Im Selbsttest
Hier gibts Festtagsmode zur Miete

Kleihd, die erste Mode-Leihboutique der Schweiz, geht unserem ausschweifenden Konsumwahn an den Kragen.
Publiziert: 20.12.2016 um 11:08 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 13:17 Uhr
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Geschäftsinhaberin Paula Fricke und Autor Remo Schraner vor dem Laden an der Zürcher Idastrasse.
Foto: Sabine Wunderlin
Remo Schraner

Wir geben im Monat rund 150 Franken für Kleidung aus – und stopfen unsere Schränke jährlich mit 15 Kilo Kleider voll. Und trotzdem: Kommt es ­darauf an, finden wir nichts Passendes zum Anziehen. Etwa an Festtagen.

Statt in letzter Minute und genervt neue Kleider anzuschaffen, wage ich einen ­Versuch: Ich will mein dies­jähriges Silvester-Outfit im Zürcher Start-up-Laden Kleihd finden. Hier gilt: Ausleihen statt kaufen. Die vor einem Jahr ­eröffnete Boutique will damit unser Portemonnaie und die Umwelt schonen.

Der Selbsttest beginnt

Also los. Telefonische Kontaktaufnahme mit Paula Fricke (34), sie ­ist Stylistin und eine der drei ­Geschäftsführerinnen des Ladens. Sie fragt meine modischen Präferenzen und Kleidergrössen ab.

Das Kleihd-Sortiment umfasst tausend Einzelstücke, darunter wird sich wohl etwas Passendes für mich finden. Wie ich später erfahre: Die grosse Auswahl ist nur durch Mithilfe der Kundschaft möglich. Denn bei Kleihd kann man einen Teil ­seines Kleiderschranks auslagern. Die zur Verfügung gestellten Stücke stehen dadurch anderen zur Ver­fügung, zur Miete – ähnlich wie in ­einer ­Bibliothek.

Paula Fricke erklärt die Idee ­dahinter: «Oft ist die Herstellung unserer Kleidung nicht nachhaltig, ­ja sogar unmenschlich.» Wenn man ihr also eine selten getragene, aber intakte Hose spendet, wird die ­Ressourcen-Nutzung optimiert – da diese vermietet und somit wieder genutzt wird. Zudem tätigen der Mieter oder die Mieterin keinen Neukauf. Die drei ­Initiantinnen erhoffen sich, dass die Leute so ihre Kaufentscheide bewusster ­fällen – und die Textilindustrie weniger Kleider produziert.

Anprobe mit Überraschungsmoment

Ein paar Tage nach dem ­Telefonat dann der erste Schritt zum neuen Style: Ich treffe Paula an der Idastrasse in Zürich. An einem Kleiderständer warten verschiedene Anzüge, Gilets und gewagte Hemden auf mich. Ein weisses Hemd steckt in meiner Tasche. Kleihd versteht sich als Ergänzung zur privaten Garderobe, nicht als Ersatz. Somit gilt: Basics selber mitbringen.

Inmitten der Auswahl: ein fliederfarbenes Hemd. Die Stylistin bemerkt mein Stirnrunzeln, lässt sich aber nicht beirren: «Probier es einfach mal an.» Na dann, ab in den Ankleideraum. Ich ziehe mir das Hemd über und trete darin vor den Spiegel. «Siehst du, jetzt hast du ein Kleihd-Erlebnis!», freut sich Paula, als sie mein erstauntes ­Lächeln im Spiegelbild entdeckt.

Solche Überraschungsmomente bleiben meist Frauen vorbehalten. Denn die durchschnittliche Kundschaft ist weiblich – und zwischen 20 und 40 Jahre alt. «Für Männer ist der lockere Umgang mit Mode wohl noch Neuland», sagt die Gastgeberin. «Unsere Kundinnen hingegen kommen oft mit Freundinnen zu uns. Wir beraten uns gegenseitig, und überall liegen Kleider herum.» Eine waschechte Mädelsparty!

Kleider: Unsere Geschichtenerzähler

Das frisch gebügelte Hemd soll im Bewerbungsgespräch unsere Seriosität unterstreichen, und die schlabbrige Trainerhose am Sonntag signalisiert, dass wir den Tag auf dem Sofa verbringen möchten – unsere Kleidung erzählt immer, wenn auch oft subtil, Geschichten. Bei Kleihd werden die spannendsten in der Kartei erfasst. «Wir hatten eine Kundin», erzählt Fricke, «die stellte uns eine Robe zur Verfügung, die sie eigens für den Besuch von Romy Schneiders Grab gekauft hatte.» So werden aus leblosen Hüllen lebhafte Geschichtenerzähler.

Doch das fliederfarbene Hemd bleibt stumm. Vielleicht ein anderes Mal. An der Silvesterparty will ich etwas tragen, das sich stärker von der Alltagsmode abhebt. Dazu reicht mir Paula ein gestreiftes ­Gilet und einen Gehrock und kombiniert beides zu meinem mitgebrachten Hemd. Ich schlüpfe ins Outfit – und voilà: Passt!

Fazit

Das bringt mich zu einem zweiten Vorteil dieses Mietsystems: Hätte ich den eher extravaganten Look kaufen müssen, wäre er erst gar nie in Frage gekommen. Er ist zu weit weg von meiner modischen Normalität. Anders bei Kleihd: Für 55 Franken werde ich meine neu gewonnene Eleganz geniessen. Und bringe die Kleider im neuen Jahr wieder zurück.
Ich bin gespannt, welche Erlebnisse der Gehrock zurück in den Laden trägt!

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Was bedeutet Sharing Economy?
Der Begriff beschreibt das geteilte Nutzen und somit Schonen von Ressourcen. Bekanntestes Beispiel ist die Wohngemeinschaft: Um Geld zu sparen, wird die ­Miete gemeinsam finanziert und das Zuhause geteilt.

Hier teilen Schweizer und Schweizerinnen:

Metoyoubag.com
Zwei Zürcher Schwestern vermieten wochenweise schicke Taschen.

Kleiderberg.ch
Secondhand-Fashion-Marktplatz für Kinder- und Damenmode

Walkincloset.ch
Organisiert Kleider-Tausch­Events in verschiedenen Schweizer Städten.

Pumpipumpe.ch
Sticker, die abbilden, was man ausleihen kann, werden auf den Briefkasten geklebt. Danach aufs Klingeln warten.

Exsila.ch
Eine der grössten Schweizer Tauschplattformen. Nebst Kleidung wird hier auch mit Filmen gehandelt – mit eigener Währung

Sharecon.ch
Liste von Schweizer Start-ups, die das ­gemeinsame Teilen auf ihre Art umsetzen.

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