Es riecht nach verbranntem Fleisch. Whoopi, eine dreijährige Französische Bulldogge, liegt bäuchlings auf dem Operationstisch in der Ennetseeklinik für Kleintiere in Hünenberg ZG.
Ihr muskulöser Körper ist schlaff von der Narkose, eine Schlaufe zieht ihren Kopf an der oberen Zahnreihe nach oben. Vor ihr steht Chirurg Alessandro Andreoni (44) und schneidet mit einem Laser Stücke aus Whoopis Rachen heraus – daher der Geruch.
Die Französische Bulldogge gehört zu den beliebtesten Rassen der Schweiz. Laut der Hundedatenbank Amicus, die alle in der Schweiz lebenden Hunde erfasst, steht der Frenchie, wie seine Fans ihn nennen, auf Platz neun der Rassen-Hitparade von 2018. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl Tiere verfünffacht auf mehr als 12'000 Stück.
Von den Hunden mit charakteristisch flachen Schnauzen hat sie den Mops und den Boxer bereits überholt und steht kurz davor, das gleiche mit dem Golden Retriever und dem Border Collie zu tun.
Das zeigt den massiven Trend hin zu kleinen Hunden, wie auch dem Chihuahua. Er ist zurzeit der am weitesten verbreitete Hund der Schweiz nach dem Mischling. Während die Chihuahuas vor allem mit Zahnproblemen kämpfen, ringt die Französische Bulldogge nach Luft.
Kurz vor ihrer Operation flitzte Whoopi noch grunzend durchs Wartezimmer. Ihr Besitzer, Automechaniker Remo Burkard (30) aus Hausen am Albis ZH, kraulte sie zum Abschied am Kinn und verlor dabei jegliche Gesichtsfarbe. Gut sieht er nicht, was im OP-Saal vor sich geht.
Katzen unterm Sauerstoffzelt, Hunde mit Epilepsie
Eine Praxisgehilfin rasiert gerade den buschigen Schwanz eines Monsters von einem Hund, an dem sich ein Tumor gebildet hat. In einer Ecke blinzelt eine Angorakatze mit Lungenproblemen unter einem durchsichtigen Sauerstoffzelt apathisch ins Kunstlicht.
Auf einer Decke zittert ein Mischling, der an Epilepsie leidet. Sein Anfall dauert schon mehrere Tage, in denen jemand neben dem Hund auf dem Boden knien muss. Wer sein Tier in diese Klinik bringt, will nur das Beste für es. Wenn es immer alle gut gemeint hätten mit Whoopis Rasse, wäre sie nicht hier.
Sie ist im Spital, weil die Menschen vor allem an ihrem Äusseren interessiert sind. Beim Anblick ihrer flachgedrückten Nase, der grossen Augen und der hohen Stirn geht vielen das Herz auf. Wenn sie hechelt, haben wir das Gefühl, sie würde lachen. Ihr Blick wirkt beleidigt und scheint uns sagen zu wollen: «Alle sind gemein zu mir. Aber nimmst wenigstens du mich in den Arm?»
Der Mops ist wie die Französische Bulldogge eine kurzköpfige Rasse und so etwas wie der älteste Modehund der Geschichte. Bereits vor 2000 Jahren war er der Liebling der chinesischen Kaiser, später entdeckten ihn die europäischen Königshäuser, wo er oft als Modell für Ölgemälde herhalten musste. Der bekannteste Mops-Liebhaber des deutschsprachigen Raums ist Komiker Loriot (1923–2011). Retro-Möpse, wie sie aus heutiger Sicht heissen, hatten relativ lange Beine und eine richtige Schnauze wie auf dem diesem Gemälde aus dem Jahr 1802. Jahrelange Überzüchtung hat diese Merkmale praktisch zum Verschwinden gebracht.
Der Mops ist wie die Französische Bulldogge eine kurzköpfige Rasse und so etwas wie der älteste Modehund der Geschichte. Bereits vor 2000 Jahren war er der Liebling der chinesischen Kaiser, später entdeckten ihn die europäischen Königshäuser, wo er oft als Modell für Ölgemälde herhalten musste. Der bekannteste Mops-Liebhaber des deutschsprachigen Raums ist Komiker Loriot (1923–2011). Retro-Möpse, wie sie aus heutiger Sicht heissen, hatten relativ lange Beine und eine richtige Schnauze wie auf dem diesem Gemälde aus dem Jahr 1802. Jahrelange Überzüchtung hat diese Merkmale praktisch zum Verschwinden gebracht.
