Philosophin und Moderatorin Barbara Bleisch über Weihnachten
«Ich wünsche mir mehr Mut zum Schenken»

Barbara Bleisch (45) ist Moderatorin und die bekannteste Philosophin der Schweiz. Die Spezialistin für Familienbeziehungen plädiert für mehr Mut zum Schenken und ein Weihnachten, bei dem sich jedes Familienmitglied wohlfühlt.
Publiziert: 23.12.2018 um 21:58 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2018 um 16:33 Uhr
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Barbara Bleisch in der Conditorei Schober in der Zürcher Innenstadt.
Foto: Thomas Meier
Jonas Dreyfus

Frau Bleisch, viele Paare schenken sich an Heiligabend bewusst nichts. Als ­Bescheidenheit ­getarnte Faulheit?
Barbara Bleisch: Vielleicht eher 
als Bescheidenheit getarnte Angst.

Wovor?
Schenken ist etwas Persönliches. Wer es tut, verschenkt immer auch einen Teil von sich selbst. Ein Geschenk riskiert sich – und es wagt, dass es nicht gefällt. Ich wünsche mir mehr Mut zum Schenken.

Es gibt aber auch Menschen, 
die gar nicht beschenkt werden 
wollen. Sie schreiben auf ihre ­Geburtstagseinladung: «Bitte 
keine Geschenke!»
Sie sagen sich: «Ich hab doch schon alles.» Vielleicht wollen sie ihre Gäste nicht damit belasten, ein ­Geschenk auftreiben zu müssen. Damit weisen sie ein Stück Intimität zurück. Geschenke zeigen ja auch, was andere von mir halten und wie gut sie mich verstehen.

Schweizer können Spassbremsen sein, über Weihnachten die Nase rümpfen, über die Fasnacht, über die Street Parade, über Halloween. Die Liste ist lang. Woher kommt diese Lustfeindlichkeit?
Wir sind eine sehr kontrollierte ­Gesellschaft und werden deshalb immer verkrampfter. Was mögen die anderen denken, wenn ich laut und herzhaft lache? Und wie sehe ich dabei auf dem Foto aus? Alles läuft kontrolliert ab. Wenn wir mal über die Stränge schlagen, haben wir ­bereits das Fastenprogramm für nachher aufgegleist. Uns lustvoll ins ­Leben zu schmeissen, fällt uns zunehmend schwer.

Was war das schönste Geschenk, dass Sie jemals erhalten haben?
Eine meiner beiden Töchter hat mir zum Beispiel einmal eine Hosensack-Zeichnung gemacht.

Was ist das?
Eine ganz kleine Zeichnung, die ich immer mit mir herumtragen kann.

Gibt es das selbstlose Schenken? Oder anders gefragt: Erwarten wir nicht zumindest unterbewusst immer etwas zurück?
Nicht unbedingt. Viele wollen gerade nicht, dass der Beschenkte das Gefühl hat, dass er einem etwas schuldet. Wenn mir jemand ein Geschenk macht, das ich als viel zu gross empfinde, fühlt sich das nicht gut an. Geschenke müssen ja nicht unbedingt teuer sein. Im Brockenhaus gibts tolle Sachen, wenn man danach sucht. Oder auch Zeit schenken ist etwas Schönes. Zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Ausflugs.

Eine gängige Reaktion bei 
grossen Geschenken: etwas noch Grösseres zurückschenken.
Der französische Soziologe Marcel Mauss analysierte dieses Phänomen anhand des indianischen Fests Potlatch, bei dem sich die Teilnehmer gegenseitig mit Geschenken übertrumpfen. Wenn einer sich nicht mehr adäquat revanchieren kann, hat man ihn besiegt.

Schenken als aggressiver Akt?
Und als Wettbewerb, wie wir ihn auch von den Geschenkkatalogen bei Hochzeiten kennen. Dort sieht jeder, wie viel der andere fürs Brautpaar ausgibt.

