Modernes Marketing statt Schmuddel-Image
Die neue Aura der Esoterik

Der Tiroler Autor und Psychologe Johannes Fischler (40) hat das Buch «New Age – Esoterik 2.0. Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt!» (Molden Verlag) geschrieben. Er warnt vor einem neuen Multi-Guru-Netzwerk.
Publiziert: 04.05.2018 um 23:42 Uhr
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Aktualisiert: 14.05.2019 um 12:22 Uhr
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Reinigung fürs Heim: Ein solcher «Orgonit» kostet 250 bis 500 Franken. Für weitere 2000 Franken lässt man ihn sich in Haus und Wohnung installieren, wo er laut Richard Veron (Bild) einen «Kraftort» bildet, der negative Strahlungen, Elektromog oder die Strahlung einer Wasserader absorbiert.
Foto: Siggi Bucher
Christiane Binder

Rund 150 Aussteller, Sprechstunden, Vorträge, Meditationen, Konzerte – zum 30. Mal öffnete gestern Abend die Esoterik-Messe Lebenskraft in den Zürcher Messehallen. Mit rund 6000 Besuchern ist sie die grösste Esoterik-Veranstaltung der Schweiz. «In unserer eher kopflastigen Welt besteht auch ein Bedürfnis nach ganzheitlichen Erfahrungen, Mystik, Religion im weitesten Sinne», sagt Gründerin Angelika Meier. Was die Risiken und Nebenwirkungen der Esoterik sind, erklärt der Psychologe Johannes Fischler. 

BLICK: Herr Fischler, wie sind Sie auf das Thema Esoterik gekommen?
Johannes Fischler: Durch ein Paar im Freundeskreis. Bei diesen Leuten, beide Anfang 40, hat es harmlos angefangen mit Yogaübungen. Innerhalb von zwei Jahren sind sie abgedriftet in eine Scheinwelt und haben ihre gesamten Ersparnisse – 40'000 Franken – für Engelsfigürchen, Aura-Sprays, Engelsseminare und anderes ausgegeben. Sie sind mittlerweile weggezogen, wir haben keinen Kontakt mehr. Mich hat besonders verstört, dass da kein spezieller Guru am Werk war. Diese Leute wurden von der esoterischen Szene verführt.

Ist Esoterik tatsächlich gefährlich?
Das Riskante daran ist, dass es heute ein riesiges Angebot gibt. Der Einstieg kann an der nächsten Hausecke lauern. Durch eine «Engelsessenz» aus der Apotheke, durch einen Handaufleger, was auch immer. Das Problem ist das Ideal des Esoterikers. Er strebt nach immerwährender Ausgeglichenheit, totaler Harmonie und innerer Reinheit. Die ganz normalen Gefühle, die jeder empfindet, wie Wut, Angst und Zweifel, darf er an sich selbst nicht mehr wahrnehmen – er verschiebt sie nach draussen. Dort haften sie als «schlechte Energien» am Umfeld, das als immer feindlicher empfunden wird. Man umgibt sich nur noch mit Menschen der gleichen Wellenlänge, bucht immer mehr Reinigungsseminare und verfällt in eine energetische Paranoia.

Warum sind heute so viele Menschen anfällig dafür?
Wir leben in einer Wellnesswelt. Wer sich und seine Gesundheit balsamiert, ist quasi ein guter Mensch. Die Beschäftigung mit der eigenen Befindlichkeit eignet sich wunderbar als Mittel, sich auf narzisstische Weise ausschliesslich mit sich selbst zu beschäftigen. Trendforscher reden von der «Verkindlichung der Gesellschaft»: Es werden Spielkonsolen für 40-Jährige entwickelt, 20 Prozent der Kuscheltiere werden für und von Mittdreissigerinnen gekauft. Ein Fünftel der Babynahrung wird von Erwachsenen konsumiert. Esoterik bietet eine kuschelige Welt voller Liebe, ein Bombardement mit Licht und Liebe – sie verzaubert, macht Erwachsene wieder zum Kind, oder treffender – zum Kleinkind.

Was verstehen Sie unter Esoterik 2.0?
Esoterik 1.0 – das ist die Old School der Schamanen, der Hexengeschichten, der Wünschelrutengänger und Astrologen. Auch sie verkauft uns eine wiederverzauberte Welt, jedoch meistens behaftet mit einem gewissen Schmuddel-Image. Bei Esoterik 2.0 haben wir es mit modernem Marketing zu tun. Clevere Geschäftsleute bieten Erleuchtungs- und Lichtseminare wie «Wege ins Licht» via Zahl-Abo übers Internet an. Kunden folgen ihnen über Monate, wenn nicht Jahre über sämtliche Stufenleitern der Selbstmanipulation. Relativ rasch gibts begleitend die ersten Energie-Heiler-Zertifikate und Diplome, mit denen man dann selbst als kleiner Guru weitere Schüler anwerben darf. Am Ende erhalten Sie ein Zertifikat und sind selbst «Lehrer». Über dieses Pyramidensystem lassen sich weitgehend unkontrolliert Millionen verdienen. Das Multi-Guru-Netzwerk ersetzt die Sekte von früher. 

Ist der Besuch von Esoterik-Messen also gefährlich?
Nicht für den, der sich das Angebot kritisch und mit offenen Augen anschaut. Wie wirkt das auf mich? Was macht es mit meiner Psyche? Wir können lernen, unseren Verstand nicht unterwandern zu lassen.

Kenner und Kritiker

Johannes Fischler (40) ist Psychologe und beobachtet die Esoterikszene seit rund zehn Jahren. Er ist Autor des Buchs «New Cage: Esoterik 2.0», das sich kritisch mit den Auswüchsen des Business auseinandersetzt. Esoterik, diagnostiziert er, ist von einer Randgruppenerscheinung zum einem Massenphänomen geworden. Er schätzt den Esoterikmarkt im deutschsprachigen Raum auf mindestens 25 Milliarden Franken. Fischler lebt im Tirol.

Schaut sich das Esoterik-Business kritisch an: Johannes Fischler, Psychologe und Buchautor.
ZVG

Johannes Fischler (40) ist Psychologe und beobachtet die Esoterikszene seit rund zehn Jahren. Er ist Autor des Buchs «New Cage: Esoterik 2.0», das sich kritisch mit den Auswüchsen des Business auseinandersetzt. Esoterik, diagnostiziert er, ist von einer Randgruppenerscheinung zum einem Massenphänomen geworden. Er schätzt den Esoterikmarkt im deutschsprachigen Raum auf mindestens 25 Milliarden Franken. Fischler lebt im Tirol.

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