Foto: Christian Bauer

Abstecher in Palermo
Heisse Tage und Nächte auf Sizilien

Mafia, Chaos und marode Schönheit: Palermo fasziniert und verstört. Wenn man sich auf ihren Rhythmus einlässt, ist man verloren: Die Stadt berauscht.
Publiziert: 23.09.2019 um 08:27 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2019 um 11:29 Uhr
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Hier gibt es Orangen, die auch wie Orangen schmecken.
Foto: Christian Bauer
Von Christian Bauer

Achtung, Palermo ist gefährlich! Nein, nicht wegen der Mafia, die hier ihr Unwesen treiben soll. Ihr sind die Touristen herzlich egal. Auch nicht weil Siziliens Hausvulkan Ätna regelmässig Lava aus seinem feurigen Schlund spukt. Nein: Palermo macht süchtig. Nicht auf den ersten Blick, aber garantiert auf den zweiten.

Der erste Anblick Palermos ist ernüchternd. Der Lack ist ab, es fehlt an neuem Putz und frischer Farbe. Die Häuserfassaden bröckeln, die Geländer der Balkone sind verrostet und die Trottoirs löchrig. Aber gerade deshalb ist Palermo eine so faszinierende Stadt. Sie ist ursprünglich und unverfälscht. Palermo ist die Hauptstadt der autonomen italienischen Region Sizilien. Von den 5 Millionen Einwohnern der grössten Mittelmeerinsel leben etwa 650'000 in der Stadt.

Palermo zwischen Kunst und Cosa Nostra

Berüchtigt als Hauptquartier der Cosa Nostra und für den modrigen Zerfall seiner Altstadt. Die Hauptstadt der unabhängigen Provinz Sizilien hätte eine kolossale Schönheitskur nötig. Doch ein ­Besuch lohnt sich allemal.

Berühmt ist Palermo für seine unvergleichlichen Kulturschätze, die Freunde der Kunst und Geschichte aus der ganzen Welt in Staunen versetzen. ­Sizilien, der Fussball am Stiefel Italiens, hat dank ­seiner strategisch günstigen Lage im Mittelmeer viele Herren gesehen, die alle ihr ­architektonisches und kulturelles Erbe ­hinterlassen haben.

Die einflussreichsten Bauherren waren die Normannen, die im 11. und 12. Jahrhundert die Insel beherrschten. Der Normannen-Palast, in dem heute das ­sizilianische Parlament tagt, ist das Highlight der mittelalterlichen sizilianischen ­Architektur. Afrika ist nur einen Steinwurf entfernt. So findet sich eine besondere Synthese islamischer und christlicher Baustile. Bestes Beispiel ist die kleine Hofkapelle, die Cappella Palatina, die zu den Meisterwerken der europäischen Kirchenbauten ­gehört.

In der normannischen Kathedrale von Monreale vor den Toren der Stadt steht man staunend vor den goldenen ­Mosaiken, die Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament erzählen. Nach fast 1000 Jahren ist ihr Glanz ungebrochen – und sie trösten über den bröckelnden Putz der Neuzeit hinweg.

Köstliches von den kleinen Leuten

Natürlich darf man nicht die Augen davor verschliessen, dass viele Menschen in Sizilien in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben: Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 20 Prozent. 27 von 100 Familien leben nahe der Armutsgrenze. Als Tourist sollte man daher sein Geld nicht in teuren Hotels oder internationalen Markengeschäften, sondern bei den einfachen Leuten ausgeben.

Wie zum Beispiel bei Dario, der auf seinem Piaggio-Dreirad durch die Strassen fährt und pane e panelle, Brötchen mit frittierten Kichererbsen-Küchlein, zum Zmorge verkauft. Dario wäre eigentlich schon Rentner, doch er braucht den Zustupf. «Du isst gerade richtiges palermisches Streetfood», freut er sich über den Touristen, der die lokale Spezialität probiert. Lecker ist das einfache Gericht, genauso wie der sizilianische Fastfood-Klassiker pani ca muesa, das Rindermilz-Sandwich, dessen herber Geschmack so perfekt zu Palermo passt. Mut zum Probieren: Es lohnt sich!

Der gesamte Kosmos des palermischen Lebens zeigt sich nirgends so unverblümt wie auf den Strassenmärkten. Im Mercato del Capo türmen sich auf Plastikkisten die Reichtümer des sizilianischen Garden Eden: eierförmige, wulstige Tomaten, Auberginen, Erdbeeren, Artischocken und Zitrusfrüchte in allen Variationen. Dazwischen Stände mit Meeresgetier, Muscheln, Langusten, Kraken und riesigen Schwertfischen. Hunde und Katzen streunen umher und tun sich an den Resten gütlich.

