Werbeikone und Sammlerin Doris Gisler Truog (90)
Was sie tut, tut sie mit Hut

Sie leitete eine Werbeagentur, als ­weibliche Chefs eine Sensation waren, und verantwortete die Abstimmungskampagne für das Frauenstimmrecht. Besuch bei Doris Gisler Truog (90), der leidenschaftlichsten ­Hutträgerin der Schweiz.
Publiziert: 04.05.2018 um 21:52 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 00:00 Uhr
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90 ist das neue 60: Gisler Truog in ihrem Hutzimmer in Meilen am Zürichsee.
Jonas Dreyfus

Doris Gisler Truog erinnert sich, wie man ihr in einem Pariser Restaurant einst applaudierte. Sie trug – wie immer – einen Hut, als sie hübsch zurechtgemacht vom ersten Stock die Treppe hinunterstieg. Unten klatschten die Gäste und lächelten sie an. «Nicht schlecht für ein Zürcher Meitli, oder?»

Ein Mädchen ist sie nicht mehr. Die leidenschaftlichste Hutträgerin der Schweiz feierte Anfang Jahr ihren 90. Geburtstag. Zu ­Berufszeiten war sie eine Pionierin, leitete von den 50er- bis 80er-Jahren Gisler & Gisler, die damals grösste Werbeagentur der Schweiz. Zuerst zusammen mit ihrem ­damaligen Mann, nach dessen Tod allein.

Dass sie als Frau nicht am Herd stand, war an sich schon aussergewöhnlich. Ihre Kampagne fürs Frauenstimmrecht machte sie schliesslich zu einer wichtigen ­Figur im Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Ihre Taktik: Die männlichen Wähler freundlich ansprechen. «Auf die kämpferische Art hatten wir es oft vergeblich probiert.» Auf dem Plakat der Kampagne streckte eine männliche Hand einer Frau einen Blumenstrauss entgegen, darüber stand von einem Herzen umfasst der Slogan «Den Frauen zuliebe – ein männliches JA».

Nein, das Tragen eines Huts sei für sie kein feministisches Statement, sagt Gisler Truog. Auch kein Zeichen der Macht, wie das in den USA üblich war, wo Frauen in führender Position im Büro ­einen Hut trugen. «Ich fühle mich einfach hübsch damit.»

Ein Hut braucht Mut –Mama hats vorgemacht

Ein Hut verbessere die Haltung, weil man sich automatisch gerade halten müsse, und stärke das Selbstvertrauen, weil das Accessoire Blicke auf sich ziehe. «Schon meine Mutter trug immer einen. Seit ich ein Kind war, gehe ich nicht mehr ohne aus dem Haus.»

Wir sind zu Gast bei ihr in ­Meilen an der Zürcher Goldküste. Sie wohnt seit 30 Jahren in einer denkmalgeschützten Villa im neoklassizistischen Stil. 90 ist das neue 60, denkt man beim ­Anblick dieser kleinen Frau mit den hennaroten Haaren, dem schlagfertigen Humor und dem jugend­lichen Lachen.

Die Räumlichkeiten sind üppig dekoriert – Gemälde, Antiquitäten, Nippes. Ihr jetziger Ehemann ­Arnold Truog (73) ist Bildhauer. ­Früher arbeitete er als Psychiater, seine Praxis befand sich im unteren Stock. Im ehemaligen Wartezimmer ist heute die Hutsammlung der Hausherrin untergebracht. Mit mehr als 200 Exemplaren eine der grössten der Schweiz.

«Ein Hut muss etwas für die Trägerin machen»

Gisler Truog setzt sich eine Toque aus lackiertem Stroh auf den Kopf – ein kleines, beretartiges Hütchen. Eine Toque werde oft mit einem ­Gesichtsnetz getragen, sagt sie. «Das macht geheimnisvoll und ­kaschiert Fältchen.»Von den etlichen Hutschachteln, die sich an den Wänden türmen, kommen mindestens fünf in den Kofferraum eines alten Citroën, wenn es in die Ferien geht.

