Nicht nur die romantische Beziehung macht glücklich!
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Plädoyer für neues Liebesideal:Nicht nur die klassische Beziehung macht glücklich!

Plädoyer für neues Liebesideal
Nicht nur die romantische Beziehung macht glücklich!

Am heutigen Tag regnets wieder Blumen. Wir feiern das Ideal der romantischen Paarbeziehung. Dabei ist Liebe längst viel mehr als das: Sie kann auch platonisch sein. Zu Besuch bei einem Vater und seinem Sohn, zwei Freundinnen und einer sehbehinderten Frau mit ihrem Hund.
Publiziert: 14.02.2021 um 09:46 Uhr
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Aktualisiert: 14.02.2021 um 10:18 Uhr
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Soziologe François Höpflinger (72) sagt: «Die romantische Vorstellung der Liebe hat gerade in den letzten 20 Jahren eine Renaissance erlebt.» Und das schadet uns allen.
Foto: PD
Rebeca Wyss und Silvia Tschui

Liebe ist ein Risiko. Das fängt schon beim Valentinstag an. Man kann sich fragen, warum dieser ausgerechnet einem Mann gewidmet ist, der ein Martyrium durch Enthauptung erlitt. Bischof Valentin von Terni starb 269 als Opfer der Christenverfolgung. Das mag ein schlechtes Omen sein. Oder einfach Tiefenpsychologie. Unterbewusst war den Nachfolgegenerationen klar, dass Liebe nicht dem entspricht, was an Tagen wie heute kolportiert wird. «Falling in love» sagt man im Englischen, «tomber amoureux» im Französischen. Wer sich verliebt, fällt – oft genug in ein Loch. 40 Prozent der Ehen werden geschieden.

Altlasten romantischer Liebe

Das klingt übertrieben? Nur weil wir die falsche Brille aufhaben. Liebe ist mehr als ein Gefühl, mehr als Biochemie. Die romantische Liebe ist vor allem ein Ideal. Und das ist gar nicht so alt. Bis ins 18. Jahrhundert gab es nur reine Zweckehen, meist durch die Familien arrangiert. Erst die neue Schicht des Bürgertums wollte mehr von der Ehe, sie wollte das ganze Paket: Ehe, Liebe und Sex = Glück!

Das hallt nach, sagt Soziologe François Höpflinger (72). «Diese romantische Vorstellung der Liebe hat gerade in den letzten 20 Jahren eine Renaissance erlebt.»

Sie ist sogar zur Obsession geworden. Jürg Willi (1934–2019), der erste Paartherapeut der Schweiz, beobachtete das in seiner Praxis: Vor ihm sassen lauter Frauen und Männer mit der Sehnsucht, ganz mit dem Partner und der Partnerin zu verschmelzen. Und mit der Vorstellung im Kopf: «Wir sind füreinander bestimmt.» Eine Falle. «Auf Dauer ist diese absolute Liebe nicht realisierbar. Sie duldet keine Konflikte», sagte Willi in einem «NZZ»-Interview. Nichts darf trennen. Kein Gedanke, keine Macke. Eine nicht zugeschraubte Zahnpastatube ist ein Drama, das irgendwann zu einer Wut führt, so zerstörerisch wie ein Feuer, das am Ende alles niederbrennt – «weil man mit diesem Partner die Idealvorstellung nicht erreichen kann».

Corona verstärkt das Liebesideal noch

Das ist toxisch. Aber das wollen wir nicht wahrhaben. Wir halten uns krampfhaft am Liebesideal fest. Wir brauchen es. Es gibt uns Halt in Zeiten voller Umbrüche, die kompetitiv, unsicher geworden sind. Die Liebe ist uns ein Zufluchtsort, genauso wie die Familie. Jetzt während Corona noch viel mehr, sagt Soziologe Höpflinger.

Er sagt auch: «Das Liebesideal hat das schlechte Image des Alleinlebens verstärkt.» 16 Prozent der Bevölkerung leben aber alleine – eine wenig erforschte Minderheit. Was bleibt, sind Vorurteile: Alleinlebende würden als beziehungsunfähig, selbstsüchtig, als Einzelgänger gelten. «Das entspricht nicht den Tatsachen», sagt Höpflinger. Viele Singles lieben heute so viel mehr als bloss einen Lieblingsmenschen. Und führen damit einen Trend der letzten 20 Jahre an.

Liebe ist viel mehr als Romantik, sie ist oft platonisch

Das zeigt das Schweizerische Haushalt-Panel der Universität Lausanne: Immer mehr Menschen haben drei oder mehr enge Freunde. Liebe ist heute viel mehr als früher auch platonisch. Eltern nehmen ihre erwachsenen Kinder nach einer Trennung wieder bei sich auf, Einsame erklären ihren Vierbeiner zum Partnerersatz, oder Arbeitstätige führen eine Halb-Ehe mit ihrem «Work Spouse», ein neues Phänomen: Sie teilen mit der Arbeitskollegin oder dem -kollegen alles – ausser das Bett.

