Samstagmorgen um zehn in Luzern. Lia ist auf der Suche nach einer neuen Lederjacke. Eine, die nicht alle haben. Deshalb secondhand. Lässig gekleidet, mit ausgelatschten Chucks-Turnschuhen und Boyfriend-Jeans, schlendert die 16-Jährige durch den wöchentlichen Flohmarkt am Reusssteg und wühlt sich durch die Kleiderkisten. Wer hier fündig werden will, muss Geduld mitbringen. Die Kleidungsstücke sind weder sortiert noch zusammengefaltet. Hoffentlich aber gewaschen.
Die junge Luzernerin findet in den Kisten zwar keine passende Lederjacke, dafür hält sie einen mintfarbenen, flauschigen Rollkragenpulli in die Höhe. Für ein paar Münzen lässt sie das gute Stück in ihrer Stofftasche verschwinden und sagt zugleich, dass sie selten etwas finde. «Die Leute verkaufen viel Ramsch.» Eine graue Jacke, die ihr Grossvater hätte tragen können, hat es ihr hingegen angetan. «Gewisse Dinge sind so hässlich, dass sie schon wieder cool sind», sagt sie und bezahlt. Drei Franken. Zwar hat sie noch immer keine Lederjacke gefunden, aber halb so schlimm. Sie hat noch genug Möglichkeiten.
Flohmärkte boomen. Auch wegen junger Leute wie Lia, die eine Vorliebe für alte Designs haben. Polaroid, Nokia 3310 und Nike-Trainerjacke aus den 90ern sind im Trend – und die suchen sie auch auf dem Flohmarkt. Das spüren die Veranstalter. Die Standplätze sind frühzeitig ausgebucht, die Wartelisten werden immer länger. Doch nicht nur das.
«In den letzten Jahren konnten wir immer mehr Besucher beobachten», sagt Raoûl Mumenthaler, Projektleiter der städtischen Märkte in Luzern. Der Flohmarkt am Reusssteg biete 40 Temporär- und 20 Jahresplätze, die regelmässig ausgebucht seien. In Basel klingt es gleich: Die 324 Standplätze auf dem Petersplatz sind von April bis Oktober in der Regel bereits im Voraus besetzt. In Winterthur muss man sich schon im Vorjahr für einen Stand in der Altstadt bewerben. Viele Anfragen müssen sogar zurückgewiesen werden.
Flohmärkte haben ihren Ursprung im späten Mittelalter. Damals sollen Lumpenhändler die abgetragenen Kleider der reichen Fürsten aufgekauft haben, um mit ihnen zu handeln. Dabei wechselte auch der eine oder andere Floh den Wirt, was dem Markt den Namen gab. Am Ende des 19. Jahrhunderts fanden in Frankreich und Belgien die ersten offiziellen Flohmärkte statt. Städte und Gemeinden organisierten sie für ihre Bürger.
Flohmärkte haben ihren Ursprung im späten Mittelalter. Damals sollen Lumpenhändler die abgetragenen Kleider der reichen Fürsten aufgekauft haben, um mit ihnen zu handeln. Dabei wechselte auch der eine oder andere Floh den Wirt, was dem Markt den Namen gab. Am Ende des 19. Jahrhunderts fanden in Frankreich und Belgien die ersten offiziellen Flohmärkte statt. Städte und Gemeinden organisierten sie für ihre Bürger.
Secondhand als Lifestyle
Mit Secondhand setzt man heute ein Statement, gebrauchte Ware ist längst zu einem Lifestyle geworden. Karin Frick, Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts, versucht den Trend zu erklären: «Gerade durch Secondhandmode kann man eine Authentizität erzeugen, die heute sehr rar ist. Die Welt ist stark trendgetrieben, also sind Dinge aus der Vergangenheit eine spannende Abwechslung.»
Die Ökonomin analysiert Trends in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum und sagt, dass man heute Gegenstände mit Geschichte wolle. Kleidung vom Flohmarkt gilt nicht mehr als muffig, sondern «pre-loved». Es bedeutet, dass ein Stück von einem vorherigen Träger geliebt wurde. So sehr, dass dieser es nicht fortwerfen konnte und deshalb weiterverkaufte. Das macht die Produkte wertvoller, greifbarer, echter.
Und ökologischer. Der Nachhaltigkeitsgedanke heizt den Secondhandtrend an. «Ein Kleidungsstück trägt man nicht mehr als vier Mal, bevor man es uncool findet», sagt Frick. Modezyklen folgen immer schneller aufeinander, die grossen Kleiderketten bieten in kürzeren Abständen neue Kollektionen an. Die Folge: Quasi neue Teile landen in der Altkleidersammlung. Oder im Mülleimer. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt entsorgt ein Schweizer jährlich rund 6,3 Kilogramm Textilien.
