Die Hitze liegt wie ein nasses Tuch über der Stadt Zürich, dem Bellevue, dem See. Und selbst im dunklen Zuschauerraum des Opernhauses spürt man die schwere Wärme. Auf der Bühne wedeln sich Tänzerinnen in knappen Kostümchen mit riesigen Fächern Kühlung zu. Regiepersonal hängt matt in den Stühlen. Die Pianistin klimpert sich warm. Tonläufe aus Franz Lehárs Operette «Das Land des Lächelns» legen sich über Gesprächsfetzen.
Und dann, man weiss nicht wie, steht da dieser Mann im Frack inmitten all dieses Chaos. Gross, mit breitem Lächeln, strahlenden Augen: Piotr Beczala (50). Ein Bild von einem Tenor, der Star der Aufführung. Einer der wenigen, die sich offensichtlich nicht an der Hitze stören. Und als er dann «Dein ist mein ganzes Herz!» singt, ist die Hitze vergessen. Und alle im Saal wissen: Hier singt der Grund, weshalb Lehárs fast vergessene Meisteroperette Zürich zurückerobern wird.
Kaum ein Tenor, der ihm das Wasser reichen kann
Vor 20 Jahren ist der polnische Tenor hierhergekommen. Mozart sang er damals. Vorbildlich. Langsam tastete er sich an grössere Rollen heran. Irgendwann sang er in Verdis «Rigoletto» den Grafen – und nach der Arie «La donna è mobile» lag ihm das Zürcher Publikum zu Füssen. Dann verliess er mit Opernhaus-Direktor Alexander Pereira Zürich. Beczala trat in Salzburg, Wien, London und an der New Yorker Met auf – er machte Weltkarriere: Kaum ein Tenor, der ihm heute auch nur das Wasser reichen könnte.
«Man kann sich schon fragen, weshalb gerade ich», sagt er später. «Einfachste Antwort wäre wohl: Ich hatte genug Geduld, gewisse Fehler nicht zu machen.»
Gut 25 Jahre singt Piotr Beczala jetzt professionell. Die Stimme sitzt noch immer perfekt, immer noch trifft er unfehlbar das hohe C. Ob der Grund wirklich seine Vorsicht war? «Nun ja», sagt er. «Man darf nicht zweimal den gleichen Fehler machen.» Das sei auch der Grund, weshalb er mit 50 Jahren noch immer jeden Moment auf der Bühne geniesse: «Ich kann aussuchen, wo und mit wem ich singe, welches Orchester mich begleitet – besser kann es doch gar nicht sein.»
20 Jahre Unterricht beim Pianisten
Aus dem südpolnischen Czechowice kommt er. Ingenieur wollte er werden, aber irgendwann musste es einfach Sänger sein. Tenor ist das Fach, das er wählt. «Reiner Zufall», sagt er. «In Deutschland wäre ich wohl Bariton geworden.» Erst singt er im Chor in Katowice, 1992 dann in Linz in Österreich. «Da habe ich eigentlich erst singen gelernt.» 20 Jahre lang leistet er sich Unterricht beim Pianisten Dale Founding, der selbst gar nicht singen kann, Beczala aber genau zuhört und korrigiert. Genau so macht es Beczala heute selbst.
«Ich kontrolliere die Maschine, die Geschwindigkeit, die Art, wie sie die Töne produziert», sagt Beczala. «Wenn der Klang einmal frei in der Luft schwebt, bringt es gar nichts mehr, ihm zuzuhören – die Arbeit ist getan, korrigieren lässt sich nichts mehr.»Die Probe ist vorbei, der Frack gegen den Freizeitlook eingetauscht. Jetzt muss es ein kaltes Mineralwasser sein. Ganz im Gegensatz zu anderen Sängern, die vor jedem Luftzug Angst haben und schon gar keine eisgekühlten Drinks geniessen, schert sich Piotr Beczala kein bisschen darum.
