Auf einen Blick
Philipp Ramming, Sie haben zwei Söhne grossgezogen. In welchen Punkten hat das Geschlecht Ihrer Kinder Ihre Erziehung beeinflusst?
Ich weiss es nicht, weil ich kein Mädchen hatte.
Haben Sie sich je gefragt, ob Sie ein Mädchen anders erzogen hätten?
Nein, nicht wirklich. Ich habe mir weniger Gedanken um eine bubenspezifische Erziehung gemacht als um die Beziehung als Vater zu meinen Kindern.
Wie sehen Sie es aus professioneller Sicht: Sollten Eltern Buben und Mädchen gleich erziehen?
Ja und nein. Es gibt hier zwei Ebenen. Die Erziehung hin zu gesellschaftlich relevantem Verhalten, also Anstand, Solidarität, Empathie, Rücksichtnahme, ist geschlechtsunspezifisch. Danke zu sagen, müssen alle lernen, das ist für das Zusammenleben wichtig. Aber Männer und Frauen sind unterschiedlich und brauchen unterschiedliche Unterstützung im Aufwachsen. Weil jedoch diese Unterschiede in der Vergangenheit – oder je nach Kulturkreis oder Religion auch aktuell – als Machtinstrument missbraucht wurden, ist es schwierig, darüber zu sprechen.
Tun wir es trotzdem: Jungs gelten oft als Störenfriede und Rabauken. Kann man sie bis zu einem gewissen Grad über einen Kamm scheren?
Das gilt nie für alle, aber ja: Buben sind häufig bewegungsorientiert und laut, manchmal auch aggressiv. Sie haben eine andere Art der Konfliktlösung, energiereich und heftig. Männer neigen dazu, ihre Probleme auch mit körperlichem Einsatz zu lösen und dann abzuschliessen. Mädchen sind angepasster, natürlich auch nicht alle, aber generell. Das sieht man in der Schule. Mädchenkonflikte verlaufen versteckter und dauern häufig länger.
Was steckt dahinter, Gesellschaft oder Genetik?
Ich würde sagen, die gesellschaftliche Prägung ergänzt die biologischen Voraussetzungen.
Die gesellschaftlichen Voraussetzungen scheinen für Mädchen aktuell einfacher: Sie schreiben die besseren Schulnoten und schaffen eher den Sprung an die Uni …
Das Problem ist, dass es der Schule nicht gelingt, das Wesen der Buben einzubinden. Es erstaunt mich nicht, dass wir mittlerweile Schulklassen haben, in denen der Hälfte der Jungs ADHS-Symptome nachgesagt werden. Buben sind einfach bewegter, weniger brav und können nicht so lange fokussiert arbeiten. Deswegen brauchen sie nicht alle eine psychiatrische Diagnose. Man sollte die Umgebung hinterfragen, wenn so viele Kinder den Schulalltag nur noch mit Medikation bewältigen.
Sind Buben im Schulalltag diskriminiert?
Diskriminiert würde ich nicht sagen. Aber in ihrer Lebhaftigkeit eingeschränkt.
Was wäre die Lösung?
Die Schule könnte zum Beispiel ihre Führungsrolle neu überdenken. Möglicherweise bräuchte es deutlichere Strukturen und Hierarchien, die den Kindern Klarheit und Halt geben, und Vorbilder, die Werte wie Respekt und Anstand vorleben und durchsetzen. Kinder lernen vor allem durch Abschauen und Nachmachen. In der Entwicklung eines Menschen – das gilt übrigens auch im Tierreich – spielt das eine zentrale Rolle. Und gerade Buben fehlt es in der Schule an klaren männlichen Vorbildern.
Lässt sich dadurch erklären, warum junge Männer sich zu Extremen hingezogen fühlen und überproportional für die steigende Jugenddelinquenz verantwortlich sind?
In der Pubertät entwickelt sich die Orientierung nach aussen besonders stark. Wer bin ich, was will ich, was sind meine Werte? Das ist eine Zeit der Selbstfindung, und da können extremistische Kreise Orientierung und klare Werte bieten. Sie geben ihnen ein Zuhause, wo man sie versteht. In der Extremismusforschung ist lange bekannt, dass Jugendliche auf solche Strukturen ansprechen, wenn sie sich im Elternhaus alleingelassen, in der Gesellschaft eingeschränkt oder unverstanden fühlen.
Was können Eltern tun, um dem entgegenzuwirken?
