Cham ist ein guter Geschäftsmann. «Schlitzohr» trifft es wohl besser. Der Mittzwanziger ist stolzer Besitzer eines Tuktuk, jener motorisierten Dreiräder, die wie hyperaktive Mosquitos durch asiatische Städte schwirren. Wir wollen mit ihm einen Tag lang durch die kambodschanische Tempelanlage von Angkor tuckern, aber seine Preisvorstellungen sind völlig überzogen.
«Du musst verstehen, das Benzin ist teuer, und die Strecken sind lang», rechtfertigt er sich. «Deine Kollegen verlangen weniger.» «Ich wohne weit von hier und muss mitten in der Nacht zu deinem Hotel fahren.» Das sei nicht unser Problem, entgegnen wir. «Aber ich bin der beste Tuktuk-Fahrer weit und breit», sagts, und dabei sitzt ihm solch ein Schalk in den Augen, dass wir nicht umhinkommen, ihn für den nächsten Tag anzuheuern. Uns gefällt die Tatsache, dass man in Kambodscha um eine gepfefferte Antwort nicht verlegen ist.
Die Tempelanlagen von Angkor ziehen Touristen an
Unterwegs sind wir in den heiligen Stätten von Angkor im Norden des Landes – der grössten Tempelanlage der Welt. Und unbestritten die eindrücklichste. 1000 Tempel ragen hier wie künstliche Berge aus einer 350 Quadratkilometer grossen Ebene, die um das Jahr 1000 die Hauptstadt des Khmer-Reichs bildete. Und da jeder Herrscher den buddhistischen Göttern seine Huldigung beweisen musste, wurde Tempel um Tempel errichtet. Im 15. Jahrhundert verlagerte sich schliesslich das Machtzentrum Richtung heutiger Hauptstadt Phnom Penh. Angkor moderte im feuchtheissen Klima Südostasiens vor sich hin – ohne seinen Zauber zu verlieren. Viele der Bauten sind immer noch in einem Top-Zustand.
Pünktlich um 4 Uhr nachts wartet Cham vor unserem Hotel im nahen Städtchen Siem Reap, das sich ganz dem Angkor-Tourismus verschrieben hat. Wir wollen den Sonnenaufgang über dem berühmtesten Tempel der Anlage erleben: Angkor Wat – einer der magischsten Momente Südostasiens, wie es heisst. Die Realität ist eine andere: Das Spektakel ist eine Massentourismushölle. Mit uns drängen sich Busladungen voller Touristen um einen kleinen Tümpel, in dem sich die Zuckerbäcker-Türme spiegeln. Für das perfekte Foto wird gerempelt und gestossen. Und dennoch: Angkor ist einer jener Orte, die man in seinem Leben mal gesehen haben muss.
Das wissen mittlerweile auch etwa Millionen Touristen, die jährlich nach Kambodscha reisen. Klingt viel, ist aber im Vergleich mit den 35 Millionen Besucher im benachbarten Thailand kaum der Rede wert. Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im globalen Entwicklungs-Ranking kommt das tropische Land auf Platz 143 von 188. Dementsprechend abenteuerlich gestaltet sich zuweilen das Reisen. Und entsprechend authentisch sind hier (noch) die Erfahrungen. Wer nicht vor den Herausforderungen zurückschreckt, kann bei Bergvölkern übernachten, wilde Elefanten beobachten oder seine Tage an untouristischen Stränden verplempern (siehe die Highlights am Ende des texts).
Phnom Penh ist eine vibrierende City
Wer nicht die Zeit für eine längere Tour mitbringt, sollte nebst Angkor unbedingt einen Abstecher in die Hauptstadt machen. Phnom Penh (zwei Millionen Einwohner) hat sich in den letzten Jahren nämlich kräftig herausgeputzt. Man kann hier die Zeit herrlich entspannt zwischen Cafés, wuseligen Märkten und Tempeln verbringen. Eines sollte dabei unbedingt auf der To-do-Liste stehen: einen Blick werfen in die grausame Geschichte des Landes, deren Wunden noch heute die Gesellschaft prägen.