Rosmarin, Fisch und Abgase

Hausfrauen mit lebensgegerbten Gesichtern kaufen Sardinen für pasta con le sarde: Nudeln mit Sardinensosse. Dazwischen stolzieren junge Frauen auf ihren High Heels über die holprige Strasse, junge Männer kurven hupend mit ihrer Vespa durch die Menschenmenge. Es riecht nach Rosmarin, Fisch und Abgasen. Doch immer wieder weht ein süsslicher Schwall Waschmittelduft herbei. Von den Balkonen baumelt frisch gewaschene Wäsche - Farbtupfer in einer modrigen Stadt.

Palermo ist eine Stadt, die man nicht mit einer eingezeichneten Route im Stadtplan von Highlight zu Highlight erlebt. Sie entfaltet ihre Schönheit, wenn man sich ziellos durch die verwinkelten, manchmal düsteren Gassen treiben lässt. Das Leben beobachtet, wie Hausfrauen sich von Balkon zu Balkon unterhalten, Handwerker in ihren Werkstätten kleine Kunstwerke erschaffen, wie junge Mütter ein paar Blumen vor eines der unzähligen Heiligenbilder legen - als Segen für eine glückliche Zukunft.

Und selbstverständlich verbergen sich zwischen all den morschen Häusern auch wahre architektonische und künstlerische Kostbarkeiten.

Prachtbauten

Durch seine strategische Lage im Mittelmeer war Sizilien seit der Antike heiss begehrt. Verschiedene Herrscherhäuser gaben sich hier die Klinke in die Hand: die Griechen, Römer, Normannen, Moslems, Staufer, Spanier und schliesslich die Italiener. Sie alle haben ihr Erbe und Prachtbauten auf der Insel hinterlassen.

Das absolute Highlight ist die Capella Palatina im Normannenpalast. Die Kapelle aus dem 12. Jahrhundert gehört zu den schönsten Kirchenbauten des Mittelalters. Auf goldenem Untergrund zeigen Mosaiken die Lebensgeschichte Jesu, verschlungene Muster zieren den Marmorboden, von der Decke tropfen hölzerne Stalaktiten. Die Harmonie der Kapelle ist atemberaubend. In ihr finden sich europäische, byzantinische und islamische Baukunst. Ebenso wie in der Kathedrale, die zunächst Kirche, dann Moschee und wieder Kirche war. In Palermo nimmt man das Leben praktisch.

Nach den touristischen Musts, den Kirchen, den Kunstmuseen, den Palazzi zieht es mich immer wieder zum Leben in den labyrinthischen Gassen. Ich liebe diesen morbiden Charme, das Chaos, welches das Leben manchmal so leicht macht, die Improvisationskunst der Einwohner, die Lebensfreude am Jetzt.

Reisetipps in Palermo

  • Restaurants

Die sizilianische Küche ist deftig. Fisch und Innereien kommen ebenso auf den Teller wie sündige Dessert-Variationen.

Antica Focacceria San Francesco

Die Focacceria fehlt in keinem Reiseführer, was ihr eine englische Speisekarte beschert. Dennoch isst man in der Institution aus dem Jahr 1834 authentische sizilianische Köstlichkeiten. Adresse: Via Alesandro Paternostro 58

Osteria Ballarò

Im Renaissance-Palazzo isst man in edlem Ambiente erstklassige sizilianische Gerichte, begleitet von vorzüglichen Weinen. Adresse: Via Calascibetta 25

  • Einkaufen

In den Souvenir-Warenkorb gehören schmackhafte Spezialitäten, vollmundige Weine und filigranes Kunsthandwerk. Ein wahres Abenteuer sind die chaotischen Strassenmärkte.

Strassenmärkte

Der Mercato del Capo ist ein Lebensmittelmarkt mit allerlei frischen Erzeugnissen. Auf dem Multikulti-Markt Mercato di Ballarò finden sich Köstlichkeiten aus aller Welt. Der Mercato della Vucciria mit seinen ruppigen Verkäufern ist nur etwas für Hartgesottene.

ARCHI-giana

In dem kleinen Laden in der Nähe der Kirche San Francesco gibt es flippige bunte Haarnadeln, Ohrringe und anderen Schmuck. Besonderes Highlight sind aber die ausgefallenen Taschen aus farbigem Holz und Leder. Adresse: Via Alesandro Paternostro 69

Achtung, all das macht süchtig!