Zum Beispiel können sie schon früh darauf achten, dass sich Jungen genauso wie Mädchen ideologiefrei entwickeln können. Wenn ein Kind beispielsweise in einer Kultur aufwächst, in der immer jede mögliche Befindlichkeit irgendwelcher anderer wichtiger ist als das eigene Erleben, die eigenen Bedürfnisse und Emotionen, ist es nachvollziehbar, dass das Pendel in der Pubertät auf die andere Seite ausschlägt. Das Extreme und «Unkorrekte» gewinnt dann deutlich an Attraktivität. Dieser Mechanismus gilt generell für ideologiegesteuerte Erziehung.
Viele Eltern fragen sich, wie sie ihre Teenager konkret unterstützten können auf dem Weg zur eigenen Identität. Philipp Ramming teilt dazu vier Gedanken:
Es braucht Ablösung: «Teenager wollen ihre Identität selber finden. Ablösung bedeutet, dass sich die eigenen Kinder ihre eigene soziale Gruppe kreieren oder auswählen und mit dieser Peer-Group zusammen Werte finden. Als Eltern muss man diese Abgrenzung aushalten und trotzdem da sein.»
Es braucht gemeinsamen Fortschritt: «Teenager wollen Sparringspartner: also hinstehen, mitkämpfen und nicht beleidigt sein, wenn man nicht gewinnt. Die Auseinandersetzung ist das Ziel, nicht, wer recht hat.»
Es braucht Grenzen: «Grenzen setzen und immer wieder neu aushandeln. In der Pubertät ist nämlich alles im Fluss. Wenn es nicht klappt, ist dies kein Scheitern, sondern die Basis für die nächsten Verhandlungen.»
Es braucht Selbstreflexion: «Die Pubertät der Kinder ist immer auch eine Gelegenheit für die Eltern, um über ihre eigenen Werte nachzudenken. Eventuell findet man Anpassungspotenzial.»
Viele Eltern fragen sich, wie sie ihre Teenager konkret unterstützten können auf dem Weg zur eigenen Identität. Philipp Ramming teilt dazu vier Gedanken:
Es braucht Ablösung: «Teenager wollen ihre Identität selber finden. Ablösung bedeutet, dass sich die eigenen Kinder ihre eigene soziale Gruppe kreieren oder auswählen und mit dieser Peer-Group zusammen Werte finden. Als Eltern muss man diese Abgrenzung aushalten und trotzdem da sein.»
Es braucht gemeinsamen Fortschritt: «Teenager wollen Sparringspartner: also hinstehen, mitkämpfen und nicht beleidigt sein, wenn man nicht gewinnt. Die Auseinandersetzung ist das Ziel, nicht, wer recht hat.»
Es braucht Grenzen: «Grenzen setzen und immer wieder neu aushandeln. In der Pubertät ist nämlich alles im Fluss. Wenn es nicht klappt, ist dies kein Scheitern, sondern die Basis für die nächsten Verhandlungen.»
Es braucht Selbstreflexion: «Die Pubertät der Kinder ist immer auch eine Gelegenheit für die Eltern, um über ihre eigenen Werte nachzudenken. Eventuell findet man Anpassungspotenzial.»
Was, wenn das männliche Vorbild in der Familie fehlt?
Auch Sporttrainer, Lehrer, Onkel, Göttis können diese Funktion übernehmen. Und die Mutter kann darauf achten, dass sie Männern gegenüber eine wertschätzende Haltung einnimmt. Selbst wenn sie vielleicht berechtigten Ärger über Männer empfindet, hilft es der Identitätsfindung ihres Sohnes, wenn sie Männlichkeit wertschätzt.
Hat Ihrer Meinung nach die Idee der genderneutralen Erziehung versagt?
Alle Erziehungsarten haben zu jeder Zeit versagt. Es geht vielmehr um die Frage: Was für Menschen braucht die Gesellschaft von morgen? Die nächste Generation wird ganz viele Probleme lösen müssen. Umwelt, kulturelle Unterschiede, Migration. Es braucht Menschen, die gelernt haben, hinzustehen, anzupacken, ihre Werte zu vertreten, und die dialogfähig sind.
Wie schafft man Chancengleichheit ohne Gleichmachung?
Buben wie Mädchen sollten sich wertvoll und unterstützt fühlen. Es geht darum, sie in der Identitätsfindung zu begleiten und ihnen das Gefühl zu geben: Du bist okay, wie du bist, und es ist okay, wie du dich fühlst. Und manchmal müssen wir eben miteinander diskutieren. So lernen sie, für sich selbst einzustehen, können besser mit Misserfolgen umgehen und entwickeln Frustrationstoleranz. Ich nenne das gerne auch Kampffähigkeit: die Kraft, sich einzusetzen für eigene Ideen und Ziele.