Üschen bockt. Wieder! Der Wallach der Rasse Comtois hat seinen eigenen Kopf. Er steht auf der Strasse und bewegt sich keinen Millimeter vorwärts. Hinter uns eine hupende Autokolonne, wir auf einem Pferdewagen. Damit sind wir in der französischen Region Franche-Comté, nahe der Schweizer Grenze, unterwegs.
«Falls Üschen langsam wird, müsst ihr in anspornen», hatte uns Pferdebesitzerin Mélanie Leblanc morgens vor der Abfahrt mit auf den Weg gegeben. «Einfach mit kräftiger Stimme rufen: Üschen, lauf!» Dass der Koloss aber ganz stehen bleibt und den Verkehr ins Stocken bringt, hat sie in ihren zweistündigen Instruktionen nicht erwähnt.
Das französische Jura-Gebirge ist trotz seiner Nähe zur Schweiz noch immer ein Geheimtipp. Die Region bietet Besuchern viele Outdoor-Aktivitäten, besonders bekannt ist sie für Ferien im Planwagen. Mit 1 PS trottet man über Nebenstrassen und Feldwege durch die bewaldeten Berge – von einem zweitägigen Kurztrip bis zu einer intensiven einwöchigen Rundreise. Wir übernachten in einfachen Wagen, wie man sie aus Westernfilmen kennt, ohne jedoch auf moderne Annehmlichkeiten zu verzichten. Die Rastplätze liegen meist bei Gasthöfen, Farmen oder Campingplätzen.
Das Triptrap der Hufe wird zum Mantra
Wir versuchen, Üschen in Gang zu bringen. Kein Mucks – er verweigert sich sogar unserem Motivationsrüebli. Im Nachhinein ein Glück. «Das Rüebli kam zum falschen Zeitpunkt», sagt uns später Mélanie Leblanc, die abends zu ihren Gästen schaut. Sie führt uns ein in die Pferdepädagogik: «Denn so hätten wir den Wallach gelehrt, dass er eine Belohnung bekommt, wenn er einen Fehler macht.»
Leblanc ist Besitzerin des Pferdehofs Les Attelages des deux Lacs in Malpas (F) und bietet auch Pferdewagentouren an. Die forsche 24-Jährige hat sich hier ihren Lebenstraum verwirklicht. «Schon als Kind war ich auf dem Hof in den Ferien», sagt sie.» Und hier fand ich nach meinem Studium zur Pferdewirtschafterin meine erste Stelle.»
Vor einem Jahr konnte sie den Hof übernehmen. Die Touren bringen ihr zusätzliches Geld ein. «Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen anfangs etwas Zeit, um sich auf den Rhythmus der Pferde einzulassen», sagt Mélanie Leblanc. Danach wirkt die gemächliche, wiegende Gangart, mit der die Rösser durch die schöne Landschaft zockeln, aber ungemein beruhigend. Und erholsam. Hier gibt es keine Hektik – einzig Üschens Pausen bringen etwas Schwung in den Tag.
Auf dem Bock bleibt wenig Zeit fürs eigene Gedankenkarussell, stattdessen muss man sich um andere kümmern: um ein Tier und den gemeinsamen Weg. Auch Satteln, Striegeln und Füttern sind Programmpunkte.
Das Fuhrwerk ist herrlich minimalistisch, es bietet einen Essplatz, der nachts zum Doppelbett wird, ein Kajütenbett für die Kinder, zwei Gaskochplatten und zwei Schränke fürs Gepäck. Dann noch die Kühlbox und ein Kanister fürs Wasser. Mehr gibts nicht, mehr brauchts nicht.
Unterwegs treffen wir auf eine Familie aus der Westschweiz, sie ist mit Kindern und Hund auf der gleichen Route unterwegs. Deren Stute Isabella trabt willig durch die Hitze. Also beschliessen wir abends auf dem Rastplatz: Isabella soll am zweiten Tag den Lead übernehmen – und «Bockbär» Üschen zum Laufen motivieren.
Der Plan funktioniert – zu gut: Der sechsjährige Wallach sieht es nicht gern, dass ihm eine Frau das Tempo vorgibt. Deshalb beginnt er, mit dem schweren Wagen sogar die Steigungen hochzutraben und versucht, Isabella zu überholen. «Was für ein Macho», sagt Mélanie Leblanc. «Er hat genug Power, er ist nur zu faul. Typisch Mann!»
Cowboy-Feeling mit stockendem Motor
Also übernimmt Üschen die Pole-Position. Und klar verfällt er alsbald wieder in seinen Trott. «Uchén, marcher!» Leblanc lacht und sagt: «Pferde sind Lebewesen mit eigenem Kopf, sie sind keine Maschinen. Das gehört zu dieser Art des Reisens mit dazu.»
Die zweite Nacht verbringen wir im Wald bei der kleinen Beiz Chalet de la Bourre in der Nähe von Mignovillard, bekannt für ihre regionalen Spezialitäten. Nachts ist es hier mucksmäuschenstill. Nur ein paar Käuzchen klagen, der Wald knarzt und die Pferde schnauben. Der Mond scheint durch die Fenster: Cowboy-Feeling, ein Gefühl von endloser Freiheit.
Am nächsten Tag tauscht Mélanie Leblanc Üschen gegen die dreijährige Bella aus. «Das war seine erste Tour», sagt sie, «er hat noch sehr viel zu lernen, will er auf der Tour bleiben.» Vor uns liegen harte Steigungen. Bella überwindet sie alle: langsam, aber ausdauernd. Dann und wann steigen wir vom Wagen und laufen neben ihr her. Um das Tier etwas zu entlasten.
Verschwitzt, dreckig und glücklich erreichen wir nach den Strapazen den Pferdehof – und damit unser Ziel. Bella ist fix und fertig. Üschen steht auf der nahen Weide und frisst Gras. Er scheint zufrieden zu grinsen. Saukerl!