Wie diese Formen der Liebe tatsächlich gelebt werden, zeigen unsere Gespräche mit Vater und Sohn Bösiger, der sehbehinderten Janka Reimmann (46) und die Erfahrung der SonntagsBlick-Magazin-Autorin Rebecca Wyss (36) mit ihrer Freundin Andrea Löpfe (34). Sie alle suchen Halt in den Bindungen – und Sinn. Das ist klug. Menschen, die sozial gut eingebettet sind, leben laut Studien bis zu 20 Prozent länger als Vereinsamte. Und Lisa Wagner (35), Persönlichkeitspsychologin der Universität Zürich, sagt: «Freunde zu haben, senkt das Risiko, an Depressionen zu erkranken.»

Freunde als Familienersatz

Heute fühlen sich Freunde einander mehr verpflichtet als früher. Sie übernehmen Verantwortung, wenn die beste Freundin krank wird oder finanziell in Schwierigkeiten steckt. Sie sind immer mehr Familienersatz, weil Eltern und Geschwister ganz weit weg wohnen – oder wegen schwierigen Erfahrungen als Stützen nicht in Frage kommen.

Und so stirbt die Gattung der sozial verkümmerten Männer, die nach dem Tod der Ehefrau aufgeschmissen sind, langsam aus. Ein echter Kerl pflegt heute eine zärtlich-brüderliche «Bromance». Wie Radio-Mann Adrian Küpfer, der seinem Kumpel und Divertimento-Comedian Manu Burkart auch schon mal whatsappt, «längi Zyti» nach ihm zu haben.

Psychologin Wagner sagt: «Durch Freunde entwickelt man die eigene Persönlichkeit weiter.» Freunde sind wie ein Spiegel.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) schrieb seinerzeit an seine Liebste: Die romantische Liebe sei ein Gefühl, das wir empfänden, wenn wir in einem anderen Menschen «unser Gleichnis, uns selbst verdoppelt» erblickten. Goethes Beobachtung ist nach wie vor aktuell: In der Liebe, im Gegenüber suchen wir uns selbst. Und finden es oft in unseren Freunden, unseren Familienmitgliedern, unseren Haustieren.

Andrea Löpfe (34) und Rebecca Wyss (36)

«Was, wir kennen uns schon lange? Nei, nei, wir sind eigentlich erst seit gestern befreundet», sagt Andrea Löpfe (34), «wir sind vierezwänzgi», und ihre beste Freundin Rebecca Wyss (36) prustet los. Als Wyss vor gut 14 Jahren an der Uni Zürich im Politikwissenschaftsstudium in der Vorlesung und in Seminaren Andrea Löpfe bei Wortmeldungen zuhörte, dachte sie: Was für ein wandelndes Lexikon! Die ist schlau und interessant, mit der wär ich gern befreundet!

Flüchtig waren sie sich schon bekannt: Wyss' damaliger Freund arbeitete mit Löpfe zusammen. Das hätte allein aber noch nicht für eine Freundschaft gereicht. «Ich bin eher zurückhaltend und ruhig, wenn ich jemanden nicht gut kenne. Aber bei Rebecca habe ich mich von Anfang an wohlgefühlt», sagt Löpfe, «Rebecca kann mit allen reden und mit jedem ein gutes Gespräch führen. Man fühlt sich einfach sofort wohl mit ihr.» Umgekehrt war Wyss von Löpfe also sofort sozusagen entwaffnet. Auch sonst haben sie das Heu auf der gleichen Bühne: «Wir sehen die Welt ähnlich», sagt Löpfe. «Unser Herz schlägt für Ausgegrenzte», sagt Wyss.

Dass sie sich durch dick und dünn aufeinander verlassen können, wurde Wyss aber erst vor Jahren in einer Krise klar: «Als ich mich getrennt habe und Knall auf Fall ohne Wohnung dastand, hat Andrea sofort gesagt, ich könne bei ihr einziehen.» Und als Wyss später länger im Ausland war und schliesslich ohne Wohnung und Job in die Schweiz zurückkam, war klar, dass sie bei ihrer besten Freundin unterkommt, bis sie wieder Fuss gefasst hatte.

«Immer wenn ich vor dem Nichts stand, hast du mich aufgefangen», sagt Wyss zu ihrer Freundin, und diese ergänzt: «Ich hatte ja auch etwas davon – ich mag den Austausch mit dir sehr.» Wie wichtig die beiden einander sind, zeigt ein Satz von Wyss: «Wenn man die Familie nicht in der Nähe hat, ist so eine Freundschaft, als hätte ich eine gleichaltrige Schwester in der Nähe.» Und Löpfe ergänzt: «Wir freuen uns jedenfalls schon auf unsere Alters-WG.»

