Herr Allemann, sind Sie heute schon
gerannt?
Nein, aber ich bin von meinem Zuhause am Waidberg die Limmat entlang hierhergelaufen. Abends laufe ich den Berg hoch zurück. Das mache ich fast jeden Tag so.
On hat den Hauptsitz an
der Pfingstweidstrasse in Zürichs Westen. Wo haben
Sie angefangen?
Als Olivier Bernhard, Caspar Coppetti und ich die Marke 2010 gründeten, war unser erstes Office in unseren eigenen Wohnzimmern. Unsere Partnerinnen waren immer froh, wenn wir über Mittag laufen gingen und sie die Wohnung mal wieder für sich hatten.
Wie viele Mitarbeiter hat die Firma heute?
In den letzten 18 Monaten hat sich unser Team auf 350 Mitarbeiter verdoppelt. Sie sind auf rund ein Dutzend Standorte verteilt und haben 30 verschiedene Nationalitäten. Hier im Zürcher Lab und den Büros sind wir rund 130, und ich höre täglich Gespräche in mehr als zehn verschiedenen Sprachen. Etwa die Hälfte unseres Teams sind Schweizer.
Warum braucht eine Schweizer Sportmarke eine derart internationale Belegschaft?
Um aus der Schweiz heraus international erfolgreich zu sein. Eine Firma im grossen Amerika muss sich erst spät Gedanken über eine
internationale Expansion machen. Da wir uns bewusst zur Schweiz als Standort mit einem kleinen Heimmarkt bekennen, waren wir von Stunde null an in Deutschland,
Österreich und Norwegen vertreten. Und ab dem zweiten Jahr in den USA. Also brauchen wir auch Leute, die diese Länder sehr gut kennen.
Viele international tätige Schweizer Firmen haben Angst, nicht mehr so leicht an spezialisierte Arbeitskräfte heranzukommen, wenn der Streit mit der EU um das Rahmenabkommen nicht gelöst wird. Wie sehen Sie das?
Die Sorge ist berechtigt. On bewegt sich im Laufschuhmarkt unter
globalen Giganten wie Nike und Adidas. Wir müssen deshalb schneller und auch innovativer sein und wollen die besten Talente aus der Schweiz und aus dem Ausland zu On bringen. Bei uns arbeiten zum Beispiel Produktdesigner aus Finnland, Digital-Spezialistinnen aus Kalifornien und Programmierer aus Tel Aviv. Unsere Logistikchefin ist in China aufgewachsen und hat in den USA in Harvard studiert.
Angeblich will ein sechsköpfiges Team in Shanghai ein Standbein von On in China aufbauen. Was heisst das konkret?
Unser Start-Team sucht die besten Händler, die Laufschuhe verkaufen. Dann ist es ganz klassisch: Beladen mit einer Tasche voller Schuhe gehen sie vorbei und erklären die patentierte Technologie. Auf einer kleinen Laufrunde zeigen wir, warum On der beste Laufschuh ist.
Und warum ist es der beste?
Weil wir den Laufschuh mit Hohlelementen an der Sohle neu erfunden haben. Wir nennen sie Clouds. Sie kombinieren eine weiche, leichte Landung mit einem direkten, explosiven Abstoss. Das ist ein ganz neues Laufgefühl. Bisher brauchten Läufer einen weichen, bequemen Schuh fürs Training und einen schnellen, harten Schuh für schnelle Läufe oder einen Wettkampf. Das geht jetzt beides in einem.
Wie rennbegeistert sind
die Chinesen?
China entdeckt gerade Sport und Gesundheit als Lebensstil. Wenn ich früher in China frühmorgens joggen ging, sah ich im Park viele Chinesen Tai Chi machen, heute sehe ich Läufer. In wenigen Jahren sind in China über 200 Marathons entstanden.
Eine angesagte Sneaker- und Streetwear-Boutique in Tokio
hat Ihre Schuhe in ihr exklusives Sortiment aufgenommen.
Wie wichtig ist das für Sie?
Das ist eine grosse Auszeichnung für uns, denn Japan ist die drittgrösste Laufnation nach den USA und Deutschland. Der Laufschuhmarkt ist für Japan so prestigeträchtig wie der Uhrenmarkt für die Schweiz. Marken mit langer Tradition, darunter Asics und Mizuno, kommen von dort. Heute werden in Japan mehr On-Schuhe verkauft als in der Schweiz.
Wie konnten Sie das Interesse der Japaner wecken?
Mit der Technologie und dem Laufgefühl, die unsere Schuhe mit sich bringen. Die Japaner interessieren sich wahnsinnig dafür, wie etwas funktioniert. Die Produktbeschreibungen von On sind in Japan doppelt so lang wie in anderen Ländern. Hinzu kommt, dass unser
minimalistischer Stil zum Stilverständnis der Japaner passt.
Ihre Schuhe sind nach dem Grundsatz entwickelt, dass jedes Teilchen einzig und alleine der Funktionalität dient. Schränkt Sie das bei der Entwicklung des Designs nicht ein?
Bei On geht es nicht um Mode, sondern um ein neues Laufgefühl. Und Verzierungen machen einen Schuh nicht besser, sondern vor allem schwerer. Das sieht man bei vielen Modemarken, die Schuhe anbieten, die sich als Sneaker zwar optisch an Laufschuhen anlehnen, aber doppelt so schwer sind. Da geht vergessen, warum Laufschuhe ursprünglich als Sneaker Teil unserer Mode geworden sind.
