Modefrühling und -sommer 2017
Alles ist mödlich!

Die Frühlingsmode ist da – und spielt verrückt: Kein Trend ohne Gegentrend. Bankerin, Blumenmädchen, Bäuerin, Astronautin – Frauen können in die Rolle schlüpfen, die ihnen gefällt.
Publiziert: 10.02.2017 um 13:37 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:17 Uhr
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Der Hippie mag es kommende Saison plakativ. Bei Balenciaga hüllt Designer Demna Gvasalia (35) Blumenkinder in Muster, die an Tapeten erinnern.
Foto: Getty Images
Jonas Dreyfus

Hippie vs Bankerin

Die Designer bekommen einfach nicht genug von der Hippiekultur – obwohl es Hippies gar nicht mehr gibt. Oder lungern Sie ständig in städtischen Zentre ­herum, singen Joan-Baez-Songs und flechten Ihren Freundinnen Blumen ins Haar? Eben. Auch dem Gegen­entwurf zum Blumenmädchen, der machoiden Bankerin im kantigen Deuxpi­èces, begegnen wir im ­echten Leben selten.

In der Mode spielt das alles keine Rolle. Je nach Seelen- und Wetterlage geben sich Frauen anders. Blumenmädchen oder Businesslady – das sind heute keine gegensätzlichen Lebensentwürfe mehr, sondern einfach zwei unterschiedliche Outfits im Kleiderschrank.Geht es nach den Designern, hängen darin jede Menge Klamotten mit floralen Prints. Sie gelten seit längerem als trendy, doch in den Frühlings- und Sommerkollektionen 2017 spriessen sie bunter, wuchtiger, plakativer. Vor allem Demna Gvasalia (35), neuer Designer bei Balenciaga, gibt in diesem Fach Vollgas – respektive Volldünger. Seine Models sind von unten bis oben in Stoffe gehüllt, die an ­geblümte Tapeten aus den 1970er-Jahren oder an Grosis Tischdecken erinnern.

Anti-Fashion rüttelt die Branche wach

Gvasalia ist Teil der Anti-Fashion-Bewegung. Er hat den Hype mit ­seinem eigenen Label losgetreten, mit Vetements. Dessen Kollektionen kokettieren mit dem Strassenstil der Jugendlichen aus London, ­Seattle oder Moskau.

Anti-Fashion rüttelt derzeit die Branche wach. Sie versteht sich als Gegenpol zum Glamour, mit dem viele Marken ihre Kundinnen seit Jahrzehnten in Hochglanz-Traumwelten entführen wollen. Gvasalia hingegen bringt gewollt hässliche Kleider auf den Markt, in dem sich Jetset-Ladys ein wenig «anti» fühlen dürfen. Auf dem Preisschild hört die Revolution allerdings auf: Ein Blumenkleid von Balenciaga kostet rund 4000 Franken.

Die Hippie-Chic steht einer modischen Silhouetten gegenüber, die – um in der Natur zu bleiben – eher an die scharfen Kanten von Felsen erinnert. Labels wie etwa Céline setzen auf kastenartige Herren-(Business-)Anzüge mit XXL-Schultern, Jil Sander setzt mit Nadelstreifen noch einen drauf – Bankerinnen dürfen sich freuen. Das ­erinnert bisweilen an den Look der «grauen Herren» aus «Momo», die den Menschen die Zeit stehlen. Und an die 1980er-Jahre, die in der Mode seit längerem ein Revival ­feiern. Weil damals alles besser war? Hoffen wir’s nicht! l

Astronautin vs Bäuerin

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Karl Lagerfeld (83) schickt bei der Chanel-Show Fantasie-Astronautinnen über den Laufsteg. Ihre Helme erinnern an das Elektro-Duo Daft Punk.
Foto: Gamma-Rapho via Getty Images

Kennen Sie Daft Punk? Das französische Elektro-Duo ist bekannt für seine Weltraum-Ästhetik. Kürzlich machte eine Twitter-Nachricht von Trumps Pressesprecher die Runde. Sean Spicer (45) fordert Daft Punk darin auf, ihre Helme abzuziehen, die sie seit Beginn ihrer Karriere in der Öffentlichkeit tragen. «They Need to Grow Up», schreibt Spicer. Was so viel heisst wie: «Die sollen mal erwachsen werden.»

Chanel-Chefdesigner Karl Lagerfeld setzte seinen Models ähnliche Helme auf und schickte sie in Frühlingskleidern auf den Laufsteg – und niemand fands kindisch. Auch Maria Grazia Chiuri (53) liess sich für ihre erste Dior-Kollektion von der Raumfahrt inspirieren, und die mit Gold folierten Entwürfe des französischen Labels Wanda Nylon erinnern an die Ausstattung der E. T.-Filme.

