dann noch in der Erinnerung weiter, wenn der Instagram-Feed schon lange in den Tiefen des Webs vergraben ist.