Whoopis Proportionen gleichen denen eines kleinen Kindes und sind eine Folge von Überzüchtung. Nach ästhetischen Kriterien werden Tiere mit bestimmten äusserlichen Merkmalen so gekreuzt, dass diese sich verstärken.
Der Schädel der Französischen Bulldogge ist dadurch so zusammengequetscht, dass sie kaum mehr atmen kann und übertrieben hecheln muss, um ihre Körpertemperatur zu regulieren. Nach zwanzig Metern rennen macht Whoopi schlapp.
Deshalb verkürzt Herr Andreoni heute ihr Gaumensegel – der Teil im Rachen, an dem beim Menschen das Halszäpfchen hängt – und vergrössert ihre Nasenlöcher. Whoopi hat auch noch einen Nabelbruch, den er nähen, und einen Furunkel, den er entfernten muss.
Davor musste sie noch zum Allergietest, bei dem ihr eine Dermatologin 40 Stoffe injizierte. Zum Beispiel Spitzwegerich. Laut der Dermatologin werden in der Schweiz mehr Hunde einer Immuntherapie gegen Heuschnupfen unterzogen als Menschen. Es gibt auch Vierbeiner, die auf Hausstaubmilben allergisch sind und deshalb ein hypoallergenes Bettchen benötigen.
Kurzköpfige Hunde wie Whoopi haben wegen der Überzüchtung eine besonders empfindliche Haut und leiden zusätzlich an Augen- und Ohrenproblemen.
Bei einem selbst ist es immer etwas anderes
Die Nachfrage bestimmt bekanntlich das Angebot. Es stimme, dass man diese Hunde eigentlich nicht kaufen sollte, sagt Remo Burkard. Doch wie jeder Hundehalter nimmt er das, was er mit seinem Tier hat, als einzigartig wahr.
Für Hundehalter gibt es keine Beziehung zwischen «den Menschen» und «den Hunden», sondern immer nur eine Beziehung zwischen einem selbst und diesem einen Hund. Seinem.
Burkard sagt, Whoopi sei die Kleinste und Schwächste unter ihren Geschwistern gewesen. Er hat sie direkt bei einem Züchter gekauft. Whoopi habe «verschupft» gewirkt. «Ein Sorgenkind. Gerade deshalb habe ich mich sofort in sie verguckt.»
Ihre heutige Behandlung kostet rund 2500 Franken. Burkard schätzt, dass er in drei Jahren bereits 7000 Franken für die Gesundheit seines Sorgenkindes ausgab.
Die Zahl der Nasen- und Rachenoperationen an Französischen Bulldoggen hat laut Chirurg Andreoni extrem zugenommen. «Sie gehören fast schon zum guten Ton.» Rund 60-mal jährlich führt er das Standardprozedere durch.
Es gab eine Zeit, in der Hunde Häuser bewachen und Katzen Mäuse jagen mussten. Inzwischen sind sie zu vollwertigen Familienmitgliedern aufgestiegen. Ihre Besitzer sind bereit, viel Geld für ein gutes und langes Leben ihrer Lieblinge auszugeben. Laut den neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik investieren die Schweizer jährlich 1,3 Milliarden Franken in ihre Haustiere, davon rund eine halbe Milliarde für Tierärzte und andere Dienstleistungen.
Bei der grössten Tierhandlungskette der Schweiz, Qualipet, beobachtet man eine steigende Nachfrage nach gesamtheitlichen Gesundheitsprodukten. Besonders beliebt seien Futterzusätze mit Cannabinoiden. Qualipet hat zum Beispiel ein «Harmony CBD Hanf Öl» für Hunde und Katzen im Sortiment, das für tierische Entspannung sorgen und Schmerzen lindern soll.
Hunde-OPs am offenen Herz, massgefertigte Hüftprothesen
Um den Ansprüchen der Haustierhalter gerecht zu werden, bietet die Chirurgie immer aufwendigere Eingriffe an. Zum Beispiel Hüftoperationen, bei denen massgeschneiderte Prothesen aus dem 3D-Drucker zum Einsatz kommen. Bei vier Beinen kostet das bis zu 20 000 Franken.
Der bis heute spektakulärste Eingriff ist eine Herzklappenoperation für Hunde am offenen Herz, mit dem sich ein japanischer Chirurg einen Namen macht. Für sie braucht es ein Team von rund zehn Leuten. Kostenpunkt: bis zu 40 000 Franken. Andreoni hat schon Meerschweinchen mit Oberarmbrüchen operiert. Auch Schildkröten kommen heute unters Messer.
