Ingwer, die Diva unter den Exoten
Stephan Müller steht zufrieden in seinem Gewächshaus, hinter ihm seine geliebten Pflanzen. Er ist der Exot unter den Bauern. Nicht nur mit seinem pinken Karohemd, den grauen Trekkinghosen und dem Strohhut tanzt er aus der Reihe, auch seine Produkte sind aussergewöhnlich. Stolz hält er etwas in die Höhe. Die Pflanze riecht wie Ingwer, sieht aber definitiv nicht so aus. Wir kennen Ingwer als harte, kleine, schrumpelige Knolle. Ein hässliches Ding. Seine Knollen hingegen haben lange grüne Stängel, eine weiss-violette Farbe und eine glatte, fast glänzende Oberfläche. «So sieht frischer Ingwer aus», erklärt der Mann vom Fach. «Ingwer, den die Leute im Laden kaufen, ist getrocknet, importiert aus China oder Peru.» Bauer Müller will das ändern.
Der 60-Jährige ist Biobauer aus Steinmaur ZH und einer der wenigen, die die gesunde Wunderwurzel in der Schweiz anbauen – ein Nischenprodukt also. Gefunkt hat es auf einem Bauernmarkt in Portland, Oregon. Ein Ami hielt ihm frischen Ingwer unter die Nase. Sofort war der Zürcher fasziniert. Und inspiriert. Die Winter dort sind kalt, und die Sommer warm, ähnlich wie in der Schweiz. Es sollte also kein Problem sein, die Mutterknollen auf seinem Hof zu züchten, aufzuziehen und im Frühling sorgfältig in die Erde zu setzen.
Im Gewächshaus funktioniert's
Doch der Start war harzig: Zwei Jahre versuchten der 60-Jährige und sein Sohn, das exotische Gewürz im Freien anzubauen. «Ein Ding der Unmöglichkeit! Ingwer ist eine Diva, die ein konstantes Klima mag.» Deshalb haben es die Müllers im Gewächshaus versucht. Dort können sie Feuchtigkeit und Temperatur steuern. Und siehe da: Nach sechs Jahren wachsen heute auf einer Fläche von 1600 Quadratmetern gar zwei Sorten Ingwer, eine asiatische und eine südamerikanische. Sie bringen der Familie jährlich bis zu fünf Tonnen Saft und fünf Tonnen Frischingwer ein. Auch wenn Alnatura, Biopartner der Migros, die Produkte von Müller schweizweit anbietet, ist es dem Bauern wichtig, dass vor allem die kleinen Bioläden seinen Ingwer im Sortiment haben. Somit ist auch das feine Netz abgedeckt. Einen grossen Teil der Ernte verkauft die Familie aber in ihren eigenen Hofläden in Steinmaur und Mattenhof sowie das ganze Jahr über ihren Online-Shop.
Viele Leute wissen nicht, dass gewisse exotische Lebensmittel auch in unserem Land wachsen, weshalb die Importmengen aus dem Ausland noch immer riesig sind. Der Ingwerfan ist Schweizer Produzent und will Schweizer Ware verkaufen. Das sagt er seinen Kunden auch direkt: «In meinen Produkten ist nichts drin ausser Natur.»
Der Landwirt möchte vermehrt auf Nischenprodukte setzen – und hat sogar schon ein Auge auf eine neue Exotin geworfen: Kurkuma. Er zeigt auf eine Pflanze, deren Blätter an Bananenbäume erinnern. «Das ist der kleine Bruder von Ingwer.» Das asiatische Gewürz wird auch Gelber Ingwer genannt und bildet die Basis von Curry. Auch wenn Müller zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau sagen kann, ob die Ernte gelingen wird, stehen die Chancen gut, dass wir in ein paar Jahren mit Schweizer Curry kochen können.
Süsskartoffel, der Hipster unter den Gemüsesorten
Gekocht, gegrillt oder frittiert – die Süsskartoffel ist ein Gaumenschmaus und beliebter denn je. 3500 Tonnen wurden im letzten Jahr importiert, das Dreifache wie noch 2013, und die Zahlen steigen wohl weiter. Höchste Zeit also, das süsse Wurzelgewächs, das hauptsächlich aus den USA importiert wird, auch in der Schweiz anzubauen. Genau dies macht der Bauer Matthias Hagen aus Wilen bei Neunforn TG seit drei Jahren. «Ich habe gemerkt, dass die Bevölkerung das Produkt will, deshalb wagte ich, in das Geschäft einzusteigen», begründet der 30-Jährige den Anbau der Spezialkultur.
Ein Risiko, denn die Süsskartoffel ist kein einfaches Kind. Sie kann Temperaturen unter zehn Grad nicht ausstehen, weshalb die Zeitspanne für den Anbau sehr klein ist. Anfang Juni werden die Knollen gepflanzt. Bis im Oktober müssen die Wurzeln schon gross genug sein, um sie zu ernten. «Der Arbeitsaufwand ist riesig, wir machen alles von Hand. Bei 200 Aren braucht das viel Zeit und Helfer. Wir tüfteln aber an der Technik.» Doch die Mühe lohnt sich, denn an Süsskartoffeln verdient man schliesslich mehr als mit bestehenden Ackerkulturen wie Kartoffeln oder Karotten. Bei diesen herrscht ein extremer Preisdruck. «Mit einem Produkt wird erst dann richtig Geld verdient, wenn es beim Bauern auf dem Wagen liegt und er es weitergibt.»