Philipp (23) und Beat Bösiger (51)

Philipp (23) und Beat Bösiger (51) etwas zu ihrer Beziehung zu entlocken, ist streckenweise ein bisschen wie Zähneziehen. Dass Bösiger senior auf seinen Sohn stolz ist, ist klar, auf «halt alles», wie er zuerst sagt. Und dann, nach einer Pause doch noch etwas ausholt: «Die ersten Schritte, den ersten Schultag, alles halt.» Aber auch insbesondere, dass er denselben Beruf ergriffen hat wie er selber. Im selben Betrieb? «Das nicht», lacht der Junior, der Vater habe ihm abgeraten. Bösiger senior hat seinerzeit selber einen Landwirtschafts-Familienbetrieb übernommen, das sei nicht immer einfach, wenn der Junge andere Ideen habe als die Vorgänger. All das braucht nicht viele Worte. Auch nicht, dass man in der Familie zueinander schaut, einander beisteht und hilft, muss gross erörtert werden. Das ist einfach selbstverständlich.

Sohn Philipp gibt sich zunächst ebenfalls eher wortkarg. Der Vater habe hart gearbeitet und viel aufgebaut, er sei stolz auf ihn. Lieber reden die beiden über ihre jeweiligen Geschäfte, die fast konkurrenzieren, aber eben doch nicht ganz. Beide sind Gemüseproduzenten, der Vater konventionell, der Sohn bio, beide führen je ein eigenes Geschäft. Zu Reibereien führe das überhaupt nicht, «eigentlich ist der Anbau sehr ähnlich. Bei Bio sind einfach weniger oder andere Pflanzenschutzmittel zugelassen», sagt Bösiger senior, und schon ist man mitten in der Politik, in Direktzahlungen, beim Bund und beim Klimawandel, bei Sinn und Unsinn von stärkeren Regulierungen, die einfach dazu führen würden, dass mehr Gemüse aus Ländern importiert werden müsse, die niemals die Anbaustandards der Schweiz hätten. Bei Bösigers eröffnet sich über das Thema Gemüse die ganze grosse weite Welt mit ihren wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen.

Die Nähe tritt aber sofort wieder in den Fokus, wenn man die beiden nach dem Wichtigsten in ihrem Leben fragt. «Die Familie und das Geschäft», sagt Bösiger senior wie aus der Pistole geschossen. Und sein Sohn ergänzt: «Die Familie, das Geschäft und Freunde.»

Janka Reimmann (46) und Oreo (4)

Oreo ist im Ferienmodus. Eigentlich hat er überhaupt keine Lust, hier am Bahnhof in Winterthur herumzustehen und auf die Journalistin zu warten. Viel lieber würde er etwas weiter drüben auf der Wiese herumstreunen. Immer mal wieder zieht er mit dem Kopf nach links, Richtung Wiese, Richtung Freiheit. «Vorhin hatte ich einen kleinen Machtkampf mit ihm», sagt Janka Reimmann (46), «er ist sich das Arbeiten nicht mehr so gewohnt.»

Normalerweise hat Oreo viel zu tun. Er ersetzt Janka Reimmanns Augen im Alltag. Sie erkennt nicht mehr als die Umrisse eines Menschen. Sie sieht auch nicht, wann der nächste Treppenabsatz kommt, oder eine Baustelle. Ihr Blindenführhund Oreo schon. Er führt sie zur «Blindekuh» in Zürich, wo sie im Service arbeitet, oder zu den Schulhäusern, in denen sie für den Schweizerischen Blindenbund Vorträge hält. Wegen Corona fällt all das weg, Oreo hat mehr Freizeit.

Oreo und Janka Reimmann haben eine Bindung, wie es sie selten zwischen Mensch und Tier gibt. Oreo ist kein Gadget oder Mittel gegen Einsamkeit. «Oreo bewahrt mich vor den Gefahren des Alltags.» Jeder Randstein kann zum Stolperstein werden. Ohne den Gefährten käme sie kaum durch den Tag. Und ohne sie wüsste er nicht, was zu tun ist – Janka Reimmann ist der Chef, gibt die Kommandos. «Unser Zusammenspiel funktioniert nur so gut, weil wir einander vollkommen vertrauen», sagt sie.

Janka Reimmanns Augen waren mal gesund. Bis sie eines Tages nicht mehr an die Wandtafel sah, da war sie acht. Nach und nach legte sich ein Filter über ihre Pupillen, wie Milchglas. Warum genau, weiss man nicht. Die Ärzte sagen, dass es mit einer Autoimmunerkrankung zusammenhängen könnte.

So vieles konnte sie als junge Frau nicht machen, Tierpflegerin lernen, in der Disco mit einem Jungen flirten. «Damit wurde ich damals schlecht fertig», sagt sie. Als Teenager fiel sie in ein tiefes Loch. «Mein erster Hund hat mich aus der Krise rausgeholt.» Oreo ist ihr vierter Blindenführhund. Auch er muntert sie auf, wenn sie mal einen schlechten Tag hat. «Er ist nie schlecht drauf. Nicht so wie ein Mensch.» Seit kurzem nimmt sie Gitarrenunterricht, eines ihrer ersten Lieder widmete sie Oreo. Zum Dank.

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