Vom goldenen Zeitalter grosser Sänger zu dem der Regisseure
Ich erzähle, wie ich ihm zum ersten Mal in Mozarts «Don Giovanni» begegnete, erinnere mich an «Die Zauberflöte» in Salzburg und frage, da er die immer grösseren Partien seines Fachs angeht, ob er diese Grundpfeiler seines Repertoires nicht vermisse – fällt ihm dieses Abschiednehmen nicht schwer?
Er lacht ein helles Lachen, breitet die Arme weit aus, als ob er die ganze Welt umarmen möchte. «In diesem Job ist es doch so, dass man dauernd Abschied nimmt – von Theatern, Partnern, Rollen.» Er habe so unglaublich viel Mozart gesungen, aber irgendwann sei eben Schluss.
Deshalb kann er jetzt die Spassrollen angehen: Den Rodolfo in «La Bohème», den Werther, den Romeo und vor allem Riccardo in Verdis «Maskenball». Ein Lachen, ein Blitzen der hellen Augen. «Das ist doch der Sinn der Sache», sagt er. «Die Stimme entwickelt sich im Laufe der Jahre: Sie wird nicht nur voluminöser, sie wird härter, breiter und auch tragfähiger, ihre Projektionskraft wächst.» All diese Dinge würden die Qualität eines Sängers bestimmen – man müsse, er müsse, weitergehen.
Piotr Beczala gerät in Fahrt. Er erzählt von den Auftritten in der Met. «Es ist ein Riesenhaus, und man muss – obwohl die Akustik super ist – an seine Grenzen gehen», sagt er. «Ich fühle mich dort nach zehn Aufführungen ein bisschen ausgepowert.» Klar auch, dass er sehr genau auswählt, welche Rollen er gerade im Repertoire hat. «Wenn man alles singt, wird man langweilig», sagt er. «Es ist wie überall im Leben, man muss sich entscheiden: Das mache ich, das lasse ich bleiben.»
Jetzt also Franz Lehárs «Land des Lächelns». Eine Operette vor allen Dingen! Eine Sache, die in diesen Tagen kein grosses Opernhaus auf der Welt anpackt; die manche Kritiker und sogar Musikliebhaber mit Kitsch bezeichnen. Das lässt den Sänger ernst werden, seine Stimme ist dunkler: «Das ist für Leute, die nicht richtig hören.» Dabei komme die Schwierigkeit davon, dass das goldene Zeitalter grosser Sänger seit vielleicht 30 Jahren zu Ende gehe. «Jetzt haben wir das goldene Zeitalter der Regisseure», sagt er. «Damit stirbt die Operette, denn ein Stück um grosse Gefühle kann man nicht bis zur Unkenntlichkeit umschreiben. Das soll nicht sein.»
«Ich möchte mich für nichts schämen»
Deshalb habe er vor ein paar Jahren zur Zürcher Produktion vom «Land des Lächelns» Ja gesagt. «Wir wollen beweisen, dass Operette weder sentimental noch langweilig noch musikalisch schwach sein muss», so Beczala. «Man muss ihre grossen Qualitäten zeigen.»
Was möchte er denn erreicht haben, wenn es eines Tages zur letzten Vorstellung geht? «Ganz einfach: Ich möchte mich für nichts schämen, was ich als Sänger versucht habe.» Vielleicht sei nicht jede Vorstellung gelungen. Aber wenn sich die Leute nach einem Konzert oder einem Opernabend mit Freude daran zurückerinnern, wenn irgendjemand durch so einen Abend zur Oper finde, sei er überglücklich.
Er schweigt. Dann sagt er noch: «Ich weiss heute, was und wer ich bin. Ich weiss, was meine Arbeit wert ist. Das Allerwichtigste aber ist: Ich geniesse jeden Moment!»
Premiere: «Das Land des Lächelns», 18. Juni, Opernhaus Zürich