Schweizer Bauern müssen umsatteln
Deshalb hat die Familie Hagen ein Produkt gesucht, bei dem auch die Verarbeitung auf dem Betrieb stattfindet und das sich gut vermarkten lässt. Ihre Süsskartoffeln lagert sie nach der Ernte für einige Wochen bei rund 27 Grad. «So werden sie noch etwas süsser, und es bildet sich eine bessere Haut.» Bis zu einem Jahr kann man das Gemüse lagern. Die verschiedenen Sorten verkaufen die Hagens an Restaurants und Volg-Läden in der Umgebung. Seit dem letzten Jahr ist auch die Migros Ostschweiz ein Abnehmer der Süsskartoffeln – ein enormer Erfolg für den Thurgauer Landwirt.
Man könne von den Importen aus dem Ausland aber auch profitieren: Je grösser diese sind, desto mehr Leute lernen ein Produkt kennen und fragen danach. «Wir Bauern müssen daraus einen Nutzen ziehen.» So hat der Bauer mit den Süsskartoffeln eine ergänzende Kultur zu seinen bestehenden geschaffen. Schon seine Vorfahren haben vermehrt auf Nischen gesetzt, weshalb auf seinen Äckern auch Aprikosen und Spargeln spriessen.
Die klimatischen Bedingungen haben sich geändert, heute seien sie optimal für Exoten wie Süsskartoffeln. Auch in Zukunft werden sich Bauern dem Klima anpassen müssen. Man müsse aber vor allem die Augen offen halten für Innovationen. «Der Bauer ist heute Unternehmer und muss mitdenken.» Hagen sieht als langfristiges Ziel, die Wertschöpfung einzelner Produkte in der Schweiz zu behalten, und hofft, dass eines Tages nur noch einheimische Lebensmittel verkauft werden. «Da weiss man einfach, was drinsteckt.»
Goji-Beere, die Königin unter den Superfoods
«Die Zeiten sind vorbei, dass man als kleiner Landwirt den Strukturwandel aufhalten kann mit Jammern. Heute muss man die Nischen selbst suchen und dadurch auch ein Risiko eingehen», sagt Toni Büchler aus Altbüron LU. Ein solches Risiko sind er und seine Frau Fabienne diesen Frühling eingegangen, als sie Goji-Beeren anpflanzten. Sie wussten nicht, ob die Trendbeere aus China in ihrem Garten wächst. «Wir haben ab und zu solche Ideen und machen einfach, ohne auf die anderen zu hören.»
Familie Büchler will mit Nischenprodukten erfolgreich sein. Ihr Betrieb in der Nähe von Willisau ist zu klein, um in grossen Massen zu produzieren. «Wir möchten möglichst viel Wertschöpfung auf den Betrieb holen.» Dies haben die Büchlers bereits mit anderen Kulturen geschafft. Nebst Chili und Salbei haben sie nun mit ihren Goji-Beeren ein weiteres Standbein aufgebaut.
Auf 500 Quadratmetern wachsen beim Hausberg «Isehut» rund 300 Pflanzen. Die leicht säuerlichen Beeren, die wegen ihrer gesunden Inhaltsstoffe sehr gefragt sind, werden allesamt von Hand abgelesen. «Eine enorme Arbeit, aber wir haben viel Spass», sagt Büchler. Dieses Jahr wird er 500 bis 600 Kilo Beeren verkaufen können, getrocknet direkt ab Hof oder frisch gepflückt auf dem Markt in Willisau.
Importe sind nicht per se schlecht
Die Verkaufszahlen sprechen für sich: Goji-Beeren sind im Trend. Sie zählen zu den Superfoods. Superfoods sind nährstoffreiche Lebensmittel, die für Gesundheit und Wohlbefinden als besonders förderlich erachtet werden. Den Konsumenten ist aber nicht bewusst, dass die Frucht auch in der Schweiz wachsen kann. «Sind das wirklich Goji?», war bei den ersten reifen Früchten die Frage. «Einige glauben es heute noch nicht.» Die Konsequenz: enorme Importe und Bauern, die auf ihren Produkten sitzen bleiben. Importe machen laut dem 33-Jährigen nur Sinn, wenn der Schweizer Markt für eine bestimmte Ware noch nicht gross genug ist. Der Markt zeigt den Landwirten, welche Nahrungsmittel momentan gefragt sind.
Die Büchlers waren mit Goji-Beeren nicht sehr vertraut. Das Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung in Hohenrain habe sie auf die Exoten aufmerksam gemacht. Dort erkundigt sich die Familie immer wieder nach neuen Ideen. Nach kurzer Recherche stellte sie fest, dass die Pflanze sehr spannend ist und es fast keine Bauern gibt, die es mit der Chinesin aufnehmen.
Auf einer kleinen Fläche haben die Büchlers dieses Jahr begonnen. Nun planen sie, ihre Anlage weiter auszubauen. Probleme bereiten ihnen nur die vielen Mäuse. Die mögen den weichen, nährstoffreichen Boden. Dennoch gedeihen die roten Wunderfrüchte prächtig. Deshalb wollen sie bald auch an Grossabnehmer verkaufen. «Aber das Ziel ist es, möglichst viel weiter ab Hof zu verkaufen», sagt Büchler und schiebt sich genüsslich eine weitere Goji-Beere in den Mund.