Unterwegs in Nordengland
Ein Time-out von allen Sorgen nehmen

In urigen Pubs sitzen, sich wohlfühlen und Tee trinken: In den Nationalparks im Nordwesten Englands scheint die Uhr stehen geblieben. Auf Wanderschaft durch die Yorkshire Dales und den Lake District.
Publiziert: 04.07.2017 um 19:31 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 13:30 Uhr
Seit etwa 200 Jahren ist der Lake District im Nordwesten Englands der Sehnsuchtsort für Touristen.
Foto: ZVG
Christian Bauer

Komplett ohne Vorwarnung bricht aus blauem Himmel ein Regenschauer los. Es ist ein Mysterium. Doch die frühlingshafte Wetterkapriole kommt wie gerufen: Jetzt kann ich die Wanderung abkürzen und schnurstracks in den Pub marschieren – ohne schlechtes Gewissen. Für meine gemütliche Tageswanderung habe ich mir nämlich extra einen Pub-Walk ausgesucht, eine Wanderung, die in einer besonderen Beiz endet.

Mein Ziel: «The Black Bull» im Dörfchen Coniston. Ein Pub mit so urchigem Charme, wie es ihn nur in England gibt: niedrige Decken mit verräucherten Balken, Kuschelteppiche und offenes Feuer im Kamin. «Hallo Liebling, was kann ich dir bringen?», flötet die Serviertochter, obwohl wir uns nicht kennen. So ist das hier. Auch Fremde sind sofort «my darling» oder «my love». Gibt es eine schönere Art, sich willkommen zu fühlen?

Britische Pubs sind gemütlich wie Wohnstuben.
Foto: Christian Bauer

Der Lake District ist ein Sehnsuchtsort

Seit nunmehr 200 Jahren ist der Lake District im Nordwesten des Königreichs der Sehnsuchtsort für gestresste Städter (seit 1951 ist die Region Nationalpark). Zuerst kamen um 1800 die Dichter und besangen die Erhabenheit des Landlebens, dann fand der Adel aus den stinkenden Industriestädten hier eine verschollene Idylle. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Natursteindörfchen, Schafe an allen Ecken, der Duft von Kohleheizungen, der sich wie Nostalgie über die Gegend legt, und Kohlelieferanten mit russverschmiertem Gesicht gibt es tatsächlich immer noch.

Auf einer Wanderung vom Dörfchen Grasmere nach Ambleside treffe ich Arthur, den Maler. Mit seinem karierten Hut, der Barbour-Jacke und Cordhose sieht er aus wie eine Kopie von Prinz Charles. Mit Wasserfarbe hat er die Landschaft aufs Papier gebannt. «Ich komme regelmässig aus Liverpool, um diese Landschaft zu malen», erzählt er. «Wir haben viele schöne Regionen in England, aber der Lake District hat eine ganz besondere Stimmung. Das sind eben noch die good old times, mein Freund.»

Ein Wanderparadies

Für alle Nicht-Maler sind Wanderungen die beste Möglichkeit, den Charme der Region zu erleben. «You can’t visit the lakes without going for a walk – du kannst den Lake District nicht besuchen, ohne eine Wanderung zu machen», weiss selbst der Mann von der Autovermietung am Flughafen von Manchester. Und er hat recht. Das kompakte Gebiet ist wirklich eine Wanderregion der Extraklasse. In einem Landstrich, der gerade einmal 50 mal 50 Kilometer misst, finden sich 16 Seen (so die gängigste Zählung) und 200 Gipfel mit einer Höhe bis knapp unter 1000 Metern.

Im Lake District gibt es etwa 3500 Kilometer Wanderwege.
Foto: Christian Bauer

Darunter auch der beliebteste Wandergipfel des Landes, der Scafell Pike. Mit seinen 978 Metern ist er der höchste Berg Englands. Auf etwa 3500 Kilometern Wegstrecke (meist leicht bis mittelschwer) kann man hier der Wanderleidenschaft frönen. Die beliebtesten Routen sind durchgehend markiert. Wer abseits der gängigen Pfade unterwegs sein möchte, sollte sich einen guten Wanderführer zulegen – nicht jede Kreuzung ist beschildert.

Bei Wallace and Gromit in den Yorkshire Dales

Für etwas Abwechslung schnappe ich mir das Auto und statte dem Yorkshire Dales Nationalpark, der sich im Osten an die Lakes anschliesst, einen Besuch ab. Beide Regionen liegen so nahe beisammen, dass sich ein Nationalpark-Hopping empfiehlt. Im Gegensatz zum Lake District sind die Landschaftsformen der Dales lieblicher und besser für die Tierzucht geeignet. Der Soundtrack der Stunde: das sehnsüchtige Geblöke der Frühlingslämmer.

Ja, sie funktioniert noch, die alte Telefonzelle.
Foto: Christian Bauer

Ich lande schliesslich im kleinen Dörfchen Hawes, welches unter Trickfilm-Fans bestens bekannt ist. Wallace, der Hauptcharakter aus den Knetfiguren-Filmen «Wallace and Gromit», schwört auf den «Wensleydale Cheese», der in der lokalen Käserei hergestellt wird. Der Besuch in der «Wensleydale Creamery» ist also Pflicht.

Käse, besser als in der Schweiz - oder?

Käser Chris erzählt stolz, dass die Werbung in den Filmen die Traditionskäserei tatsächlich Ende der 80er- Jahre vor dem Aus bewahrt habe. Mittlerweile hat sich die Produktion sogar vergrössert. «In Japan ist man ganz verrückt nach unserem Käse». Als Chris erfährt, dass ich aus der Schweiz komme, grinst er frech: «Eure Käse sind ja ganz okay, aber kein Vergleich zu unserem Wensleydale.» Die rässe Variante schmeckt tatsächlich sehr fein, die Spielarten mit Mango und Ingwer hake ich allerdings unter «bizarrer britischer Geschmack» ab.

Die Dörfer in den Yorkshire Dales sind so herzig, man könnte sich verlieben.
Foto: Christian Bauer

Zum Abschluss des Tages finde ich ein B&B am Dorfrand. Gastgeberin Debra empfängt mich wie ihren verlorenen Sohn. «My love, jetzt gibts erstmal Tee mit Shortbread.» Auch sie habe ich in meinem Leben noch niemals zuvor gesehen. Im Lake District fühlt man sich einfach wie zu Hause – «I am totally happy!»

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