Solche Listen sind offiziell dazu da, dass ein Brautpaar nicht mit Dingen überhäuft wird, die es nicht braucht.
Damit gehen wir fälschlicherweise davon aus, dass nur Brauchbares wertvoll ist. In Deutschland habe ich in einer Buchhandlung Körbe gesehen, in die Geburtstagskinder Dinge hineingelegt hatten, die sie sich wünschen. Die Kinder, die zum Fest eingeladen sind, können einfach nur noch etwas aus dem jeweiligen Korb nehmen und es an der Kasse bezahlen. Ich war schockiert. Diese durchorganisierte Abwicklung pervertiert das Schenken.

Warum?
Es geht beim wahren Schenken eben nicht einfach um eine effi-
ziente Transaktion, sondern um das­ Leben einer Beziehung. Wir tendieren heute dazu, das Zwischenmenschliche genauso durchzuökonomisieren wie unseren 
Alltag. ­Alles muss sich rechnen. Dabei definieren sich private Beziehungen gerade dadurch, dass die Rechnung nicht ­immer aufgeht. Es gibt Zeiten, in denen melde ich mich ­öfter bei meiner Freundin als sie sich bei mir. Zeiten, in denen mich mein Mann mehr braucht als ich ihn.

Wie feiern Sie eigentlich Weihnachten?
Wir feiern Heiligabend zu viert, Weihnachten mit den Eltern und dann noch ein Familienfest mit 
der grossen Verwandtschaft. Wir schmücken den Baum nicht ­heimlich am Vorabend, sondern am 24. am Morgen gemeinsam mit den Kindern. Sie sind acht und zehn Jahre alt. Ich finde dieses ­Ritual sehr schön, auch wenn der Baum dann nicht so aussieht, wie wenn ich ihn alleine schmücken würde.

In Ihrem neuen Buch «Warum wir unseren Eltern nichts schulden» geht es um Erwartungen, die 
Familienmitglieder aneinander haben. An Weihnachten sind 
diese Erwartungen besonders hoch. Warum?
Weil es relativ starre Vorstellungen davon gibt, wie dieses Ritual auszusehen hat. Wenn jemand mit seiner Familie am 24. Dezember kegeln geht, ist das eher ungewöhnlich. In Freundschaften und in Liebesbeziehungen gibt es zwar auch Rituale. Sie sind aber viel weniger von Konventionen bestimmt wie in Familien.

Warum gibts gerade am Fest der Liebe so oft Krach?
Weil meistens die ältere Genera-
tion vorgibt, wie das Ritual abzulaufen hat. Das haben vor ihr schon die Grosseltern und Urgrosseltern so gemacht. Ausserdem muss es auf Teufel komm raus feierlich sein. Für die Kinder kann sich das wie ein Korsett anfühlen.

Ist es okay, als Sohn oder Tochter zwischendurch mal eine Weihnacht auszusetzen?
Man muss sich einfach bewusst sein, dass man andere Familienmitglieder alleine lässt. Es ist ja nicht wie bei einer Geburtstagsparty, wo der Gastgeber einfach noch jemanden dazu einladen kann, wenn es Absagen gibt. Oder stellen Sie sich vor, dass Ihre Eltern für einmal ­pausieren wollen. Suchen Sie mal jemanden an Weihnachten, an den sie sich ausserhalb der Familie andocken können. Das ist nicht so leicht.

Wenn man die Absenz mit 
Ferien in der Wärme begründet, hat man bessere Karten. Dann liegt man in der Karibik unter 
einer Palme und hat trotzdem ein schlechtes Gewissen.
Dagegen hilft nur, rechtzeitig das Gespräch zu suchen. Im besten Fall sagen die Eltern: Mach das, wenn es dir so wichtig ist. Wir kommen gut klar.

Sie vertreten die These, dass 
niemand seinen Eltern etwas schuldet, nur weil sie seine ­Eltern sind. Das würde heissen, dass man mit Familienweih­nachten ganz aufhört, wenn es nicht mehr geigt.
Wenn die Beziehung einem nicht guttut, man nicht respektiert oder gar missachtet wird, ist das legitim. Wir sind ja in diesem Gespräch bis jetzt davon ausgegangen, dass man ein gutes Verhältnis hat untereinander. Das ist leider längst nicht in allen Familien der Fall.

