Vieles war unklar in dem Fall. Was genau in jener Nacht des 9. April 2019 in Zimmer 501 des Ferienhotels La Palma au Lac in Locarno-Muralto passierte, konnte auch das Gericht in Lugano TI nicht eindeutig sagen. Nur in einem Punkt waren sich der Richter und die Geschworenen sicher: Die Britin Anna R.* (†22) wurde erdrosselt. Der Täter: ihr damaliger Freund Dirk W.* (33). Dafür wurde der Deutsche vergangenes Jahr verurteilt. 18 Jahre Knast. Danach darf er für 12 Jahre die Schweiz nicht mehr betreten.
W. hatte vor Gericht beteuert, der Tod seiner Geliebten sei aus Versehen beim erotischen Würge-Spiel passiert. Doch die Indizien der Staatsanwaltschaft wiesen auf einen heftigen Streit hin. «In jener Nacht gab es keinen Sex. Nur einen Femizid», sagte die Staatsanwältin Canonica Alexakis damals. Sie hatte 19 Jahre und 6 Monate Haft für den Deutschen gefordert.
Das Berufungsgericht in Locarno hat am Dienstag im Prozess um das Tötungsdelikt das Strafmass erhöht nochmals erhöht, nachdem der Täter das erste Urteil angefochten hat. Jetzt muss Dirk W. für 18,5 Jahre hinter Gitter – sechs Monate länger als bei der ersten Verurteilung. Der verurteilte Deutsche wird zudem für 14 Jahre aus der Schweiz ausgewiesen. Das sind zwei Jahre mehr als das Schwurgericht in Locarno in erster Instanz festgelegt hatte. Der Angeklagte wurde der qualifizierten und nicht wie in erster Instanz der einfachen Veruntreuung für schuldig befunden.
Täter wollte Zugriff auf Vermögen von Opfer
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von 19 Jahren und sechs Monaten sowie einen Landesverweis von 15 Jahren gefordert. Die Verteidigung vertrat ihrerseits die These, dass es sich um ein erotisches Spiel gehandelt habe, das schlecht ausgegangen sei. Die Rechtsmedizin konnte an der Leiche allerdings keine Spuren von Geschlechtsverkehr oder Masturbation finden. Sex habe es in jener Nacht nicht gegeben, aber einen heftigen Streit, so der Richter weiter, bei dem auch Gegenstände flogen. Daran aber will sich Dirk W. nicht erinnern. Zudem: Die Erdrosselung habe nichts mit einem Würge-Spiel gemein – Anna R. wurde das Zungenbein gebrochen. Sie sei blau angelaufen. Dirk W. habe zugesehen, wie sie starb.
Die beiden Parteien erhalten bis Ende Jahr die schriftliche Begründung des Berufungsurteils zugestellt. Sie haben dann 30 Tage Zeit, um gegen die Verurteilung in zweiter Instanz zu rekurrieren. Das Tötungsdelikt hatte im Tessin grosse Emotionen ausgelöst. Das Opfer war am Morgen des 9. April leblos im Zimmer des Hotels aufgefunden worden, nachdem ihr Begleiter Alarm ausgelöst hatte. Das Paar hatte sich einige Monate zuvor in Thailand kennengelernt. Die junge Engländerin, eine reiche Erbin, war ihrem Partner nach Zürich gefolgt.
In der Nacht vor der Tat hatten Hotelgäste einen heftigen Streit aus dem Zimmer des Paares gehört. Laut der Rekonstruktion des Sachverhalts im ersten Prozess wollte der Deutsche Zugriff auf das Vermögen seiner Freundin erlangen, was zum Streit und Tod führte. (SDA/chs)
* Name der Redaktion bekannt