Auf einen Blick
- Auf der Suche nach Grizzlys im Cariboo River
- British Columbia ist 22-mal grösser als die Schweiz
- Etwa 15'000 Grizzlys leben in British Columbia
Ich stehe am Cariboo River, der sich türkis durch einen Wald aus dunkelgrünen Nadelbäumen schlängelt. In der Ferne erheben sich Berge, auf die sich jetzt im Herbst der erste Schnee gelegt hat. Die Szenerie erinnert an ein ruhiges Seitental in der Schweiz, wäre ich nicht gerade mit meinem Geländewagen stundenlang über eine Schotterpiste geholpert, ohne auch nur eine Menschenseele zu sehen. Und würden nicht, Hunderte Kilometer vom Meer entfernt, Lachse durch den Fluss zischen, und baumelte nicht eine Dose mit «Bear Spray» an meinem Gürtel: Jederzeit könnte ein Grizzly durch den Wald brechen und sich einige der fetten Lachse als Snack gönnen.
Die Cariboo Mountains sind «Grizzly Country» mit einer grossen Population Bären. Genau deswegen stehe ich hier am Fluss und warte: Ich möchte die majestätischen Bären in freier Natur beobachten.
Wenn man nicht in einer der Lodges residiert, die man meist nur mit dem Helikopter erreicht (und die saumässig teuer sind) und von wo aus man die Tiere von seinem Balkon aus beobachten kann, heisst das kreuz und quer durch das Land cruisen und viele Kilometer unter die Reifen nehmen.
British Columbia ist riesig
Denn der Bundesstaat ist 22-mal grösser als die Schweiz, mit gerade mal 5 Millionen Einwohnern, wovon etwa die Hälfte in der Stadt Vancouver leben (und der Grossteil des Rests verteilt sich auf den Süden). Das heisst: Schon kurz hinter Vancouver Richtung Norden werden die Siedlungen spärlicher, und für eine Orientierung im Gebiet so gross wie Frankreich und Deutschland reicht ein einziger Blick auf die Karte: Hier gibt es nur eine Handvoll asphaltierter Strassen.
Das menschenleere Land ist das ideale Zuhause der Grizzlys, von denen in British Columbia etwa 15'000 Exemplare durch die Gegend streifen. Eine riesige Zahl, die allerdings auch ein grosses Gebiet zur Verfügung hat. Wildtiersichtungen sind häufig – auf sie zählen kann man aber nicht.
Auf der Suche nach den Grizzlys
Etwa zwei Stunden warte ich am Cariboo River, dass sich ein Grizzly zeigt. Oder ein Elch, ein Wolf, ein Hirsch, ein Karibu. Nichts. Dafür kreisen Seeadler am Himmel, die mit den Lachsen die Flüsse heraufgekommen sind. Es ist herrlich, kein Zivilisationslärm ist zu hören, nur das Rauschen, Knacken, Flüstern der Natur – bis ein klappriger Jeep die Stille durchbricht und neben meinem Auto hält. Zwei Männer steigen aus, Karojacken, Arbeiterhosen, Messer am Gürtel. Und jeweils ein Gewehr über der Schulter. Jäger auf der Suche nach Elchen.
«Mit einem Elch haben wir genug Fleisch für den gesamten Winter», erzählen sie mir. «Ich gehe nur mit den Augen auf die Jagd. Ich hoffe, hier Grizzlys zu sehen.» «In den letzten Tagen sind uns sieben Schwarzbären und ein Grizzly begegnet.»
Sie wünschen mir Glück und geben den Tipp, an die Küste zu fahren, wo es mehr Lachse in den Flüssen gebe. Ich solle es doch mal in Bella Coola probieren. Ich schaue auf die Karte: von meinem Standort etwa 600 Kilometer weiter westlich. Ich mache mich auf, zunächst bis ins Versorgungsstädtchen Williams Lake, wo ich in einem alten Motel schlafe, durch dessen Parkplatz regelmässig ein Schwarzbär streift (der sich natürlich in dieser Nacht nicht zeigt), und weiter auf dem Highway 20 zur Küste – 450 Kilometer Roadtrip-Feeling pur.
Roadtrip vom Feinsten
Tempomat einstellen, Countrymusik auflegen und die Freiheit spüren. Es geht über die zentrale Hochebene, auf der man bis zum Horizont schauen kann, an dem sich die Coastal Mountains, der Gebirgszug an der Küste, schroff vom Himmel abheben. Kojoten und Rehe huschen über die Strasse, Adler kreisen. Alle paar Dutzend Kilometer taucht ein Dorf auf, rustikal, pragmatisch. Hier, wo das Leben hart und die Winter rau sind, hat man keine Zeit für Ästhetik, hier gehts um die Basics.