Es ist nicht zu übersehen: Der Space-Look hat es den ­Designern angetan. Wenn auch nicht immer gewollt steht er symbolisch für die abgehobenen Sphären, in der sich die Mode oft bewegt.Während sich die Stil-Astronautin ins All schiessen lässt, bearbeitet die Modebäuerin den Acker. Natürlich nur im übertragenen Sinn, denn ihre Kleider sind fürs Chrampfen gänzlich ungeeignet. Was bei Designern im Moment auch zählt, ist die Rückbesinnung aufs Ursprüngliche, aufs Handgemachte.

Das Leben jenseits der Urbanität fasziniert

Der Nachwuchs-Designer Simon Porte Jacquemus (27) sieht seine aktuelle Kollektion sogar als Ode an seine Kindheit in der ländlichen ­Provence. Seine Models tragen breitkrempige Strohhüte und luftige Leinenstoffe, die einen vor der Sonne Südfrankreichs schützen. «Meine Eltern waren Bauern», sagt Jacquemus, dessen Mutter auch seine Muse ist. «Ich entwerfe Kleider für die junge Frau, die sie einmal war.»

Amish People, Eskimos, Beduinen – alles, was irgendwie an das simple ­Leben fernab der westlichen Zivilisation erinnert, ist hip. Die ­US-»Vogue» bringt eine andere Variante der Modebäuerin ins Spiel: das Working Girl. Keine Schwerarbeiterin, sondern Liebhaberin robuster Stoffe, mit denen sich sonst US-Holzfäller vor Verletzungen schützen. Auch die Trendfarben der kommenden S­aison, Khaki und Army Green, ­bedienen sich beim Look der Workwear.

Sportskanone vs Schlafmütze

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Wangsters nennen sich Fans von Designer Alexander Wang (33). Sein Frauentyp ist aktuell eine Sportskanone mit einer Schwäche für Neon-Farben.
Foto: Gamma-Rapho via Getty Images

Stellt man Menschen die richtigen Fragen, kommt man ihnen ein ­gutes Stück näher. Ob jemand ­lieber Katzen mag oder Hunde, ­lieber Bier trinkt als Wein, sagt viel über den Charakter aus.

Ähnlich verhält es sich mit der Frage, was jemand im Bett trägt. Haben Sie einen Vorrat an farblich abgestimmten Seidenpyjamas, nehmen sie jede Woche ein ­frisches Nachthemd aus dem Regal? Dann sind Sie höchstwahrscheinlich eine Ästhetin – vielleicht auch etwas pedantisch. Oder eine Schlafmütze, die tagelang zu Hause herumlümmeln mag, ­solange etwas zum Knabbern greifbar ist, der Wasserkocher funktioniert, und Sie Ihren ayurvedischen Gewürztee aufgiessen können.

Oder pennen Sie im Sommer nackt, im Winter in einer alten Unterhose und einem verbeultem ­T-Shirt? Dann sind Sie eher «Easy going», vielleicht sogar ein wenig schlampig. Oder eine waschechte Sportskanone, die lieber aktiv und ständig unterwegs ist – und Freundinnen in den Gruppen-Lektionen ihres Fitness-Centers rekrutiert.Sportskanone und Schlafmütze – für beide ­Typen haben die Modehäuser ein grosses Angebot parat.

Nehmen wir den Athleisure-Stil. So heissen Freizeitlooks, die sich an Fitnessmode orientieren. Designer integrieren nicht länger Trainerhosen in ihre Kollektionen, sondern machen sportlich anmutende Mode, die verdammt elegant aussieht. Allen voran Donatella Versace (61), die auf hautenge Bodysuits und überdimen­sionale Windjacken setzt. Oder ­Alexander Wang (33): Er spielt mit der ­Optik von Neopren und Akzenten in Neongelb (neben Schwarz-Weiss die Trendfarbe, geht es um Athleisure). Auch angesagt: Bademode als Bestandteil von Freizeitlooks. Vom Strand geht die Sportskanone direkt in den Ausgang.

Das Männerhemd wird nun weiblich

Die Schlafmütze hingegen ist bettfertig, sobald sie die richtigen Kleider überzieht. Dazu zählen spartanische Kutten in Farbtönen wie Creme, Knochen oder Elfenbein. Oder durchsichtige Stoffe wie Chiffon, wie sie unter anderem Kreateurin Bouchra Jarrar (46) propagiert, die Nachfolgerin von Alber Elbaz (55) bei Lanvin. Auch das Männerhemd setzt seinen Siegeszug fort. Möglichst oversized muss es sein oder einen Broker-Touch haben. So, als hätte sich die Trägerin im Kleiderschrank ihres Freundes bedient, der an der Börse arbeitet und jetzt vor einem grösseren Problem steht: Wie soll er ohne Hemd bloss sein Geld verdienen, während Sie sich Ihren wohlverdienten Schönheitsschlaf gönnen? 

Zu den wichtigsten Begriffen des Modefrühlings gehts hier.

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