Was sagt die Ethik dazu, dass Menschen Tiere teuren Behandlungen unterziehen? Markus Huppenbauer (60), Professor an der Universität Zürich, sieht darin kein Problem, solange das Tierwohl im Vordergrund steht und der Besitzers nicht nur daran interessiert ist, seinen uralten Hund einfach noch ein Jahr bei sich zu haben.
Problematisch werde es, wenn jemand das Gefühl habe, er müsse einem Tier helfen – egal, ob es ihn in eine finanzielle Notlage bringt. Oder umgekehrt jemand das Gefühl habe, es gebe einen Anspruch darauf, dass einem Haustier geholfen werde – koste es, was es wolle. «Bei Menschen ist es aus moralischer Sicht problematisch, aus Kostengründen auf eine lebensrettende Massnahme zu verzichten, bei Tieren nicht.»
Huppenbauer befasst sich seit vielen Jahren mit Tierethik. Einen Hund zu überzüchten, betrachtet er wegen des Leidens der Tiere als ethisch nicht vertretbar. Genauso wie das Kaufen eines solchen Hundes. Aber: «Hat man ihn einmal, muss der Halter ihm ein möglichst gutes Leben ermöglichen.» Der Mensch habe Hunde und Katzen zu Hausgenossen gemacht. «Jetzt hat er auch die Verantwortung, sich um sie zu kümmern.»
Die Frage, ob Zehntausende Franken für eine Operation an einem Tier nicht etwas viel seien, können Tierärzte nicht nachvollziehen. Aus ihrer Sicht sind die Eingriffe sogar günstig. Die Argumentation: Operationen kosten beim Menschen zehnmal so viel, obwohl sie sich aus technischer Sicht nicht gross von denen am Tier unterscheiden.
Manchmal lohnt sich eine Versicherung, die zum Beispiel Tierarztbesuche und Behandlungen von chronischen Krankheiten deckt. Tierversicherungen zahlen nur in spezifischen Fällen und beteiligen sich nicht an ärztlichen Kosten, die als Folge von Überzüchtung anfallen. Ihre extremste Form, die Qualzucht, ist laut Tierschutzgesetz verboten.
Laut der Schweizerischen Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK) sind die Regeln, die Qualzucht verhindern sollen, nicht effizient genug. Es wird lediglich verlangt, dass aus einer bestimmten Population die besten Tiere für die Reproduktion verwendet werden. Viele Hunde kommen per Import in die Schweiz oder stammen von unseriösen Händlern im Internet.
Firmen sollen nicht mit Möpsen werben
Neu hat die SVK begonnen, eine Pet-Health-Datenbank aufzubauen, in der Tierärzte die operierten Tiere registrieren sollen. So will die Branche herausfinden, wie viele überzüchtete Tiere es in der Schweiz gibt und woher genau sie kommen.
Einen überzüchteten Hund zu kaufen, ist erlaubt. Deshalb setzt die Vereinigung mit einer Kampagne darauf, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Dazu gehört, Brands abzumahnen, die mit überzüchteten Möpsen ihre Produkte bewerben.
Die SVK will betroffene Hunderassen wie die Französische Bulldogge nicht ausrotten, sondern die Menschen dazu bringen, Frenchies mit längeren Schnauzen zu kaufen, die nach wie vor existieren. Frenchies, die ohne Operation atmen können.
Das dürfte schwierig werden. Gemäss einer repräsentativen Studie aus Dänemark aus dem Jahr 2017 kaufen Hundehalter Französische Bulldoggen gerade wegen der Eigenschaften, die angezüchtet sind.
Sie schlafen im Bett und schmusen wie Katzen
Dazu gehören neben dem Äusseren auch die verschmuste Art der Tiere und die Geräusche, die sie von sich geben. Whoopi schläft im Bett ihres Besitzers und dessen Freundin. Remo Burkard sagt, dass ihn Whoopis Schnarchen irgendwie beruhige und dass er manchmal das Gefühl habe, eher eine Katze zu besitzen.
Für die dänische Studie, durchgeführt an der Universität Kopenhagen, haben Forscher rund 800 Halter von vier verschiedenen Rassen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Halter von kurzköpfigen Französischen Bulldoggen eine engere Bindung zu ihren Hunden haben als alle anderen Halter.
Deshalb hätte Burkard auch nie einen anderen Hund gewollt als Whoopi, die jetzt langsam aus der Narkose erwacht. In ein paar Tagen wird sie so fit sein, wie das für ein Sorgenkind möglich ist.