In den Schachteln verbergen sich handgemachte Vintage-Modelle von Christian Dior oder Ungaro, aus Materialien wie Seide und Pelz, verziert mit Swarovski-Kristallen und Vogelfedern.

«Ein Hut muss etwas für die Trä­gerin machen», sagt Gisler Truog. Er verschönere das Gesicht und ­betone die Beine. Warum die Beine? «Weil der Betrachter dank dem Hut auto­matisch die ganze Silhouette der Trägerin ins Auge fasst.»

Doris Gisler Truog wuchs in einfachen Verhältnissen auf, ihr Vater arbeitete über 30 Jahre lang als Bühnenarbeiter am Zürcher Stadttheater, zuletzt als Bühnenmeister. «Wenn wir uns getrennt haben, hat er immer nochmals den Hut ge­zogen. Es war schön, wie er mich mit dieser Geste als Frau wahrgenommen hat.»

Gisler Truog besuchte ihn oft im Theater, stand auf der Bühne herum, obwohl das streng verboten war wegen der Kulissen, die hätten herunterfallen können. «Ich liebte die Atmosphäre und die Kostüme, begann mich schon damals für Mode zu interessieren und wollte Journalistin werden.»

Später arbeitete sie als Redaktionsassistentin bei der Zeitschrift «Schweizer Heim», kurz darauf als Moderedaktorin bei der «Schweizer Familie».

Zwischen in und out lagen ­wenige Zentimeter

Wie hat sich die Mode verändert aus der Sicht von jemandem, der sie seit fast einem Jahrhundert ­beobachtet? «Total», sagt Gisler Truog. Wenn früher die neue Kollek­tion eines beliebten Labels herausgekommen sei, die eine ­bestimmte Rocklänge vorgab, habe man das Gefühl gehabt: Das muss jetzt so sein!

Viele Frauen nähten ihre Winter- und Sommergarderobe jährlich um oder brachten sie zur Schneiderin. «Ein paar Zentimeter am Jupe ­haben entschieden, ob etwas von diesem oder vom letzten Jahr ist.» Modetrends in diesem Sinn gibt es nicht mehr. «Das hat den Vorteil, dass man tragen kann, was man will.»

Gibt es Regeln für Hüte? Als Gastgeberin im eigenen Haus trage sie keinen, sagt Gisler Truog, und im Restaurant lasse sie ihn auf. «Eine Frau legt ihren Hut erst wieder zu Hause ab. Trotzdem sollte sie darun­ter anständig frisiert sein. Man weiss ja nie.»

1977 verlieh ihr eine Schweizer Fachjury als erster Frau die Auszeichnung «Werber des Jahres». Über eine allfällige Benachteiligung als Frau in einer Männerdomäne hat sie sich nie Gedanken gemacht. «In aller Unbescheidenheit: Ich war einfach gut.» Wie war die Situation im Journalismus? Junge Frauen, die neu in eine Redaktion kamen, seien angemacht worden, sagt ­Gisler Truog. «Jeder Mann hat ausprobiert, was möglich ist.»

Als Frau muss man einem Mann klar zeigen, was man will. Manchmal ging man zwei, drei Mal essen, um sich kennenzulernen, und ­sagte dann, dass es doch nicht passt. Von ihren Enkelinnen höre sie, dass ein Nein von Männern oft nicht als solches akzeptiert werde. «Das war zu meiner Zeit anders.» Heute sei die Gesellschaft dafür viel offener, sagt Gisler Truog. «Menschen gehen öfter aufeinander zu.»

Vielleicht lebt sie mit 90 endlich in der Zeit, die am besten zu ihr passt. Kürzlich stand sie vor dem Landesmuseum und trug einen ­ihrer schönsten Hüte, einen königsblauen Anlasshut, wie ihn Besu­cherinnen von Pferderennen aufhaben. «Ich merkte, wie mich eine Gruppe Teenager in zerrissenen Jeans ­beobachtete.» Eine Frau aus der Gruppe kam auf sie zu und ­fragte: «Würden Sie sich mit uns foto­grafieren lassen? Wir finden Ihr Outfit so toll.» 

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