Die Schlüsselszene in Zeitlupe funktioniert immer noch: Kelly Rohrbach (27) eilt in der Rolle von Pamela Anderson den Strand entlang, und die Welt steht still – zumindest etwas stiller als sonst.
Rohrbach spielt natürlich nicht die Person Anderson selbst, sondern die Filmfigur C. J. Parker aus «Baywatch». Aber die mittlerweile 49-jährige Anderson ist das Erkennungszeichen des 1989 erstmals ausgestrahlten Serienhits.
Nun werden die 1980er-Jahre wiederbelebt: Am Donnerstag startet «Baywatch» mit Starbesetzung in den Deutschschweizer Kinos (Kritik Seite 29). «Baywatch» ist nicht der einzige Retro-Hit, der zurück ist. Es gibt eine neue Lust am Lebensgefühl der 1980er-Jahre, die auch die Welten der Musik und Mode erfasst hat.
Schweizer Atomausstieg hat Ursprung in Tschernobyl 1986
Aber Filmemacher rufen nicht nur die Gassenhauer von damals ins Leben zurück. Zeitgleich entwickeln Fernsehsender und Streamingportale neue Formate, die optisch aus den 80ern stammen könnten. In «Stranger Things» spielt Winona Ryder (45) eine verzweifelte Mutter aus Indiana im Jahr 1983, deren Sohn in einer Monsterwelt verschwindet.
Während die meisten 1980er-Comebacks in die Gegenwart übersetzt sind, spielt das Netflix-Format in jener Zeit und setzt auf naiven Grusel anstelle von knallenden Spezialeffekten. In Verbindung mit der kristallklaren HD-Auflösung weiss man in mancher Szene fast nicht mehr, in welchem Jahrzehnt die Episode tatsächlich spielt.
Nicht nur die Welt der Unterhaltung, auch die Realität der Gegenwart erinnert bisweilen an früher. Mit Donald Trump wird das wichtigste Land der Welt von einem berühmten Entertainer und Geschäftsmann geführt – das ruft die Jahre 1981 bis 1989 unter Ronald Reagan als Präsidenten ins Gedächtnis. Es brodelt ein neuer Ost-West-Konflikt, in dem Russlands Auftreten zunehmend an das Selbstverständnis der Sowjetunion erinnert.
«Historiker suchen in den 80er-Jahren die Urgeschichte unserer Gegenwart», sagt Andreas Kilcher (53), Professor für Literatur- und Kulturwissenschaften an der ETH Zürich. Währenddessen diskutiert die Schweiz hitzig wie seit Jahrzehnten nicht mehr über den gesellschaftlichen Nutzen der Kernkraftenergie. Am letzten Sonntag hat die Bevölkerung Ja zum Atomausstieg gesagt. Ohne die Reaktorkatastrophe von 2011 im japanischen Fukushima wäre die Bereitschaft dazu wohl nicht so breit vorhanden. Der Ursprung der Atomabkehr ist hingegen 25 Jahre vor Fukushima zu suchen: Nach dem Unglück 1986 im ukrainischen Tschernobyl bekam die grüne Bewegung in der Schweiz massiven Stimmenzuwachs. «Umweltschutz schien die ganz grosse Anforderung an die Zukunft», sagt Kilcher. «Die Erde wirkte als Körper immer verwundbarer.»
Retro-Marketing spricht verschiedene Altersgruppen an
Eine Rolle scheinen auch die alternden Gesellschaften in Industrienationen zu spielen. Während die Babyboomer die 80er-Jahre im Erwachsenenalter erlebt haben, war die sogenannte Generation X damals ebenfalls anwesend – wenn auch sehr jung. Die heute Zwanzig- bis Dreissigjährigen wiederum sind zumindest teilweise mit der Popkultur der 1980er-Jahre aufgewachsen.
«Mit Retro-Marketing kann man gleichzeitig verschiedene Altersgruppen ansprechen», sagt der Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs, Christian Koller (45). «Für die älteren Jahrgänge ist es eine nostalgische Reminiszenz an ihre Jugend, für die Jungen gilt es, etwas scheinbar Neues zu entdecken.» Das funktioniere aber nur, wenn das Retro auf eine Zeit Bezug nehme, die rund drei Jahrzehnte zurückliege. In Zeiten der ständigen Reizüberflutung mit ständig neuen Bildern und Videos wirkt das entfernt Vertraute auf einmal ganz nah.
Orangefarbene Leggings und toupierte Haare
Dabei mag man sich gelegentlich fremdschämen angesichts orangefarbener Leggings und toupierter Haare – an Frauen und Männern. Die vermeintliche Unbeschwertheit von damals weckt aber auch Sehnsüchte, und zum Fremdschämen gesellt sich vielleicht ein Schmunzeln dazu.
Obwohl die Welt in den 80ern nicht unbedingt einfacher gewesen ist, wirkt die Zeit im Rückblick optimistischer und übersichtlicher. Heute halten uns Push-Nachrichten permanent auf dem neusten, dramatischen Stand der Dinge. Damals konnte man ausgehen und sich dem Vergnügen hingeben, ohne im selben Moment von Gewalttaten irgendwo in der Welt zu erfahren.
Bevor das Internet die Medien revolutioniert hat, konnte man besser abschalten. Trotzdem scheinen die Jungen früher politischer gewesen zu sein.
«Die Generation Y muss aufwachen», schreibt die «Huffington Post» im Zusammenhang mit Brexit und dem Wahlsieg Trumps. Mit der fehlenden politischen Haltung geht zudem eine generelle Angepasstheit ans System einher. Die Generation Y will nach oben und kleidet sich dafür vorteilhaft, minimalistisch, relativ uniform. Youtube-Kanäle mit Schminktipps geben Anweisungen, wie man mit Contouring und Concealing das Beste aus dem eigenen Gesicht herausholt.
Seit letztem Jahr jedoch scheint sich etwas zu ändern: Das Erstarken reaktionärer und demokratiefeindlicher Kräfte fordert die Jugend weltweit heraus. Es entstehen Debatten über politische Verantwortung, die über Facebook-Posts hinausgehen.
Es bleibt abzuwarten, ob die aktuelle Auferstehung der politischen 1980er-Jahre auch zu mehr Courage und Extravaganz führen wird.