Der junge Mann stellt sein Velo vor dem Stall ab. Jonas Burri ist 24 Jahre alt, Student und Teilzeitbauer. Er und seine WG-Genossinnen sind Mitglieder des Radiesli-Vereins, der hier arbeitet: auf dem gleichnamigen Bauernhof im bernischen Worb.
Einmal in der Woche holt Burri eine Tasche frisch geerntetes Biogemüse ab. Hätte er es im Supermarkt in den Wagen gelegt, wüsste er kaum, wie viel Arbeit dahintersteckt. Hier aber hat er für die Kartoffeln und Rüben, Tomaten und Salate selbst in der Erde gewühlt, geschwitzt, gejätet und geerntet, verpackt, verteilt – und bezahlt.
Für ihr Gemüse-Abo packen Radiesli-Mitglieder an vier Tagen im Jahr selbst mit an und beteiligen sich mit 1100 Franken an den Betriebskosten des Hofs. Ihr Wochenlohn ist eine Ladung frischer Naturprodukte.
Gemüse mit Schönheitsfehlern
Sind die Bedingungen gut, ist Burris Tasche übervoll, spielt das Wetter nicht mit, muss er mit weniger Gemüse zurechtkommen. Es ist auch mal Grünzeug darunter, das es im Supermarkt nicht in die Regale schaffen würde. Aber hier stört sich niemand an Schönheitsfehlern.
Familien, ältere Paare oder Studenten wie Burri machen bei dem Projekt mit. Die etwa 300 Vereinsmitglieder teilen sich Kosten, Arbeit und Ertrag des Hofs – 60 Biogemüsearten, Fleisch von der behornten Mutterkuhherde, Eier und Getreide – mit der Bauernfamilie Töndury und drei weiteren Bäuerinnen. Was angebaut wird, entscheiden alle gemeinsam.
Solidarische Landwirtschaft holt die Konsumenten aufs Feld. «Uns passt das. Wir sind schon seit ein paar Jahren dabei», sagt Jonas Burri, während er die Taschen auf den Gepäckträger schnallt. «Ich würde es weiterempfehlen!»
Manchmal arbeiten dreissig Vereinsmitglieder zusammen auf dem Feld, heute sind nur zwei Frauen zum Befüllen der Gemüsetaschen da. Sie legen Radiesli, Salat, Zucchetti, Endivien und Chinakohl in die Säcke.
«Klar ist die Mitarbeit manchmal anstrengend», sagt die eine, während sie einen Bund Radiesli aus der Kiste fischt. «Aber man ist umso dankbarer, dass man nur ab und zu helfen muss und doch von allem profitieren kann.» Am Anfang habe sie etwas Mühe damit gehabt, dass es bloss das gibt, was gerade auf dem Feld geerntet wird. Aber mittlerweile sei sie dadurch beim Kochen erfinderisch geworden. Die andere Frau fügt hinzu: «Meine Kinder sollen sehen, wie viel Arbeit es braucht, bis etwas auf dem Teller liegt.»
15 Projekte in der Deutschschweiz
Damit auf dem Hof mit den vielen Teilzeitbauern alles rundläuft, gibt es die Familie Töndury. Ursina und Niculin Töndury (beide 33) leben mit ihren zwei kleinen Buben auf dem Landwirtschaftsbetrieb. Er ist Bauer, sie landwirtschaftliche Mitarbeiterin. Unterstützt werden sie von einer weiteren Bäuerin und zwei Gemüsebäuerinnen. Angestellt sind sie alle von der Radiesli-GmbH.
Vor drei Jahren suchten die Mitglieder einen Bauern, der den Worber Hof zusammen mit dem Verein pachten möchte. Niculin Töndury fühlte sich berufen. Nun arbeiten und wohnen die Töndurys hier. Gerade ist die vierköpfige Familie zurück aus den Frankreich-Ferien. Die dürfen sie sich auch während der Ernte gönnen. Für eine konventionelle Bauernfamilie wäre so etwas undenkbar. Für die Töndurys ist es dank der Mitarbeit der Vereinsmitglieder völlig normal.
Der Radiesli-Verein ist Teil einer Bewegung, die es zwar schon länger gibt, die nun aber immer populärer wird. In der Romandie entstanden bereits Ende der 70er-Jahre die ersten Betriebe. Mittlerweile gibt es dort über 30 Projekte, in der Deutschschweiz sind es etwa 15. Und es werden immer mehr.
Meist sind es Genossenschaften, die auf einem Bauernhof ein Stück Land pachten und dort Gemüse anbauen. Vereinzelt gibt es auch Projekte mit Käse, Brot oder Wein. 2015 fand in der Schweiz erstmals ein Lehrgang statt, organisiert von der Kooperationsstelle für solidarische Landwirtschaft. Der Radiesli-Hof ist der erste, bei dem das Konzept auf dem ganzen Betrieb umgesetzt wird.
Kleine Betriebe stärken
Neue Ideen für die Landwirtschaft sind gefragt. Denn die Zahl der Bauernhöfe in der Schweiz hat sich seit 1980 halbiert. Jeden Tag geben etwa fünf Landwirte auf, weil das Einkommen zu gering oder kein Nachfolger in Sicht ist.
Ist solidarische Landwirtschaft, wie sie auf dem Radiesli-Hof praktiziert wird, also die Zukunft? Martin Brugger, stellvertretender Departementsleiter beim Schweizer Bauernverband, ist skeptisch: «Für viele Konsumenten bleibt der Gang in den Supermarkt die einfachere Methode, sich zu ernähren.»
Im Einzelfall könnten solche Projekte aber helfen, kleine Betriebe zu stärken und zu retten, sagt er. Interessant findet Brugger die solidarische Landwirtschaft vor allem aus einem anderen Grund: «Sie ist für die Landwirtschaft eine grosse Chance, um der Bevölkerung zu zeigen, wie viel Arbeit und Herzblut in einem Lebensmittel stecken.»
Bern
Radiesli, Worb: Gemüse, Getreide, Eier und Fleisch
Aargau
Biocò, Gebenstorf: Gemüse
Basel-Landschaft
Spitzenbühl, Liesberg: Milch und Käse
Schwyz/Zürich
Wädichörbli, Horgen bis Pfäffikon: Gemüse
Zürich
Ortoloco, Dietikon: Gemüse, bald auch ganzheitlicher Solawi-Hof mit mehr Produkten.
Pflanzplatz Dunkelhölzli, Zürich-Altstetten: Gemüse.
Gmüesabo, Raum Winterthur: Gemüse
Bern
Radiesli, Worb: Gemüse, Getreide, Eier und Fleisch
Aargau
Biocò, Gebenstorf: Gemüse
Basel-Landschaft
Spitzenbühl, Liesberg: Milch und Käse
Schwyz/Zürich
Wädichörbli, Horgen bis Pfäffikon: Gemüse
Zürich
Ortoloco, Dietikon: Gemüse, bald auch ganzheitlicher Solawi-Hof mit mehr Produkten.
Pflanzplatz Dunkelhölzli, Zürich-Altstetten: Gemüse.
Gmüesabo, Raum Winterthur: Gemüse