«Eine Frau muss rund und fett sein wie eine Sardine», lautet dem Hörensagen nach ein Sprichwort aus Portugal, das wohl ärmere Fischer geprägt haben: Es verweist auf ein Schönheitsideal, das historisch gesehen oft in wirtschaftlich schwächeren Schichten als begehrenswert galt: Wer dort über einen prallen Bauch verfügt, ist wohlhabend, also begehrenswert. Sardinen galten denn auch lange als Arme-Leute Essen. In besseren Haushalten kamen die massenhaft gefangenen Fische – im Jahr 2022 immerhin allein in Portugal und Spanien 44 000 Tonnen – kaum je auf den Tisch.
Wie wichtig die bescheidene Sardine in den südlichen Ländern Europas aber ist, zeigten schon seit je her die wunderbaren Verpackungen, die die in Öl eingelegten Varianten der Fische zieren: Oft sind es kleine Meisterwerke der Grafik und der Illustration. So sind denn in Künstler- oder Grafikerkreisen die wunderschönen Sardinenbüchsen aus Spanien, Italien und Portugal schon seit Jahrzehnten ein beliebtes Mitbringsel. Und es ist wie so oft: Was Künstler gut finden, kommt irgendwann im Mainstream an, und zwar zuerst im angelsächsischen Raum, bevor diese Trends dann über den grossen Teich oder den Ärmelkanal schwimmen.
Die Amerikaner entdecken die Sardine – und plötzlich wird sie hip
Und so geht es gerade auch der Sardine auf gleich mehreren Ebenen: in der Spitzenküche, High-End-Mode, Low-End-Mode, in Lifestyle-Produkten: Seit 2018 stehen die eingelegten Varianten vermehrt auf den Karten New Yorker Restaurants, vermerken Kulinarik-Kritiker der New York Times. Zwei Frauen in kreativen Berufen aus L.A., TV-Comedy-Autorin Caroline Goldfarb und Werberin Becca Millstein, erkennen während der Pandemie sowohl die Zeichen der Zeit als auch eine Marktlücke: Keine der vermehrt verkauften Sardinen-Marken ist amerikanisch. Sie gründen 2020 das Unternehmen «Fischwife» und tun eigentlich genau das, was die Portugiesen seit längstem tun: Fische schön verpacken, optisch einfach leicht amerikanisiert.
Vogue, Vanity Fair und Bottega Veneta – die Sardine schwimmt ganz vorne mit
Sie fischen damit nicht im Trüben: Die High-end Magazine US-Vogue und Vanity Fair zappeln sofort genauso an der Angel wie die New York Times. So kommt auch die Modeindustrie die auf den (Fisch-) Geschmack: 2022 lässt das Luxuslabel Bottega Veneta in der Herbstkollektion ein Model mit einer Tasche (für ca. 3500 Franken) über den Laufsteg gehen, deren Henkel aus einer metallenen Sardine besteht – Models wie Kendall Jenner oder Rosie Huntington-Whiteley fühlen sich mit der teuren Luxustasche denn auch gleich wie Fische im Wasser. Aber nicht nur High-end Labels schwimmen mit dem Strom, auch kleinere Anbieter kommen nicht ins Schwimmen, wenn sie auf die schillernde Sardine setzen: Gibt man auf Online-Platformen wie Etsy «Sardine» ein, schwimmt einem von Wohndekoartikeln über zu Tapetendesigns bis zu Halskettenanhängern aus Gold und Silber alles entgegen. Und auch die jüngere Generation entdeckt die schönen Fische: Auf Tiktok gibt's seit neustem sogar den Hashtag Sardinecore.
Erfahrungsgewmäss dauert es jeweils rund ein halbes Jahr, bis die US-Trends zu uns schwappen. Sollten Ihnen nächsten Frühling also allenthalben Sardinenmotive entgegeschwimmen, wissen Sie jetzt weshalb. Sardinen machen gerade Portemonnaies so wohlgerundet, wie einst die portugiesischen Fischer die Bäuche ihrer Frauen mochten.