Deshalb wollen viele Ausrangiertes ökologisch korrekt in den Kreislauf der Waren zurückgeben. Weitergeben statt wegwerfen heisst die Devise. Diese Einstellung hat auch die Flohmarktbesucherin Karin (29). «Es fällt mir schwer, Dinge, die noch gut sind und selten benutzt wurden, einfach wegzuwerfen. Deshalb möchte ich sie lieber weitergeben.» Sie steht zwei Mal jährlich hinter einem Trödelstand, wenn sie für ausgemistete Gegenstände ein neues Zuhause sucht. Sie bietet alles an, ausser Schuhe. Das findet sie eklig. Finden auch viele andere, denn die Schuhberge in den schmalen Gassen in Luzern scheinen nicht kleiner zu werden. Man macht sich Gedanken darüber, wem etwas zuvor gehört haben könnte. So auch die 76-jährige Ruth. «Ich frage immer die Standbesitzerin nach der Herkunft der Gegenstände, bevor ich sie kaufe.» Denn auch sie steht auf Teile mit Geschichte und nicht auf billige Massenware von grossen Modeketten.
Flucht ins Alte
Diese überfordert die Jugend von heute regelrecht. Sie will keine Konsumgeneration mehr sein. Sie will sich Zeit nehmen für Produkte, Rücksicht auf ihre Herkunft nehmen. Ein bewusstes Konsumverhalten vorweisen. An Flohmärkten nimmt man sich diese Zeit, um etwas Spezielles, Einzigartiges zu finden. Schreibmaschinen und Plattenspieler sind Gegenstände, die sich vom Massentrend absetzen, dadurch sind sie speziell. Das kann auch Jürg Sidler beobachten. Seit 40 Jahren hat er einen Stand an der Reuss und verkauft hauptsächlich Schallplatten. «Es sind einfach die besten Tonträger. Und auch die langlebigsten.»
Die Lust nach Altem ist ausserdem ein Fluchtreflex vor zu viel Neuem. Nostalgie ist das Stichwort. Es ist eine Form von gesellschaftlichem Widerstand gegen die Gegenwart. Susan Shaw erklärt den Begriff als Schutz vor Zukunftsangst. Sie ist Geschäftsführerin der GIM Suisse, Gesellschaft für innovative Marktforschung. «Vintage-Produkte, Flohmärkte oder alte, bewährte Dinge mit einer Geschichte bekommen immer mehr Beachtung. Vor allem in einem Alter, in dem man nach Orientierung sucht.»
Es sind nicht nur die älteren Jahrgänge, die sich schwärmerisch an ihre Jugend erinnern, sondern gerade die Jungen füttern ihren inneren Nostalgiker mit Gegenständen aus der Vergangenheit. Wahrscheinlich, weil sie im Konsumüberfluss die Orientierung verloren haben.
Grosse Schweizer Flohmärkte
Zürich
Flohmarkt auf dem Bürkliplatz
Jeden Samstag von Mai bis Oktober von 7 bis 17 Uhr
Basel
Flohmarkt auf dem Petersplatz
Januar bis Oktober & November bis Dezember samstags von 7.30 bis 16 Uhr
Bern
Flohmarkt Grosse Halle
Ganzjährig, jeden ersten Sonntag im Monat von 8 bis 16 Uhr
Luzern
Flohmarkt am Reusssteg
Jeden Samstag von Mai bis Oktober von 7 bis 16 Uhr
Genf
Flohmarkt von Plainpalais
Mittwochs, samstags und jeden ersten Sonntag des Monats von 6.30 bis 18.30 Uhrr
Neuenburg
Brocante, Le Landeron
28. bis 30. September, von 9 bis 18 Uhr
Basel
Nachtflohmarkt in der Markthalle
Nächster Termin: 6. Oktober, von 18 bis 23 Uhr
St. Gallen
Lattich-Flohmarkt im Güterbahnhof
Nächster Termin: 13. Oktober von 10 bis 16 Uhr
Grosse Schweizer Flohmärkte
Zürich
Flohmarkt auf dem Bürkliplatz
Jeden Samstag von Mai bis Oktober von 7 bis 17 Uhr
Basel
Flohmarkt auf dem Petersplatz
Januar bis Oktober & November bis Dezember samstags von 7.30 bis 16 Uhr
Bern
Flohmarkt Grosse Halle
Ganzjährig, jeden ersten Sonntag im Monat von 8 bis 16 Uhr
Luzern
Flohmarkt am Reusssteg
Jeden Samstag von Mai bis Oktober von 7 bis 16 Uhr
Genf
Flohmarkt von Plainpalais
Mittwochs, samstags und jeden ersten Sonntag des Monats von 6.30 bis 18.30 Uhrr
Neuenburg
Brocante, Le Landeron
28. bis 30. September, von 9 bis 18 Uhr
Basel
Nachtflohmarkt in der Markthalle
Nächster Termin: 6. Oktober, von 18 bis 23 Uhr
St. Gallen
Lattich-Flohmarkt im Güterbahnhof
Nächster Termin: 13. Oktober von 10 bis 16 Uhr