Kazu Huggler designt von Frau zu Frau
«Ewig Schönes gibt es nicht»

Sie vernäht zwei Kulturen zur eleganten Couture für Frauen: Die japanisch-schweizerische Designerin Kazu Huggler (47) gehört zur Elite des hiesigen Modebetriebs. Als Fünfjährige lief sie aus dem Kindergarten – weil es ihr dort zu chaotisch war.
Publiziert: 16.01.2017 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:32 Uhr
«Der Mensch schöpft das Einmalige, das ihn ausmacht, aus, wenn er ganz bei sich ist. Es sind aber momentane Eindrücke, ewig Schönes gibt es nicht», sagt die schweizerisch-japanische Modedesignerin Kazu Huggler.
Foto: Sabine Wunderlin
Gabi Schwegler

Kazu Huggler, wann ist ein Mensch schön?
Wenn er konzentriert ist – und ihm nicht bewusst ist, dass man ihn beobachtet. Macht er etwas, das er gut kann und ihm Freude bereitet, ist die Ausstrahlung am stärksten. Der Mensch schöpft das Einmalige, das ihn ausmacht, aus, wenn er ganz bei sich ist. Es sind aber momentane Eindrücke, ewig Schönes gibt es nicht.

«Ich will ein Kleidungsstück kreieren, in dem die Frau am schönsten aussieht. Man soll sagen: Wow, was für eine schöne Frau! Und nicht: Wow, was für ein Kleid!»
Foto: Sabine Wunderlin

Was ist weibliche Schönheit?
Die Unbeständigkeit. Ich beobachte über das Leben hinweg bei Frauen eine viel deutlichere Veränderung als bei Männern. Jedes Alter hat eine Schönheit für sich. Dieser Unbeständigkeit soll man sich stellen. Es ist bedauerlich, dass zunehmend die präpubertäre Phase einer Frau als schön empfunden wird. Also jene Zeit, während der sie kaum Fettpölsterchen am Körper hat und die Weiblichkeit noch nicht richtig begonnen hat.

Wie wichtig ist Ihnen Ihre eigene Schönheit?
Als Kind und als Teenager fiel ich in Tokio und in Zürich als Mischling auf, mein Äusseres wurde oft stärker thematisiert, als mir lieb war. Heute ist das zum Glück vorbei. Ich nehme mir aber immer noch gerne Zeit, um mich zu pflegen und bewusst zu kleiden. Das hat mit Respekt gegenüber Mitmenschen und hauptsächlich mir selbst gegenüber zu tun.

In Japan gilt eine Frau als schön, wenn sie Sinn für Mode hat. Das widerspricht Ihrem Verständnis.
Da muss man aufpassen. In Japan bedeutet Mode im traditionellen Sinn ein Bewusstsein für die Natur, für das eigene Alter und die Umgebung. Mit der Kleidung drückt man Bildung und Sensibilität aus. Frauen müssen zum Beispiel ein Bewusstsein dafür haben, welche Blumen wann blühen. Ich würde zum Beispiel keinen Pfingstrosenkimono anziehen, wenn Vollblüte ist. Man sollte der Natur schon zwei Wochen voraus sein.

Man kann also nicht einfach am Morgen den Schrank öffnen und etwas rausziehen?
Einen Kimono im traditionellen Sinn anzuziehen, ist sehr aufwendig. Da muss man sich fragen, an welche Art von Anlass man geht. Wird eine ältere Dame dort sein, die ich nicht übertrumpfen darf? Die älteste Frau verdient den grössten Respekt. Also darf ich keinen teureren Kimono anziehen. Wer seine Rolle in der Gesellschaft richtig einschätzt, gilt als gebildet.

Huggler entwarf für eine Präsentation im Zürcher Rietberg Museum Jumpsuits aus Kimonostoff. «Der Kimono ist der Vorreiter androgyner Mode.»
Foto: Bon Parinya Wongwannawat

Achten Sie als Designerin mehr auf Kleider als auf Gesichter?
Nein! Es geht immer um die Frau, um den Menschen. Ich will ein Kleidungsstück kreieren, in dem die Frau am schönsten aussieht. Man soll sagen: Wow, was für eine schöne Frau! Und nicht: Wow, was für ein Kleid!

Sind Sie ehrlich mit Ihren Kundinnen?
Ja, sehr. Frauen haben die Tendenz, sich selber runterzumachen. Ich erlebe oft, dass sich Frauen nicht trauen, ein bestimmtes Design zu tragen, weil sie denken, ihre Figur oder ihr Aussehen genügten nicht.

Ist das schweizerisch?
Das ist universell. Frauen lassen sich mehr beeinflussen von Meinungen, Regeln oder Bildern, die sie gehört oder gesehen haben.

Sie schneidern aus traditionellen Kimono-Stoffrollen zeitgenössische Mode. Dabei zerschneiden Sie die Stoffbahnen nicht. Weshalb?Im japanischen Design ist das Praktische extrem präsent. Wenn der Webstuhl 35 Zentimeter breite Stoffe webt – wieso lassen wir es nicht so? Es ist eine Herausforderung, eine begrenzte Fläche zu haben und nicht beliebig reinzuschneiden. Wenn man den Stoff so verarbeitet, kann man die Nähte immer wieder auftrennen und etwas anderes daraus machen.