In den 70er-Jahren ermordeten die Roten Khmers, eine Guerilla- Bewegung, unter ihrem Diktator Pol Pot bis zu zwei Millionen Menschen. Die «Killing Fields», wo es zu Massenhinrichtungen kam, und das Foltergefängnis «S21» schlagen aufs Gemüt, sind aber gerade in unseren Zeiten ein Mahnmal gegen menschenverachtende Ideologien. Die Ereignisse warfen Kambodscha in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurück, was sich auch in den geringen Besucherzahlen zeigt.
Seit etwa zehn Jahren allerdings mausert sich das Land zunehmend zum Lieblingsziel für Individualreisende – die gefühlt alle an diesem Morgen neben uns in Angkor stehen. Doch in dem riesigen Areal ist es leicht, den Massen zu entkommen. Cham kennt die Tricks und beweist, dass er sein Geld wert ist: «Wir besuchen erst die unbekannten Tempel, und am Nachmittag, wenn die Busladungen schon wieder am Pool liegen, gehts zu den Highlights.» Und so brechen wir mit ihm und seinem rasenden Tuktuk zum Tempelhopping auf.
Wir sehen menschliche Gesichter so gross wie Häuser, feinzarte Reliefs und schlendern durch dunkle Gänge, in denen mit bunten Tüchern eingehüllte Buddhastatuen stehen. Magisch. Jeder Tempel ist ein Schmuckstück. Das absolute Highlight ist Ta Prohm, in dem die Luftwurzeln der Urwaldriesen sich wie Würgeschlangen um die alten Gemäuer legen (Hollywood nutzte das Setting übrigens für den «Tomb Raider»-Film mit Angelina Jolie). Wir fühlen uns wie Weltenentdecker in undurchdringlichem Urwald. Dank Cham streifen ausser uns nur ein paar orange Mönche durch die Gänge. Das gibt ein saftiges Trinkgeld.
Die Highlights Kambodschas
1. Der «Tonlé Sap»-See
Das Gewässer südlich von Angkor ist der grösste Binnensee Südostasiens – und angeblich der fischreichste der Welt. Allerdings hat man das Gefühl, hier leben hauptsächlich Pythons: Die Bewohner lassen sich gerne mit den Schlangen für ein Trinkgeld fotografieren. Eindrücklich sind die schwimmenden Dörfer.
2. Battambang
Battambang ist die schönste Kolonialstadt des Landes (einst war Kambodscha unter französischer Herrschaft). Nebst charmanten Cafés gibt es hier viele Galerien lokaler Künstler. Nicht entgehen lassen sollte man sich eine Fahrt auf dem «Bambuszug»: eine Bambusplattform für vier Personen auf zwei Zugachsen. Touristisch, aber spassig.
3. Die Irawadi-Delfine
Um die Stadt Kratie im Osten leben die bedrohten Irawadi-Delfine im Fluss Mekong. Die Delfine sind von Aussterben bedroht, weshalb ein Schutzgebiet eingerichtet wurde. Wer Glück hat, kann auf einer Bootstour die Tiere sehen.
4. Die Inseln
Die beiden Inseln Koh Rong und Koh Rong Sanloem vor der Südküste werden zwar beim Badetourismus immer beliebter, sind aber im Vergleich zu Thailands Beachdestinationen herrlich unaufgeregt. Hier darf man noch vom Inselparadies sprechen.
5. Der Osten
In den Osten des Landes verirren sich nur hartgesottene Traveller – obwohl es in der ursprünglichen Region viel zu erleben gibt. Hier streifen noch wilde Elefanten durch den Urwald und hangeln sich Gibbons von Ast zu Ast. Ein Highlight ist sicherlich der Besuch bei den Bergvölkern.