Warum denn?
Weil sie bequem und leicht sind. Für viele von uns verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Kleidung und Schuhe müssen das mitmachen, und wir haben weniger Geduld für formelle Kleidung. Zu diesem Lifestyle passt ein bequemer Schuh, mit dem auch der Sprint aufs Tram gelingt. Dass sich die Mode nur für die Silhouette interessiert, ist absurd.
Früher waren Sie für den Möbelhersteller Vitra tätig. Woher kommt Ihr Interesse für Design?
Ich komme aus einem Architekten-Elternhaus, und da waren Architektur, Design und auch gemeinsame Kreativ-Projekte wichtig. Das hat mich geprägt. Wenn ich für die Pfadi zum Beispiel eine Laterne bauen musste, wurde mit Hilfe meiner Eltern eine aufwendige Plexiglaskonstruktion daraus. In den 50er-Jahren arbeitete mein Vater in Paris. Schwarzer Rollkragenpulli, Citroën, manchmal eine Gauloise im Mund. Der klassische moderne Architekt.
Wie sportlich war er?
Mein Vater kam aus dem Jura und war begeisterter Berggänger. Meine Liebe zur Natur habe ich ihm und meiner Zeit in der Pfadi zu verdanken. Ich habe sicher ein Jahr meines Lebens in einem Zelt in den Schweizer Alpen verbracht.
Vom Möbelhersteller zum
Schuhproduzenten – wie gross unterscheiden sich denn diese beiden Welten?
Nicht so gross, wie man meinen könnte. Vitra hat zum Beispiel eng mit dem berühmten amerikanischen Designerpaar Charles und Ray Eames zusammengearbeitet. Sie haben einige der berühmtesten Stühle unserer Zeit entwickelt. Beim Sitzen stand bei ihnen die Funktionalität genauso im Zentrum wie bei On beim Laufen. Und sie gingen beim Entwickeln eines Produkts ähnlich vor wie wir.
Wie denn?
Sie haben einen Prototypen gebaut, haben sich drauf gesetzt, und ihn so lange optimiert, bis es nicht mehr ging. Man kann das mit einem Stein vergleichen, der in einem Fluss so lange abgeschliffen wird, bis er die perfekte Form hat.
Wie lässt sich dieses Vorgehen auf einen Laufschuh übertragen?
Wir entwerfen einen Schuh nicht am Computer, sondern testen
Prototypen auf einer geheimen Laufstrecke im Appenzell. Vor Ort schneidet das Team aus Sportwissenschaftlern von Hand Teile zu, kleben sie an unzählige Schuhvarianten und testen diese mit Athleten gleich aus. Das wurde schon beim ersten Modell so gemacht, für das zerschnittene Gartenschlauchteile an der Sohle befestigt wurden. Es sah noch aus wie ein Monster, aber das Grundprinzip hat funktioniert.
Wer testet die Prototypen
als Erster?
Olivier Bernhard, Mitgründer und Innovationschef von On. Er hat als ehemaliger Weltmeister und Profi-Triathlet einen direkten Nerv vom grossen Zeh ins Hirn. Wir testen bis zu hundert Prototypen, bevor wir einen Schuh herausbringen.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit neben Laufen?
Was das Sportliche angeht, vor allem Skifahren und Kitesurfen. Diesen Winter habe ich das im Engadin mit Snowkiten kombiniert – das ist wie Kitesurfen, einfach auf dem Schnee. Mit Windkraft gings über den zugefrorenen Lago Nero auf dem Berninapass. Meine Frau und ich reisen sehr gerne. Auch unserer Tochter macht das grossen Spass, obwohl sie erst vier Jahre alt ist.
Wo reisen Sie hin?
Ich bin für die Firma oft in den USA, und manchmal kann mich meine Familie begleiten. Wir sind Fans von Los Angeles und verbringen öfter Zeit dort. Trotz aller politisch kritischen Tendenzen in den USA: Für mich herrscht vor allem in Metropolen wie Los Angeles noch immer eine junge Kultur des Aufbruchs. Wenn man wissen will, was unsere Popkultur prägen wird, ist man dort am richtigen Ort.
Und welches sind Ihre liebsten Rennstrecken?
Absolute Blockbuster für Läufer sind natürlich der Strandweg von Venice Beach nach Santa Monica in Los Angeles. Oder die Route am Hudson River in Manhattan über die High Line mit der prächtigen Wolkenkratzer-Kulisse. Exotisch ist der Lauf in Sydney durch den botanischen Garten mit Blick aufs Opernhaus. Was ich in den Bergen liebe: Hinter der nächsten Kuppe öffnet sich ein neues Panorama und eine neue Welt. Der Läufer wird so zum Entdecker.
Zur Person
David Allemann (48) gründete 2010 mit Caspar Coppetti und Ex-Spitzenläufer Olivier Bernhard die Laufschuhmarke On mit Hauptsitz in Zürich. Zuvor arbeitete für den Möbelhersteller Vitra. Er ist mit einer Ärztin verheiratet und hat eine vierjährige Tochter.