Für diese Kleider wurden die Kimonorollen nicht zerschnitten. Huggler: «Im japanischen Design ist das Praktische extrem präsent. Wenn der Webstuhl 35 Zentimeter breite Stoffe webt – wieso lassen wir es nicht so?»
Foto: Bon Parinya Wongwannawat

Was kommt bei Ihren Entwürfen zuerst – der Stoff oder der Schnitt?
Der Stoff. Er gibt an, welche Formen daraus entwickelt werden können. Ich bevorzuge schlichte Schnitte mit spannenden Textilien. Ein guter Schnitt ist ein guter Schnitt. Die meisten Frauen brauchen gar nicht viele neue Modelle.

Was halten Sie vom Trend, dass sich Frauen- und Männermode immer mehr angleichen?
Der Kimono ist eigentlich der Vorreiter androgyner Mode. Der Schnitt ist für Frauen und Männer der gleiche. Japanische Männer sind sehr feingliedrig, und ihre Körper gleiche jenen von Frauen. Im Westen gibt es aber einen riesigen Unterschied zwischen Mann und Frau, und diesen nehme ich gerne wahr. Sonst hätte ich längst Männermode gemacht.

Wieso verzichten Sie darauf?
Weil ich mich nicht in einen Männerkörper einfühlen kann. Als Teenager trug ich eine Weile nur Kleider meines Vaters. Aber das war eine Phase, in der ich mein Körpergefühl finden wollte. Ein Frauenkörper ist ein
Frauenkörper. Die Änderungen, die man mit Pubertät, Schwangerschaft oder in den Wechseljahren durchmacht, sind einmalig. Das verfolge ich als Modemacherin ganz eng und mache mir entsprechend Gedanken, wie sich ein Schnitt und die Stoffwahl ändern müssen.

Viele bekannte, erfolgreiche Modedesigner sind Männer. Wie kommt das?
Manchmal ist es gut, Distanz zu dem zu haben, was man macht. Berate ich Kundinnen, haben sie manchmal das Gefühl, ich spräche von meiner Figur. Wäre ich ein Mann, würden sie sich nicht mit mir vergleichen. Aber ich bin auch glaubwürdiger, weil ich einen Frauenkörper habe und mitfühlen kann, wie es einer Kundin geht.

«Der Stoff gibt an, welche Formen daraus entwickelt werden können. Ich bevorzuge schlichte Schnitte mit spannenden Textilien.»
Foto: Sabine Wunderlin

Wie schlägt sich die Distanz in den Designs der Männer nieder?
Der Frauenkörper wird für manche Modedesigner zu einer Leinwand, um ihre Ideen zu verwirklichen. Sie können nicht nachfühlen, wie es Frauen geht. Ich höre immer wieder von männlichen Designern, dass ein Model zu dick sei. Von einer Designerin ist mir das noch nie zu Ohren gekommen.

Sie machten einst bei Vivienne Westwood ein Praktikum. Wie ist sie mit dem weiblichen Körper umgegangen?
Die Selbstbestimmtheit der Frau stand für sie über allem. Man muss nie einer Norm oder einem Raster folgen. Egal, ob man dicke oder dünne Beine hat: Ihre Kleider sollen alle tragen. Diese Souveränität schätzte ich sehr.

Sie studierten am renommierten Central Saint Martins College of Arts and Design in London Modedesign. Wie erging es Ihnen dort?Ich habe dort gelernt, wie wichtig es ist, originell zu sein. Bei Präsentationen sagte die Jury oft: langweilig, schon gesehen. Auch die Japan-Masche zog überhaupt nicht. Sie sagten: Hey, wir haben zwanzig Japanerinnen pro Jahr. Was bist du? Wie setzt du die japanische Kultur in etwas Eigenes um? So wurde ich in meiner Kreativität enorm gefördert, aber unternehmerisch habe ich nichts gelernt. Ich wusste nach dem Studium nicht einmal, wie man einen Preis ausrechnet. Andi Stutz, der einstige Schweizer Seidenkönig, war für mich damals sehr wichtig, weil er mich gefördert und unterstützt hat.

Sie verbrachten Ihre Kindheit in Tokio. Welchen Bezug hatten Sie zur Schweiz?
Ich kannte das Land aus meinen Ferien. Als ich fünf Jahre alt war, durfte ich einen Schweizer Kindergarten besuchen. Ich war extrem schockiert! Ein Riesenchaos, jeder spielte irgendwas in einer Ecke. Ich machte quasi auf dem Absatz kehrt und lief aus dem Chindsgi, das war mir zu viel. In Tokio trug ich eine Uniform, hatte klare Strukturen. Alle Kinder sassen am Tisch, falteten gleichzeitig Origami, sangen zusammen und mussten eine Schürze anziehen fürs Mittagessen.

