Sie seien daran, die «Fashion-Weltherrschaft» zu ergreifen, schreibt «Harper's Bazaar» über sie. «das begehrteste Stück des Herbsts» findet die «Vogue». Influencerinnen und Stars feiern sie ab, Luxusbrands wie Burberry und Louis Vuitton schickten sie auf ihre Laufstege: Anzugswesten, getragen von Frauen.
Schauspielerin Margot Robbie (33) etwa trägt sie in Weiss, weiter Schnitt, kombiniert mit weisser Hose. Ihre Hollywood-Kollegin Elle Fanning (25) zeigte sich in einer eng geschnittenen Nadelstreifenweste, und Model Kendall Jenner (27) ging in einem beigen, hochgeschlossenen Modell shoppen.
Die Anzugweste für Frauen ist ein weiterer Schritt in Richtung Unisexmode. Was bedeutet das?
Den weiblichen Körper befreien
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die modische und soziale Befreiung von Frauen gingen oft Hand in Hand. Es bedurfte Pionierinnen, die sich trauten, die unpraktischen wallenden Kleider abzulegen und sich mit Hosen und Anzügen die (Bein-)Freiheit und auch die Macht zu erstreiten, die lange Männern vorbehalten war.
Eine der ersten Frauen, die öffentlich einen massgeschneiderten «Männeranzug» trug, war die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt (1844–1923), in den 1870er-Jahren. Sie nannte ihre Kleider «Bubenkleider».
In den 1920er-Jahren befreiten sich Frauen von engen Korsetts, auch dank des vorangehenden Einsatzes der Suffragetten. In dieser Zeit lieferte die französische Designerin und spätere Nazi-Agentin Coco Chanel (1883–1971) den ersten weltweit gefeierten Frauenanzug. Zwar noch mit Rock. Dieser endete aber ums Knie. Das Jackett war gerade geschnitten. Die Stoffe waren strapazierfähig, «männlich» – Jersey, Tweed. «Das war revolutionär», sagt Monika Kritzmöller, Gründerin des Forschungs- und Beratungsinstituts «Trends + Positionen» und HSG-Dozentin. «Damit konnten Frauen aktiv sein, sich bewegen, arbeiten.»
Frauenanzüge werden unaufhaltbar
Den ersten Frauenanzug mit Hosen entwarf der Franzose Marcel Rochas (1902–1955) anfangs der 30er-Jahre. Damals «provozierte» auch Hollywoodstar Marlene Dietrich (1901–1992), wenn sie Hosen, Anzüge und Smokings trug.
«Ein Anzug, gerade ein Dreiteiler, hatte etwas sehr Männliches», sagt Lela Scherrer, Designerin und Dozentin für Mode und Design. «Trug man ihn eins zu eins als Frau, war das ein Vordringen in die Männerdomäne, ein Statement.»
Ein weiteres Statement – das bis heute gefeiert wird: «Le Smoking», der extra für Frauen designte Tuxedo von Yves Saint Laurent von 1966, bereits damals auch mit Weste getragen.
In den 80er-Jahren wurden «Power Suits» gefeiert. Frauen eigneten sich damit eine männliche «Power-Silhouette» an – breite Schultern, schmale Taille –, gerne in intensiven Farben. «Eine freudvolle Zeit, in der man gerne seinen Erfolg zeigte», sagt Monika Kritzmöller.
Die Weste als zweischneidiges Schwert
Heute seien maskuline Elemente in der Frauengarderobe weit verbreitet, sagt die Trendforscherin. Wenn Frauen Jeans und T-Shirts – früher klar männliche Kleidungsstücke – tragen, provoziere das nicht mehr.
Dass Frauen nun Anzugwesten tragen, sieht Monika Kritzmöller dennoch kritisch. «Ich sehe es ambivalent, wenn Frauen Elemente aus der Männermode übernehmen.» Damit gehe teils einher, dass Männer als Vorbild gesehen würden und Frauen Männer imitieren wollten – damit sie ernster genommen werden. «Damit habe ich Mühe.»
Neu interpretieren, statt imitieren
Eine ganz andere, eigenständige Botschaft sei es, so Kritzmöller, wenn Frauen sich Elemente aus der Männermode aneignen, sie für sich «besetzen» und weiterentwickeln, statt sie zu imitieren.
Für die Westen könne das heissen, sie in neuen Schnitten zu tragen, etwa als Neckholder, oder mit viel Schmuck und Make-up, zu Blusen mit bauschigen Ärmeln.
Und vielleicht lassen sich davon wiederum Männer inspirieren, die bisher gefangen waren in eher klassischen Dreiteilern.