Schweizer Taliban-Geiseln erleben Drama ein zweites Mal
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Premiere am ZFF:Schweizer Taliban-Geiseln erleben Drama ein zweites Mal

Morgane Ferru (30) spielt die Taliban-Geisel Daniela Widmer (38) im Film «Und morgen seid ihr tot»
Bei der ZFF-Premiere hatte sie Herzrasen

Sie war 259 Tage in Gefangenschaft der Taliban. Das Schicksal von Daniela Widmer (38) wurde verfilmt – in dieser Woche war Premiere. Blick hat Widmer getroffen, zusammen mit Schauspielerin Morgane Ferru (30), von der sie gespielt wird.
Publiziert: 25.09.2021 um 00:33 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2021 um 06:17 Uhr
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Die ehemalige Geisel Daniela Widmer (r.) und Schauspielerin Morgane Ferru: Sie spielt Widmers Rolle im Film «Und morgen seid ihr tot».
Foto: Philippe Rossier
Katja Richard

Das Schicksal der Frauen in Afghanistan geht ihr nahe. Denn Daniela Widmer (38) hat am eigenen Leib erfahren, was es heisst, unter deren Herrschaft zu leben – als Geisel! Zehn Jahre ist es her, seit sie und ihr damaliger Freund David Och (40) in Pakistan entführt und in die Taliban-Hochburg Wasiristan verschleppt wurden. «Die Frauen der Taliban lebten eigentlich auch wie Gefangene. Ihr Leben spielte sich in einem Innenhof ab, sie hatten keine Rechte, keine Bildung, keine Freiheit und waren ihren Männern ausgeliefert. Ich habe miterlebt, wie sie geschlagen wurden.»

Widmer wurde in ihrer Gefangenschaft nicht misshandelt: «Das ist mir zum Glück erspart geblieben. Und sie haben respektiert, dass ich Davids Freundin war.» Traumatisch waren die achteinhalb Monate in Gefangenschaft auch so: tägliche Todesangst, zu wenig Essen, schlechte Hygiene und die Ungewissheit, ob und wann sie wieder freikommen würden. Nach 259 Tagen gelang die Flucht – sie sind die ersten zivilen Taliban-Geiseln, die das geschafft haben. Das Erlebte hatte Widmer in einem Tagebuch festgehalten, das von Regisseur Michael Steiner (50) verfilmt wurde und diese Woche am Zurich Film Festival Premiere feierte.

Angst vor Reaktionen

Im Publikum sass auch Widmer. Einen Tag danach trifft Blick die ehemalige Geisel sowie Schauspielerin Morgane Ferru (30) gemeinsam zum Gespräch. Widmer sagt: «Es war anders als erwartet, obwohl ich mich gut darauf vorbereitet hatte. Zwischendurch musste ich aus dem Kinosaal, ich hatte solches Herzrasen und konnte kaum mehr atmen.» Fünfmal hatte sie den Film vorher gesehen. «Aber im Kino mit dieser Lautstärke und all den Menschen. Es war einer meiner härtesten Momente seit unserer Rückkehr, da ist so vieles wieder hochgekommen.» Nicht nur, weil der Film die Entführung wieder nahebrachte. Da war auch die Angst vor den Reaktionen. Denn bei ihrer Rückkehr schlug den beiden Geiseln Kritik entgegen – etwa ob sie mit ihrer Reiseroute ihre Entführung mitverschuldet hätten. Das Kinopublikum reagierte jedoch mit stehendem Applaus. Ob sie einer Verfilmung heute nochmals zustimmen würde, darüber ist sie sich dennoch nicht sicher: «Positiv ist, dass der Film unsere Sicht widergibt, und es ist auch eine Möglichkeit für meine Familie, besser zu verstehen, was uns passiert ist.»

Für Schauspielerin Ferru war es wichtig, der Geschichte gerecht zu werden: «Daniela und ich haben uns sehr früh getroffen und sind seither regelmässig in Kontakt.» Ihr war es wichtig, sich so gut es geht, in Daniela hineinzuversetzen. «Aber ganz nachfühlen kann man ein solches Schicksal wohl nie.» Im Film kommt auch heraus, wie anders Widmer die Gefangenschaft als Frau erlebt hat. «In gewisser Weise hatte ich es vielleicht einfacher als David», sagt sie. «Ich konnte ihm einen Teil meiner Angst abgeben. Das hat ihn viel Kraft gekostet. Er musste härter sein, geradestehen, weniger Emotionen zeigen und durfte nicht weinen.» Sie musste immer ein Kopftuch tragen: «Die Taliban wussten, dass ich das nicht mochte. Dafür mussten sie sich an eine Frau gewöhnen, die schreiben kann. Mit der Zeit gab es auch eine Art Vertrauen, unser Entführer gab mir sogar die Hand – aber nur durch ein Stück Stoff hindurch.»

Rückkehr der Taliban überrascht nicht

In den letzten Wochen hat Widmer gebannt die Nachrichten aus Afghanistan verfolgt. Die Rückkehr der Taliban hat sie nicht überrascht: «Es war klar, was kommt, wenn die Amerikaner abziehen.» Ihre Entführer hätten schon vor zehn Jahren die Absicht geäussert, nach Afghanistan zurückzukehren – dies haben sie nun offenbar getan. Widmer sagt: «Ich habe auf den TV-Bildern einen der Entführer erkannt.»

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