Neue Horizonte
Andres Lutz - «Fünf nach zwölf war immer schon»

Das Markenzeichen von Andres Lutz sind seine vielen Talente. Im Duo mit Anders Guggisberg arbeitet er erfolgreich als Künstler. Und in der Rolle von Dr. Lüdi erregt er das Kabarettpublikum mit schrägem Humor.
Publiziert: 20.07.2018 um 10:30 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:19 Uhr
Der Künstler Andres Lutz alias Dr. Luedi posiert im April 2018 mit Gadgets seiner Bühnenshow «Dr. Luedi-Show: Luedi steigt ins Moor».
Foto: Keystone/CHRISTIAN BEUTLER

Die Pause ist zu Ende. Im Zuschauerraum kehrt Stille ein. Aus dem Zwielicht der schwach erhellten Bühne schält sich eine skurrile Figur heraus, die zu einem knorrigen Monolog anhebt. Im rauen Schwyzerdialekt lässt sie eine abgelöschte Welt auferstehen, in der sich jeder der Horde unterzuordnen hat, denn «so öberläbt d'Gruppä».

Im Wädenswiler Theater Ticino erleben die Besucher an diesem Aprilabend ein Wechselbad der Gefühle. Andres Lutz alias Dr. Lüdi begibt sich mit seiner neuen Show «Lüdi steigt ins Moor» in den Pfuhl der sozialen Medien. Wir kommunizieren, bis die Welt kollabiert und die neue Herrlichkeit sich wieder in neolithisches Dunkel hüllt.

Wie hält es Andres Lutz mit der mobilen Kommunikation? «Sie nervt», antwortet er unumwunden, etwa wenn ein Gesprächspartner «alle drei Minuten einmal das Handy zückt, um ein Bildchen zu zeigen oder Wikipedia aufzurufen». So gesehen ist seine Satire, wie er meint, «aus dem Schmerz geboren».

Mit den Mitteln des schrägen Witzes holt sich Andres Lutz aber seine Freiheit zurück. Auf der Bühne betreibt er lustvollen Klamauk, der zum Lachen reizt, ohne den Ernst der Sache zu übertünchen. Boshaft hält er fest: «Fünf nach zwölf war immer schon.»

Andres Lutz ist ein Multitalent im Schweizer Kulturbetrieb. Er ist Performer, Künstler, Musiker und Sprachartist, in dessen Arbeit die künstlerischen Zuschreibungen verwischen. Man muss ihn sich als Plural denken. Auf der Bühne räubert er durch alle Register der Wortkunst. Mit verspieltem Charme gibt er sich mal absurd, mal bärbeissig, mal verspielt naiv. Er treibt den Schabernack unnachahmlich auf die Spitze.

Dieses komödiantische Talent ist auch beim Gespräch in seiner Küche spürbar. Er wechselt beim Erzählen immer wieder zwischen den Dialekten. Er kann sie (fast) alle sprechen - ein Erbe seiner ländlich geprägten Herkunft.

Vor 50 Jahren wurde er in Wettingen AG geboren. Er wuchs in Uznach SG auf und besuchte in Wattwil SG die Mittelschule. Familiäre Verbindungen führen ins Bernische und nach Graubünden. Aus allen Richtungen hat er sich so sprachlich inspirieren lassen. «Ich finde die Vielfalt schön», sagt er.

Das Jahr 1996 bildete eine doppelte Zäsur in seinem Werdegang. Mit Gerhard Meister formierte er das Kabarettduo «Geholten Stühle», das bis heute legendären Ruf geniesst. Für seinen tieferen Unsinn wurde es 2000 mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet. Im selben Jahr begann auch die künstlerische Zusammenarbeit mit Anders Guggisberg.

Kunst war für Andres Lutz früh das Ziel: «Das habe ich schon mit sechzehn gewusst.» Er liess es aber gemächlich angehen und bummelte zuerst durch die Lehrjahre an der Kunstschule F+F in Zürich. Doch «seit 22 bin ich freischaffender Künstler. Ich habe nie etwas anderes gemacht», erzählt er, «ich wollte das wirklich.» Auf diese Weise hat er sich seine bedingungslose Unabhängigkeit bewahrt.

