Unterwegs in Japan
Zen und die Kunst, aufs Klo zu gehen

Japan ist ein Land der Kontraste: Technikverliebt und höchst traditionell, schrillend laut und meditativ leise. Eine Reise zu Plastik-Essen, Liebesgöttern und legendären Geishas.
Publiziert: 30.07.2015 um 17:18 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 03:00 Uhr
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Himmelsstürmer: Hochhausschluchten in Tokios Stadtteil Shinjuku.
Foto: Christian Bauer
Von Christian Bauer

Das WC steht auf Stand-by. Bereit, den Benutzer mit seinen Spielereien zu beglücken. Mit beheizter, popo-warmer Brille und Wasserduschen, die aus mehreren Düsen perfekte Sauberkeit garantieren. Auf dem Missioncontrol-Panel neben dem futuristischen Hightech-Thron blinkt ein Knopf für künstliche Spülgeräusche – damit der Kabinennachbar das Plätschern und Pupsen nicht hört. Japan, das ist eine Mischung aus scheuer Zurückhaltung und schrillen Kontrasten. Und eine Bewusstseinserweiterung! Wer sich in den neonfunkelnden Hochhausfluchten von Tokios Stadtteil Shinjuku verliert, wo jeder Shop die eilenden Massen mit markerschütterndem Lärm beschallt, fühlt sich in ausserirdische Welten versetzt – oder in eine dröhnende Zukunft.

Japans Hauptstadt Tokio mit seinen neun Millionen Einwohnern (in der Metropolregion wohnen gar 35 Millionen Menschen) ist gewöhnungsbedürftig. So crazy, so laut, so faszinierend andersartig. Selbst ein erfahrener Traveller mutiert in Japan wieder zum Reiseanfänger. Auch die Basics muss man von Grund auf neu erlernen: die mysteriösen Gesetzmässigkeiten beim Metrofahren, das Handling eines nassen Regenschirms beim Einkaufen und das Essen im Fastfood-Restaurant.

Eine schnelle Portion Ramen-Nudelsuppe mit gebratenen Schweinsrippli ordert man nicht beim Koch, der hinter der Theke mit dampfenden Töpfen hantiert. Nein, im Technik-verliebten Japan muss man zuvor ein Billett am Automaten lösen. Nicht einfach, wenn – wie so oft – am Fressalien-Schalter nur schnörkelige japanische Schriftzeichen leuchten. Ob es Zufall ist, dass manche japanische Lettern aussehen wie verknotete Nudeln? Abhilfe schafft ein ur-japanisches Phänomen: Die Schaufenster der Restaurants sind geschmückt mit minutiösen Plastik-Imitationen der angebotenen Snacks. Und es sorgt für verschämtes Kichern, wenn der hungrige Tourist der Bedienung das gewünschte Essen im Schaufenster zeigt.

Die japanischen Umgangsformen sind verwirrende Rituale. Und Gott bewahre, dass man durch unpassendes Verhalten auffällt. Gleichzeitig blättern Männer in der Tokioter U-Bahn in Manga-Pornos, die einem die Schamesröte ins Gesicht treiben. Es sind die Kontraste, die Japan zu einer spannenden Entdeckungsreise machen.

Japan kann ohrenbetäubend laut und gleichzeitig meditativ schweigsam sein – so wie die Zen-Gärten der ehemaligen Hauptstadt Kyoto. Das buddhistische Zen hat den Landschaftsgarten als Meditationshilfe erfunden. Zwischen geharkten Kiesflächen, bemoosten Steinen und Bonsai-Bäumen kann man seine Seele nach Tagen im crazy Tokio wieder einrenken.

Kyoto ist ein Überbleibsel des ursprünglichen Japans, ein Hauch vom Reich der aufgehenden Sonne. 17 Unesco-Welterbestätten wie Tempel, Schlösser und Schreine zeugen von der einstigen politischen und religiösen Bedeutung der gemütlichen Millio-nenmetropole. Im buddhistischen Kiyomizu-dera-Tempel suchen die Menschen die Erleuchtung, nebenan bei den Naturgeistern der Shintō-Religion ein neues Liebesglück.

