Wie ein elegantes Ferienresort liegt sie vor Barcelona (E) – eine Wand aus unendlichen Reihen gläserner Balkone, umfasst von weiss gestrichenem Stahl, glänzt in der Sonne.
Doch das gewaltige Bauwerk, 362 Meter lang und höher als das Zürcher Grossmünster, schwimmt auf Wasser: Es ist das grösste Kreuzfahrtschiff, das je gebaut wurde.
6410 Passagiere, ungefähr die Bevölkerungszahl von Stans, kann die Harmony of the Seas aufnehmen und ihnen an Bord bieten, was immer auch nur denkbar ist – inklusive Schlittschuhlaufen, Klettern über dem Ozean oder eine Bar, in der Roboter die Cocktails mixen.
298 Schiffe teilen sich den Kreuzfahrt-Tourismus
Steht man direkt davor, kann das Auge Heck und Bug kaum gleichzeitig erfassen. Die Touristen verzweifeln, weil kein Foto gelingt: Das Schiff ist für eine Nahaufnahme schlicht zu gross. 1,3 Milliarden Franken hat Eigentümer Royal Caribbean investiert – Ergebnis eines Wettrüstens auf den Weltmeeren. 298 Kreuzfahrtschiffe teilen sich den Markt und 22 Millionen Passagiere pro Jahr.
Da alle die gleichen Häfen ansteuern, muss das Schiff herausstechen. Michael Bayley (56), CEO von Royal Caribbean, streicht daher die neuste Innovation heraus: den «ultimativen Abgrund», eine steil gewundene Zehn-Etagen-Rutsche, natürlich die höchste auf See.
Die Harmony selbst ist, mal wieder, das grösste Schiff aller Zeiten – einen Meter länger und um 41 Kabinen grösser als Allure oder Oasis des gleichen Unternehmens, das aktuell die sechs grössten Schiffe der Welt betreibt. Jedes Mal muss es noch mehr sein.
So hat die Harmony neben der Megarutsche weitere Highlights: ein offener Park im Schiffsinneren, in dem 10'000 echte Pflanzen wachsen, eine eigene Starbucksfiliale, eine Zipper-Line über einem Abgrund aus neun Decks und ein Wassertheater, in dem Artisten gewagte Kopfsprünge zeigen.
Öko ist heute ein Verkaufsargument
Die gewaltigen Baukosten haben zu einer starken Konzentration bei den Reedereien geführt, anders wäre das gar nicht finanzierbar. Royal Caribbean betreibt Schiffe unter fünf Marken (u. a. Celebrity), Konkurrent Carnival Cruise Line sogar unter zehn (u. a. Princess, Aida).
Die Schiffbauer kupfern auch voneinander ab. So stattete die Disney Cruise Line, Betreiberin von vier Schiffen, die fensterlosen Innenkabinen mit runden Displays aus, die einen Lifestream vom Ozean zeigen – simulierte Bullaugen für die billigste Reiseklasse. Die Harmony hat das auch, aber hier ist das Display gleich raumhoch und heisst «virtueller Balkon».
Schneller und zugleich sparsamer soll die Antriebstechnik der Harmony sein, denn Öko ist heute ein Verkaufsargument. Wenn der Kapitän der Harmony die Leistung der vier 7500-PS-Motoren aufdreht, vibriert nur ganz leicht der Boden. Der Koloss bewegt sich ansonsten glatt wie auf Schienen: Auf der Unterseite pressen Maschinen winzige Luftbläschen ins Ozeanwasser, die das Schiff besser gleiten lassen.
1 Woche ab 950 Franken
Für die Touristen führt der harte Wettbewerb zu erstaunlich niedrigen Preisen: Eine Woche Karibik auf der Harmony gibt es ab 950 Franken inklusive Mahlzeiten. Die riesige Zahl an Kabinen erlaubt eine günstige Kostenverteilung.
Die 2100 Mitarbeitenden der Mannschaft kommen aus 34 Nationen und müssen heute auch mehr bieten. Englisch ist die Bordsprache, doch es gibt für jedes Herkunftsland einen Botschafter an Bord, der die Sprache versteht und bei Bedarf hilft. Selbst ein Ärzteteam und Ernährungsexperten, falls jemand wissen will, wo es Gerichte für Veganer oder Gluten-Allergiker gibt, sind an Bord.
Wem bei all der Geschäftigkeit der Kopf raucht, der findet ein paar ruhige Bereiche auf dem XXL-Kreuzer. Die kleine -Bibliothek mit Büchern und Brettspielen oder das dreigeschossige, verglaste Sonnendeck für Erwachsene am Bug wirken fast rührend altmodisch.
«Eigentlich ist das ja kein richtiges Schiff», sagt ein Schweizer Reisender. Tatsächlich wähnt man sich eher in einer schwimmenden Kleinstadt, die jeden Tag einen anderen Hafen vor der Tür hat – Barcelona, Marseille, Rom. Aber aussteigen muss eigentlich keiner mehr: Das, was man sich wünschen könnte, ist meist nur eine Liftfahrt entfernt.