Zentrum der Käffer ist jeweils der General Store, der Tankstelle, Postamt, Lebensmittelladen und Baumarkt in einem ist. In den Regalen stehen Grundnahrungsmittel, Süsses, Junkfood und die grössten Dosen des Schmiermittels WD40, die ich je gesehen habe. Brühkaffee, der Schmierstoff für die Trucker und Viehzüchter, gibt es meist gratis. Wenn die Wolken tief hängen und der Wind durch die unasphaltierten Dorfstrassen weht, fühlt man sich wie in einem Endzeit-Film. Ich liebe es.
Über Schotterpisten
Irgendwann hört der Asphalt auf und wird zur Kies- und Sandpiste – ein Highway auf Kanadisch. Wo die Hochebene endet, windet sich die Schotterpiste in Haarnadelkurven über 1000 Meter ins Bella-Coola-Tal – ohne Leitplanken, manchmal nicht breiter als ein Fahrstreifen. Feuchte Hände am Lenkrad.
Hier befindet sich der Tweedsmuir Provincial Park, wo es besonders viele Grizzlys geben soll, die sich am Bella-Coola-Fluss an Lachsen fettfressen. So nah am Meer tummelt sich im Herbst, wenn die Fische zum Laichen an ihren Geburtsort zurückkehren, Körper an Körper im flachen Wasser. Im ganzen Tal stinkt es in dieser Zeit nach toten Fischen, die am Ufer verwesen – ein Buffet für Bären.
An dem Stupendous-Aussichtspunkt erfüllt sich schliesslich mein langer Wunsch: Im Fluss fischt eine Grizzly-Mama nach Lachsen, während ihre drei Jungen sich am Ufer balgen. Sie ist etwa 200 Meter entfernt, dennoch ist der Augenblick magisch. Aber vielleicht geht es etwas näher?
Ich bekomme den Hinweis, dass der Campingplatz Fisheries Pool direkt ans Ufer grenzt, da sollte ich es mal probieren. Es ist schon dunkel, als ich ankomme. In der Aufenthaltshütte brennt ein Feuer. Vier Männer mit grossen Kameras sitzen darum und zeigen sich ihre Ausbeute vom Tag: Grizzlys in Grossaufnahme. «Hier bist du genau richtig», heissen sie mich willkommen.
Ich klappe die Rücksitzbank von meinem SUV um und versuche, es mir einigermassen gemütlich zu machen. Bei Sonnenaufgang gehe ich zum Fluss. Alle schlafen noch. Ich setze mich auf einen Stein und warte. Es kracht und platscht. Ein Grizzly kommt aus dem Wald und steht mitten im Fluss. Er grast das Ufer nach Lachsen ab, kommt langsam auf mich zu. Mit meinem Bear Spray fest in der Hand beobachte ich den König der kanadischen Wildnis, wie er etwa zehn Meter vor mir entfernt sein Zmorgen mampft. Er kümmert sich nicht um mich. Er hat zu viel Fressen vor der Nase. Er schaut hoch, blickt mich an. Mein Herz rast.
Informationen zu einer Reise nach British Columbia
Hinkommen: Edelweiss Air fliegt von Zürich direkt nach Vancouver.
Reinkommen: Zur Einreise nach Kanada muss man eine elektronische Reisegenehmigung (eTA) beantragen. Dies geht schnell und unkompliziert.
Verhalten im Bärenland: Angriffe von Schwarzbären oder Grizzlys auf Menschen sind selten – kommen aber vor. Bären immer nur von der Ferne beobachten. Abstand: mindestens 50 Meter. Beim Wandern Geräusche machen (Sprechen, Singen, Glöckchen am Rucksack). Dadurch wird der Bär aufmerksam und wird in der Regel eine Begegnung vermeiden.
Kommt es zur Begegnung und der Bär weicht nicht zurück: sich gross aufrichten, Kinder auf den Arm nehmen, mit ruhiger, tiefer Stimme sprechen, sich langsam zurückziehen, den Bären nicht aus den Augen lassen, niemals rennen! Kommt der Bär auf einen zu: bei einem Abstand von unter 10 Metern Bärenspray benutzen. Bärenspray bei jeder Wanderung griffbereit dabeihaben (Verkauf in Outdoorshops). Weitere Informationen zu Begegnungen mit Wildtieren finden sich auf der Homepage von BC Parks.
Informationen: www.hellobc.com