Von Beginn weg ergänzten Kunst und Kabarett einander. Ausgedehnte Tourneen mit «Geholten Stühle» sorgten für den Lebensunterhalt, während die Kunst eher experimentierenden Charakter behielt. Als sich «Geholten Stühle» 2003 auflösten, rückte die Kunst in den Mittelpunkt, und die Verbindung Lutz & Guggisberg entwickelte sich zu einer Marke im Kunstbetrieb.

22 Jahre hält diese Verbindung nun schon. «Ich verstehe es auch nicht so recht», lacht Andres Lutz, aber nach so langer Zeit «ist man in verschiedenster Hinsicht ein altes Ehepaar, das eine gemeinsame Identität entwickelt».

In ihrer Kunst teilen die beiden die Vorliebe für an sich wertlose Dinge wie Wurzelstöcke, Hölzer, Gips, Fundsachen oder Plastikteile, die sie in allen Variationen zu Installationen, Skulpturen und Bildern spielerisch kombinieren. «Ich habe eine Liebe und Leidenschaft für gebrauchte Materialien», betont er mehrfach, «die ein Leben und eine Geschichte erzählen.»

Die Grenzen verwischen: «Aus High wird Low und aus Low wieder High». Die jüngste Arbeit, «Il giardino», ist typisch dafür. Lutz & Guggisberg haben sie dieses Frühjahr für die Collezione Maramotti in Reggio Emilia fertiggestellt. Sie besteht aus übermalten Fotografien, auf denen die Überreste einer zertrümmerten Schrebergartenanlage in der Zürcher Agglomeration zu sehen sind. Mit dazu gehören vier Skulpturen, die sie aus vor Ort gefundenen Materialien komponiert haben. «Zufall spielt dabei mit, es ist eine Mischung aus gelenktem Zufall und Arbeit.»

Nebst dem ökologischen spielt bei diesem Konzept ein künstlerischer Aspekt wesentlich mit, beteuert Andres Lutz. «Als Künstler muss man heute immer das Gefühl haben, man könne irgend etwas neu erfinden.» Das ist eine Illusion, denn «Kunst heisst immer auch Rezyklieren» - von Materialien ebenso wie von Vorbildern.

Das Gebrauchte und Naturwüchsige bildet eine Gegenkraft zu dieser oftmals geschmäcklerischen Jagd nach dem Neuen, mit dem Lutz & Guggisberg wenig anfangen können. Sie suchen lieber rastlos nach dem Archaischen, Turbulenten und Rohen, das in ihrer Kunst eine oft verblüffend feinnervige Form erhält. Die grandiose Werkgruppe «La grande invasion des peuples et des meubles» veranschaulichte es im Sommer 2017 in der Abteikirche von Bellelay auf kongeniale Weise.

So sehr Andres Lutz die kreative Zusammenarbeit liebt, so wichtig sind ihm die Solo-Performance und der direkte Draht zum Publikum geblieben. Es sind aufwändige Produktionen, die während Monaten entstehen, damit sie auf der Bühne subtil choreografiert und zugleich manchmal wie improvisiert wirken. «Ich mache meine Programme für Leute, die es auch mal als Lust empfinden, nicht permanent den Überblick zu haben, dafür am Ende einen umso tieferen.» Wenn das gelingt, ist es die wahre Lust.

«Auf der Bühne gebe ich alles.» Als frustrierend empfindet er es daher, wenn er im Nachhinein zuweilen bloss hört, er sei ein «lustiger Spinnsiech». Doch deswegen die Bühne aufgeben? Wenn einer wie Andres Lutz den Mainstream verweigert, hat er so etwas in Kauf zu nehmen.

Zum Schluss zitiert er aus dem Gedächtnis den Philosophen Hartmut Böhme: «Es ist nicht so, dass der Geist ewig lebt und der Körper stirbt, es ist umgekehrt.» Das klingt tröstlich für einen Künstler wie ihn, der abgestorbene Materialien zu neuem Leben erweckt.

Um fünf nach sieben geht das Gespräch in der Küche zu Ende.

Verfasser: Beat Mazenauer, sfd

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