Ein Widerspruch? Nicht in Japan. «Ich glaube an Buddha, Jesus und die Shintō-Götter. Mir kann also nichts passieren», sagt Keiko, eine Velo-Führerin aus Kyoto. Die Shintō-Geister sind im Alltag für die Wünsche zuständig, allerdings haben sie viel zu tun. Mit einer Glocke muss man deshalb zunächst um ihre Aufmerksamkeit buhlen, danach – typisch japanisch – sich verbeugen und respektvoll seinen Wunsch vortragen. Der göttliche Beistand kostet selbstverständlich einen Obolus. «5 Yen genügen», sagt Keiko. 4 Rappen – Wünsche sind hier «on sale.» Im Gegensatz zum sonstigen Preisniveau: Für ein zweistündiges Geisha-Entertainment zahlt man mehrere Hundert Franken.

In Kyotos Stadtteil Gion ist die aussterbende Welt der Geishas noch lebendig – auch wenn sie sich für das ungeübte Auge hinter verschlossenen Schiebetüren versteckt. Rote Lampions deuten an, dass sich in den zweistöckigen Holzhäusern ein Teehaus befindet, in denen Geishas eine Gesellschaft unterhalten. So verschlossen die Türen, umso blühender die erotischen Fantasien. «Geishas sind keine Prostituierten», berichtigt Fumiko, die Touristen einen Einblick in die verborgene Welt gewährt.

«Eine Geisha unterhält die Gäste bei einem Essen mit Gesang, Tanz, Konversation und Gesellschaftsspielen.» Dementsprechend lange dauert die Ausbildung: vier Jahre vom pubertierenden Mädchen bis zur perfekten Gastgeberin.

Eine weiss geschminkte Geisha tippelt auf ihren traditionellen Holzschuhen an uns vorbei und tippt schnell eine Nachricht in ihr Smartphone, bevor sie in einem alten Teehaus verschwindet.

Vergangenheit, Gegenwart oder doch die Zukunft? In Japan verschwimmen die Grenzen.

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Die japanische Küche liebt Fisch, Meeresfrüchte und Algen in allen erdenklichen Variationen. Das frischeste Sushi des Landes gibt es am Fischmarkt in Tokio - dem grössten der Welt. Vor einem Mittags-Sushi-Snack in einem der vielen Restaurants auf dem Marktgelände kann man durch die Stände schlendern und die unglaubliche Vielfalt des Meeres bewundern.

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Schnell wie ein Schuss
Mit 300 Sachen durch die Landschaft rasen: Japans Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen heisst passenderweise «Bullet Train», der Geschoss-Zug. Eine Fahrt mit dem futuristischen Gefährt ist nicht nur wegen der Geschwindigkeit ein Muss: Millimetergenaue Stopps, sich verbeugende Kondukteure und eine luxuriöse 1. Klasse sind typisch japanische Erlebnisse.

Mit dem Velo zur Unesco
Die Unesco-Welterbestätten in Kyoto verteilen sich auf ein grosses Stadtgebiet. Das ideale Fortbewegungsmittel ist ein Velo. Wer sich nicht alleine in den Linksverkehr wagt und zudem Hintergrundinformationen zur komplexen japanischen Gesellschaft und Geschichte wünscht, sollte eine Tagestour mit dem Kyoto Cycle Tour Project unterneh-men. Auch nur Velomiete möglich. www.kctp.net

Das Leben einer Geisha
Der wahre Zauber des historischen Kyotos mit seiner langen Geisha-Tradition bleibt den Aussenstehenden weitgehend verborgen. Einen interessanten Einblick gibt eine nächtliche Walkingtour durch das Viertel Gion mit seinen alten Holzhäusern, in denen sich Teehäuser und Geisha-Wohnungen befinden. In etwa zwei Stunden lernt man viel über das Leben, Lieben und Leiden der legendären Frauen. www.facebook.com/WalkingKyoto

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