Ist es nicht gerade das Gute an der Familie, dass man nicht so leicht davonkommt, wenn einem etwas nicht passt? Und sich stattdessen immer wieder mit 
ihr auseinandersetzen muss?
Ja, schon. Aber muss das unbedingt an Weihnachten passieren? Ich bin mir nicht sicher. Wovon ich überzeugt bin: Die Familie ist ein Trainingslabor für geistige Offenheit. Die Familie ist sozusagen die Anti-Bubble.

Können Sie das ausführen?
Unsere soziale Blase besteht aus ­einem selbst gewählten Umfeld aus Freunden, Kollegen und Internetkontakten. Wir sind umgeben von Menschen, die ähnlich denken wie wir und uns bestätigen in dem, was wir glauben. Wer nicht aufpasst, vergisst, dass es noch ganz andere Meinungen gibt. Vor allem die ­erweiterte Verwandtschaft kann ­einen da recht schnell auf den ­Boden zurückholen. Zu ihr gehören oft Personen, die Dinge komplett anders sehen.

Kennen Sie das? Man kann nicht mehr weiter vorausdenken als bis zum 31. Dezember – und hat plötzlich das Gefühl, bis dann noch alles erledigen zu müssen.
Nein, denn ich geniesse dieses ­Ausplempern des Jahres. Ich glaube, das geht vielen Menschen so. Nie werden so wenig E-Mails ­verschickt wie in dieser Zeit. Am 25. Dezember eine Geschäftsnachricht zu versenden, das wäre fast schon geschmacklos. Die Winterstarre, in der wir uns befinden, tut uns gut.

Nehmen Sie sich etwas vor fürs neue Jahr?
Ich versuche, Dinge hinter mir zu lassen. Das ist in unserer Zeit wichtiger, als sich etwas vorzunehmen.

Wie meinen Sie das?
Wir leben in einer Zeit, in der man sich viele Optionen offen lassen kann. Wir können mit 20 Jahren eine Familie gründen oder mit 50, uns binden oder doch lieber noch einen anderen Partner suchen, noch mal studieren, auswandern. In einer Welt der Möglichkeiten ist es schwierig, sich von etwas zu verabschieden.

Muss man das?
Ich glaube, es hilft, sich im Leben zu entscheiden. Ich empfinde es für mich jedenfalls als entlastend, gewisse Optionen nicht mehr offen zu halten. 

Am Fernsehen und im Vorlesungssaal

Am Fernsehen, im Vorlesungssaal Barbara Bleisch ­moderiert seit sieben Jahren die Talkshow «Sternstunde ­Philosophie» auf SRF 1. In ihr diskutiert sie mit hochkarätigen Gästen über weit ­gefasste philosophische Themen wie Klima­wandel oder die Vertretbarkeit legaler Prostitution. Bleisch ist Dozentin an der Universität Luzern und am Ethik-Zentrum der Universität Zürich. Sie arbeitet als Kolumnistin für «Tages-­Anzeiger» und «Philosophie Magazin». Die ersten drei Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Afrika, wo ihr ­Vater als Arzt arbeitete. Weil es dort keine ­Tannenbäume gibt, ­feierte die Familie Weihnachten unter einer mit Kerzen geschmückten Agave. Bleisch ist Mutter zweier Töchter und wohnt mit ihrem Mann in Zürich.

Am Fernsehen, im Vorlesungssaal Barbara Bleisch ­moderiert seit sieben Jahren die Talkshow «Sternstunde ­Philosophie» auf SRF 1. In ihr diskutiert sie mit hochkarätigen Gästen über weit ­gefasste philosophische Themen wie Klima­wandel oder die Vertretbarkeit legaler Prostitution. Bleisch ist Dozentin an der Universität Luzern und am Ethik-Zentrum der Universität Zürich. Sie arbeitet als Kolumnistin für «Tages-­Anzeiger» und «Philosophie Magazin». Die ersten drei Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Afrika, wo ihr ­Vater als Arzt arbeitete. Weil es dort keine ­Tannenbäume gibt, ­feierte die Familie Weihnachten unter einer mit Kerzen geschmückten Agave. Bleisch ist Mutter zweier Töchter und wohnt mit ihrem Mann in Zürich.

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