  • Museen

Nicht nur Dolcefarniente, jahrhunderte­alte Architektur und köstliches Essen, auch die Museen sind eine Reise wert. Besonderer Schwerpunkt ist das vielfältige Kunstschaffen sizilianischer Künstler.

Museo Archeologico Regionale

Das frisch renovierte Museum zeigt einen ­eindrücklichen Überblick über die frühe ­Besiedlung Siziliens durch die alten Griechen und Römer. Adresse: Piazza Olivella 24

Galleria Regionale della Sicilia

In einem Palazzo aus dem 15. Jahrhundert ist dieses Museum der sizilianischen Kunst untergebracht. Es zeigt Werke örtlicher Meister vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Adresse: Via Alloro 4

Museo dell’Inquisizione

Erst vor kurzem kam bei Renovierungsarbeiten die grausige Wahrheit wieder ans Tageslicht: Die ehemaligen Zellen der Gefangenen der Inquisition sind voller schauriger und ­verzweifelter Graffiti. Eine geführte Tour führt zurück in das Zeitalter von Scheiterhaufen und Folterqualen. Adresse: Piazza Marina 61

Wann nach Sizilien reisen?

Beste Reisezeit für Sizilien ist der Frühling oder Herbst, wenn die Temperaturen mild sind. Im Sommer ist das Wetter unschlagbar, aber die Ferienorte sind übervölkert, die Preise hoch. Im Winter ist es oft regnerisch und kalt.

Praktische Infos

Hinkommen: Nach Palermo gibt es Direktflüge von Zürich mit  Swiss.

Geld: Euros gibt es am Geldautomaten. Grössere Geschäfte, Restaurants und Hotels akzeptieren Kreditkarten.

Die schönsten Orte auf Sizilien

Ätna  -  Blick in den Feuerschlund

Der Ätna ist ein feuersprühendes Monster. Regelmässig spukt der aktivste Vulkan Europas Lava und bedroht die umliegenden Dörfer und Städte. Der 3329 Meter hohe, lavaschwarze Berg wurde 2013 von der Unesco zum Welterbe erhoben. Ein Blick in die Krater auf dem Gipfel ist ein Muss. Der Gipfel kann auf eigene Faust oder mit einer geführten Tour besucht werden. Letztere sind nicht nur informativ, sie bieten auch die nötige Sicherheit in der gefährlichen Kraterregion. Touren können in der Stadt Catania gebucht werden - vorausgesetzt, der Ätna verhält sich ruhig.

Siracusa - Wo Nymphen Städte gründen


Die Gründung von Siracusa geht auf eine unglückliche Liebe zurück. Der liebestolle Flussgott Alpheios stellte der bildschönen Nymphe Arethusa hinterher. Arethusa flüchtete vor den Liebeswirren des wässrigen Gottes und wurde von ihrer Herrin Artemis in eine Quelle verwandelt. An jener legendären Quelle, die heute noch existiert, entstand die mit einer halben Million Einwohner grösste antike Stadt. Siracusa, seit 3000 Jahren durchgehend bewohnt, ist mit ihren griechischen, römischen, mittelalterlichen und barocken Bauwerken die wohl schönste Stadt Siziliens. In seiner nahen Umgebung gibt es drei Unesco-Stätten und herrliche Strände.

Corleone - Bei der Mafia zuhause

Das kleine Städtchen Corleone war - oder ist, das weiss man nicht so genau - die Zentrale der sizilianischen Mafia Cosa Nostra. Einige der brutalsten Mafia-Bosse kamen von hier. Bei Rivalitäten um die Macht in der Cosa Nostra kam es in Corleone bis in die 80er-Jahre zu blutigen Auseinandersetzungen. 2006 wurde der langjährige Boss der Bosse, Bernardo Provenzano, bei Corleone festgenommen. Die Geschichte der Mafia wird in dem sehenswerten Mafia-Museum Cidma in Corleone gezeigt. Cineasten können zudem auf den Spuren von Francis Ford Coppolas berühmter Trilogie «Der Pate» wandeln, der hier teilweise gedreht wurde.

Stromboli - Paradiesische Inseln

Die Liparischen Inseln gelten als die schönsten Eilande des Mittelmeers. Auf den Vulkaninseln im Tyrrhenischen Meer geht das Leben in gemächlichem Tempo vor sich. Hier gibt es kleine Städchen, Traumstrände, Thermalquellen und Dolce Vita. Natürlich darf eine Wanderung zum Krater des Stromboli nicht fehlen. Der Aufstieg ist nur mit einem Führer gestattet. Beste Zeit ist Frühling oder Herbst, im Sommer ist der Berg überlaufen.

Ätna  -  Blick in den Feuerschlund

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