Fluss des Lebens
Gewaltsmarsch am Mekong

Acht Monate, 4900 Kilometer: Fotograf Luciano Lepre erkundete zu Fuss den Lauf des Mekong.
Publiziert: 19.01.2015 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:57 Uhr
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Lebensgefährlich: Catfish-Fischerei im reissenden Mekong.
Foto: Luciano Lepre
Von Silvia Tschui

Fotograf Luciano Lepre (59) hat eine archetypische Reise getan, die Träume und Ängste gleichermassen weckt: über 4900 Kilometer zu Fuss durchs Nirgendwo. Ausgehend vom Mekong-Delta in Vietnam, durchwanderte er in acht Monaten sechs Länder – bis er in Tibet als krönender Abschluss der Reise eine bis anhin unbekannte Quelle des Mekong fand.

Warum, fragt man sich, tut einer eine solche Reise, die – so traumhaft und abenteuerlich sie auch klingt – mit ungeheuren Strapazen verbunden ist? Auf der man körperlich und psychisch an die Grenzen gerät. Auf der man oft einsam ist und manchmal sogar an Leib und Leben bedroht? Lepre gibt eine Antwort, die wir sonst von Künstlern kennen: «Ich konnte einfach nicht anders.»

Lebensgefährliche Fischerei im reissenden Strom

Während einer früheren Reise nach Si Phan Don, am südlichsten Zipfel von Laos, nahe der kambodschanischen Grenze, sah er vor drei Jahren diese Fischer. «Fischer», sagt Lepre, «die auf gespannten Seilen oder mit dünnen Holzkonstruktionen in tosenden Wasserfällen nach Beute jagen.» Darunter unter anderem der vom Aussterben bedrohte Catfish. Das Schicksal von Mensch und Tier inspirierte den Schweizer. Zunächst aber war Lepre einfach elektrisiert: «Diese Jagd ist so unmittelbar, Gedeih und Verderben der Menschen so unausweichlich mit ihrer Natur verbunden, dass ich diesen Fluss einfach selbst erleben musste.»

Eindrückliches Dokument einer sterbenden Welt

Die tosenden Wasser, die Fischer lassen den Reisefotografen nicht mehr los. Auch weil die Tage ihrer naturverbundenen Lebensweise gezählt sind. «Ich musste einfach ihr Leben dokumentieren, das ­Leben aller Menschen und Völker, die in sechs Ländern durch diesen Fluss ernährt werden.»

Darüber hinaus: Die Menschen in den Ballungszentren, in den grossen vietnamesischen Städten Ho Chi Minh und Hanoi, im kambodschanischen Phnom Penh – und vor allem in der chinesischen Region Yunnan – brauchen Elektrizität. Und die generieren Staudämme aus der Wasserkraft. Auch dafür ist der Mekong eine Lebensader.

Bereits stauen fünf solcher Dämme Teile des Flusses. Und bereits verzeichnen deshalb die Fischer am Si Phan Don drastische Fang-einbussen. Während sie noch vor einigen Jahren die Bewohner übers ganze Jahr mit Fischen versorgten, die zum Laichen herbeischwammen, fangen sie mittlerweile bloss noch vereinzelte Fische.

Schlimmer noch: Weitere Grossprojekte sollen den Mekong noch öfter stauen. Das bedeutet mehr Hindernisse für die Fische, die zum Laichen den Fluss hochziehen, und noch weniger Laichgründe.

Es wird noch schlimmer: Der Mekong, der in Thailand, Vietnam und Laos regelmässig die Reisfelder flutete und mit Nährstoffen versorgte, wird nach Vollendung eines laotischen Staudammprojekts sein Flussbett weit weniger verlassen. «Bereits heute ernten die Anwohner der Grossregion Isan in Thailand drastisch weniger Reis als noch vor einigen Jahren», sagt Luciano Lepre. Mit seiner Reise will er darum auch den Menschen und ihrem Lebensraum ein Denkmal setzen.

Wanderung mitten in die Herzen der Menschen

Doch genug zum Weshalb, hin zum Wie: dem Wandern. Wie ist die ­Gemütslage während einer solch langen und aufwendigen Reise? Wie sind Länder und Leute? Lepre denkt nach, holt aus. «Man wird Teil der Landschaft», sagt er – und man merke, wie weit entfernt von unserer Umwelt wir in Europa seien. Dann beginnt er zu erzählen. Den Menschen abseits der Touristenströme ginge es nur um eines: um Neugierde, um einen Austausch. «Sie wollen sofort wissen, warum ich zu Fuss unterwegs bin, was ich hier tue.» Gespräche fänden von Herzen statt: «Ich kann einige Wörter in allen Landessprachen. Und den Rest sage ich auf Romanisch. Das ist die einzige Sprache, die ich mit dem Herzen spreche. Und die verstehen alle.»

Die Neugierde und Gastfreundschaft der heimischen Bevölkerung wird aber nicht in allen Ländern gern gesehen: «In Vietnam wollten mich Einheimische oft bei sich übernachten lassen – und bekamen Probleme mit der Polizei.»

Auch er sei verhaftet und befragt worden. «Deshalb habe ich später häufig in Tempeln oder in sogenannten Love Hotels, den Liebesnestern der Einheimischen, übernachtet» sagt Lepre. In Tibet, dem Ursprung des Mekong und dem Ende seiner Reise, hat er sich in freier Landschaft als Schutz vor Repressalien sogar konsequent ­verhüllt – damit anwesende Chi­nesen ihn nicht auf den ersten Blick als Europäer erkannten.

Chinas Interesse an Tibet fasst er in einem Wort zusammen: Wasser. Dort entspringen nicht nur der Mekong, sondern weitere drei wichtige Flüsse des asiatischen Raums: der Yangtse, der Indus und der Brahmaputra. Und wer diese Wasser kontrolliert, entscheidet über das Wohl der Menschen in ­ihren Einzugsgebieten. Allein vom Mekong sind in Laos, Vietnam, Thailand und Kambodscha 60 Millionen Menschen direkt abhängig. Menschen, die unmittelbar vom Mekong leben. Noch.

Luciano Lepre hält öffentliche Vorträge über seine Mekongreise. Unter mekongshow.ch finden sich Daten und ein Hinweis auf den Bildband «Mekong – Strom des Lebens».

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