Mit elf Jahren kamen Sie von der pulsierenden Metropole ins beschauliche Zürich. Wie erlebten Sie den Schulalltag?
Ich hatte Probleme mit all den Freiheiten. In Japan war es nicht wichtig, wie es mir geht oder was ich an einem Tag machen will. Sogar die Socken mussten präzise hochgezogen sein. Jede Minute war durchorganisiert. Damals gab es weder spontanen Austausch noch mündliche Noten in der Schule.

Sie schwiegen weiter?
Im Unterricht absolut. Ich sagte nichts. Ich fragte mich immer, wieso alle so viel reden. Es ging gar nicht darum, ob etwas stimmt oder nicht, sondern eigentlich nur darum, sich zu behaupten. Ich wurde knallrot und zitterte, wenn ich vor der Klasse etwas sagen sollte.

Heute führen Sie in Zürich Ihr eigenes Couture-Label. Stünden Sie mit japanischer Bildung am selben Ort?
Wäre ich in Japan aufgewachsen, hätte ich mich dort durchsetzen und ein Geschäft aufbauen können. Aber in der Schweiz hätte ich es nicht geschafft. Hier muss man Klartext reden, ein Nein ist ein Nein. Kann man damit nicht umgehen, ist man selbst schuld, wird ausgenutzt und geht unter. Darauf bereitet einen das schweizerische Schulsystem vor.

Und wie ist es in Japan?
Da muss man nie genau sagen, was man will, sondern es dem Gegenüber zu spüren geben. Ein klares Nein hört man dort fast nie, weil das für die Japaner sehr unangenehm ist. Ein Beispiel: Ich frage eine meiner Mitarbeiterinnen in Japan, ob das so in Ordnung sei für sie. Sie antwortet: Hmm, ja, sie wisse nicht. Schaut sie mich dabei nicht an, muss ich merken, dass etwas gar nicht mehr gut ist.

«Wenn man als Mutter arbeitet und selbständig ein Unternehmen führt, wird es richtig schwierig: Eine gute Nanny zu finden, ist in Japan fast unmöglich», sagt Huggler über ihr Heimatland.
Foto: Sabine Wunderlin

Wollen Sie mit Ihrer eigenen Familie irgendwann zurück nach Japan ziehen?
Als meine Söhne noch klein waren, habe ich es mir überlegt – wegen der Sprache und der Kultur. Die ausgeprägte Sensibilität gegenüber Mitmenschen hätte ich meine Söhne gerne erleben lassen. Aber wir haben uns vor allem wegen des Schulsystems dagegen entschieden. Und wenn man als Mutter arbeitet und selbständig ein Unternehmen führt, wird es richtig schwierig: Eine gute Nanny zu finden, ist in Japan fast unmöglich, weil es diese Babysitter-Kultur noch nicht gibt. Und die Kitas sind auf Jahre hinaus komplett ausgebucht.

Sprechen Sie mit den Kindern japanisch?
Nein. Weil ich zu wenig Gelegenheit hatte, mit ihnen japanisch zu sprechen, können sie es nicht. Das bereue ich. Hätte ich nicht gearbeitet, hätte ich es ihnen beibringen können. Das ist eines der Opfer, die meine Arbeit mit sich brachte.

Wie bewahren Sie sich Ihre Verbundenheit zum Land?
Meine Mutter ist Japanerin und lebt hier. Mit ihr und meinen zwei Schwestern spreche ich immer japanisch. Für eine Verbundenheit zum Land muss man aber dort hingehen, die Luft einatmen, Freunde treffen und zuhören, worüber die Menschen reden. Das tue ich regelmässig. Mir ist das Zeitgenössische sehr wichtig. Sonst wird man zu diesen Japan-Schweizern, die in der Nostalgie hängen bleiben. Es ist ganz zentral, dass man sich fragt, was Japan heute ist und welche Herausforderungen aktuell auf das Land warten.

Zur Person

Kazu Huggler (47) wuchs als Tochter einer japanischen Kunstvermittlerin und eines Schweizer Bankiers in Tokio auf. Mit elf Jahren kam sie in die Schweiz, absolvierte hier das Gymnasium und kehrte für ihr Studium in Kunstgeschichte und japanischer Ästhetik zurück nach Tokio. Anschliessend studierte sie in London Modedesign. Seit 2002 führt sie ihr Atelier in Zürich, wo sie Frauenmode auf Mass anfertigt. Huggler wohnt mit ihrem Mann, der ein Cateringunternehmen leitet, und ihren beiden Söhnen (sieben und zehn Jahre alt) in Zürich.

«Mein Haardutt ist der Running Gag unter meinen Freunden.»
Sabine Wunderlin

Kazu Huggler (47) wuchs als Tochter einer japanischen Kunstvermittlerin und eines Schweizer Bankiers in Tokio auf. Mit elf Jahren kam sie in die Schweiz, absolvierte hier das Gymnasium und kehrte für ihr Studium in Kunstgeschichte und japanischer Ästhetik zurück nach Tokio. Anschliessend studierte sie in London Modedesign. Seit 2002 führt sie ihr Atelier in Zürich, wo sie Frauenmode auf Mass anfertigt. Huggler wohnt mit ihrem Mann, der ein Cateringunternehmen leitet, und ihren beiden Söhnen (sieben und zehn Jahre alt) in Zürich.

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